Microsoft ergreift mit Windows CE die Initiative bei Handheld PCs

03.07.1997
MÜNCHEN: Der Handel mit elektronischen Datenbanken vom einfachen Organizer bis zum PDA (Personal Digital Assistant) ist noch immer ein Nischenmarkt. Eine Anbindung an PCs oder Telekommunikationsgeräte (z.B. GSM) ist nur bei wenigen, hochwertigen und daher teuren Geräten möglicht. Das Angebot an Hard- und Software-Erweiterungen ist gering und schwer überschaubar. Das kann sich demnächst ändern.Im September letzten Jahres präsentierte Microsoft mit "Windows CE" eine speziell für dieses Produktsegment entwickelte Betriebssystem-Plattform. Bisher war der Markt der mobilen Minicomputer fest in der Hand von "No-names" und Unternehmen, deren Wurzeln im Taschenrechnerbereich liegen. Mit Compaq, Hewlett-Packard NEC und weiteren nehmen jetzt renommierte Rechnerhersteller den Kampf um Marktanteile auf. Mit deutlichen Veränderungen des Marktgefüges ist zu rechnen.

MÜNCHEN: Der Handel mit elektronischen Datenbanken vom einfachen Organizer bis zum PDA (Personal Digital Assistant) ist noch immer ein Nischenmarkt. Eine Anbindung an PCs oder Telekommunikationsgeräte (z.B. GSM) ist nur bei wenigen, hochwertigen und daher teuren Geräten möglicht. Das Angebot an Hard- und Software-Erweiterungen ist gering und schwer überschaubar. Das kann sich demnächst ändern.Im September letzten Jahres präsentierte Microsoft mit "Windows CE" eine speziell für dieses Produktsegment entwickelte Betriebssystem-Plattform. Bisher war der Markt der mobilen Minicomputer fest in der Hand von "No-names" und Unternehmen, deren Wurzeln im Taschenrechnerbereich liegen. Mit Compaq, Hewlett-Packard NEC und weiteren nehmen jetzt renommierte Rechnerhersteller den Kampf um Marktanteile auf. Mit deutlichen Veränderungen des Marktgefüges ist zu rechnen.

Die Vielfalt von Produkten, die sich bisher in der Grauzone zwischen Tascherechner und mobilem PC tummelten, macht die Festlegung auf ein einheitliches Marktsegment schwierig. Das große Produkt- und Leistungsspektrum erweckt den Eindruck, daß bei den Herstellern eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber Marktanforderungen und Kundenwünschen herrscht. Wer sind die potentiellen Kunden für derartige Produkte? Welche Anforderungen werden an die Produkte gestellt? Werden die Produkte privat, beruflich oder kombiniert benutzt? Fragen, die von den Herstellern in der Vergangenheit anscheinend nur unbefriedigend beantwortet werden konnten. Verglichen mit dem Marktpotential blieben die Umsätze bisher weit hinter den Erwartungen der Analysten zurück.

Der Vorstoß von Microsoft mit "Windows CE" machte sich die weitgehende Stagnation dieses Marktsegmentes zunutze. Zu einem Zeitpunkt, da organisierte, mobile Kommunikationsfähigkeit innerhalb der Gesellschaft an Bedeutung gewinnt, ist die neue Generation von Handheld PCs (HPCs) der Versuch dieser Entwicklung global zu begegnen. Generalstabsmäßig vorbereitet, in Zusammenarbeit mit bekannten Rechnerherstellern, die in HPCs zukünftig ein lukratives Zusatzgeschäft wittern, baut Microsoft auf die Macht strategischer Allianzen zur Durchsetzung neuer Standards.

Die neuen HPCs - Organizer oder mehr?

Windows CE ist, wie das angehängte Kürzel erkennen lassen will, ein offenes Betriebssystem für den gesamten Bereich der "Consumer Electronic". Das schließt neben der Computertechnik auch die Bereiche Unterhaltungselektronik und Kommunikationstechnik ein. Als Software-Schnittstelle soll Windows CE den Datenaustausch zwischen unterschiedlichen Geräten wie Computern, mobilen Telefonen, Pagern, Spielkonsolen, Multimedia- Peripheriegeräten (zum Beispiel DVD-Abspielgeräten) und nicht zuletzt Internet-Einrichtungen steuern.

Der Windows-CE-Lieferumfang beinhaltet speziell für den HPC-Gebrauch angepaßte Versionen der Microsoft-Programmpakete: Word, Excel, Scheduler und Internet Explorer. Damit sind die Haupteinsatzgebiete des HPCs auch schon festgelegt: Textverarbeitung, Kalkulation, Terminplanung und der Zugriff auf Online-Dienste.

Sicher nicht ganz uneigennützig definierte Microsoft den Handheld PC als mobile Ergänzung (der Name PC Companion macht die Runde) für einen vorhandenen vorzugsweise Windows-95-basierenden Desktop PC. Bedingt durch die beschränkte Speicherkapazität müssen die Datenbestände des HPCs in regelmäßigen Abständen über einen vorhandenen Desktop PC synchronisiert, das heißt aktualisiert werden.

Diese Konzeption ist nicht unumstritten, schließt sie doch sowohl potentielle Kunden aus, die keinen separaten Desktop PC besitzen, als auch jene, die sich ein höheres Maß an unabhängiger Rechnerintelligenz in HPCs gewünscht hätten. Doch es gibt noch mehr Streitpunkte. "Die Entscheidung bei HPCs auf Handschriftenerkennung zu verzichten, ist richtig," meint Wolfram Herzog, Geschäftsführer von Yellow Computing und ein Kenner der Szene im Gegensatz zu einigen Befürwortern dieser Technologie.

"Handschriftenerkennung ist ausschließlich für den asiatischen Markt mit teilweise Tausenden von Schriftzeichen ein Thema," so der Experte weiter. Eine Spracheingabe sei dagegen, laut Herzog, in Zukunft notwendig, aktuell aber aufgrund der erforderlichen Rechenleistung, der damit verbundenen höheren Batteriebelastung und wegen des hohen Preises einfach noch nicht machbar.

Möglicher Erfolg auch von Drittherstellern abhängig

Für die Entwicklung von Hardware-Erweiterungen und Anwendungen stellt Microsoft Entwicklungswerkzeuge zur Verfügung. Weit über 100 Unternehmen arbeiten bereits an Zusatzprodukten auf Windows-CE-Basis. Dabei handelt es sich sowohl um Erweiterungskarten für HPCs, wie zum Beispiel Speichererweiterungen, Modems, drahtlose Datenübertragungssysteme, als auch um Anwendungssoftware. Programmpakete für spezielle Berufsgruppen zählen ebenso dazu, wie Datenbankprogramme und Internet-Utilities.

Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten täuschen nicht darüber hinweg, was HPCs nicht sind: PCs im Miniformat. Sie stehen demnach nicht in Konkurrenz zu Laptops und Notebooks. Auswirkungen auf den Markt mit tragbaren Rechnern sind dennoch nicht ausgeschlossen. Denkbar ist, daß eine Reihe von mobilen Anwendern, die aufgrund fehlender Alternativen bisher mit Notebooks arbeiteten auf die kleineren und leichteren HPCs umsteigen werden. Die Gruppe der Notebook-Anwender würde sich dann auf diejenigen reduzieren, die das komplette Leistungsspektrum eines PCs im mobilen Betrieb benötigen. Dazu zählen Präsentationen oder der Netzwerk-Einsatz.

Zielgruppe ist breit gestreut

Unter der Prämisse, den kleinsten gemeinsamen Nenner für eine möglichst große Zielgruppe zu finden - darin sind sich die Experten einig, sind HPCs ein gelungener Kompromiß. Zielgruppe ist der mobile, professionell agierende Computeranwender mit Bedarf an Organisation, Planung, Kommunikation und flexiblem Datenzugriff. Das diese Anforderungen sowohl bei Geschäfts- als auch bei Heimanwendern bestehen, bestätigt auch Herzog. Nach seinen Erfahrungen setzen etwa 20 Prozent der Kunden Handhelds ausschließlich beruflich beziehungsweise privat ein. Der mit 60 Prozent größte Teil der Anwender nutzt den HPC kombiniert.

Das man es mit der Ausrichtung auf den Massenmarkt ernst meint, machte Microsoft deutlich. Auf der im Januar 1997 stattfindenden Consumer Electronic Show in Las Vegas präsentierte man ein eigens für Windows CE entwickeltes "Entertainment Pack". Dieses enthält zehn bekannte Computerspiele und verwandelt so den HPC in einen "PC-Gameboy". Auswirkungen auf den Markt der Sega- und Nintendo-Produkte sind also nicht unerwünscht.

Bisher haben drei Unternehmen den Markt im Griff

Welche Auswirkungen haben die neuen HPCs auf den bisherigen Markt hochwertiger Organizer? Nach Marktanalysen von Forrester wurde der PDA-Markt (Personal Digital Assistant) bisher von drei Unternehmen dominiert: Sharp (14 Prozent), Hewlett-Packard (28 Prozent) und Psion (33 Prozent). Nachdem Hewlett-Packard auf der Comdex bereits Windows-CE-kompatible Produkte ankündigte, sind Sharp und Psion gefordert. Wollen sie sich nicht kurzfristig in die Rolle von Produzenten von Nischenprodukten wiederfinden, müssen Sie jetzt Farbe bekennen.

Noch bedeckt hält man sich bei der deutschen Sharp-Niederlassung in Hamburg. "Wir wissen, daß wir auf Microsoft und Windows CE reagieren müssen, und wir werden das auch bis zur CeBIT in Hannover tun. Zur Zeit warten wir noch auf Entscheidungen unseres Mutterhauses in Japan," so Sharp-Sprecherin Andrea Weigert.

Auf der CeBIT soll erstmalig der Sharp Color ZR vorgestellt werden. Es ist der erste Palmtop, der sich mit einem Handgriff in eine digitale Kamera verwandeln soll. Er arbeitet mit Stifteingabe und ist mit Farbdisplay (bis zu 65.000 Farben) ausgerüstet. Er hat eine Infrarot-Schnittstelle und verfügt über Video-, E-Mail- und Internet-Zugang. Der Preis soll laut Herstellerangaben inklusive digitaler Kamera bei zirka 2.200 Mark liegen. Ob die zukünftige Sharp-Strategie auf einen Ausbau der Marktposition im High-end-Markt setzt, bleibt bis auf weiteres offen.

Bereits auf die Microsoft-HPC-Initiative reagiert hat Sharp in den USA. Für die aktuelle Zaurus-Produktlinie bieten man dort ab sofort (im Rahmen einer Promotionkampagne sogar kostenlos) Zusatzsoftware für den Datenaustausch mit Windows-95-Systemen an.

Selbstbewußt gibt man sich auch bei Psion in Bad Homburg. Nach Aussagen des Marketingleiters Joachim Kaluza sei es definitiv nicht geplant auf den Windows CE-Zug aufzuspringen. "Wir halten unser EPOC-Betriebssystem für die bessere Lösung", unterstreicht der Marketier die künftige Strategie (siehe auch Artikel Seite 146).

Neue Chancen für den Fachhandel

In der Vergangenheit gab es eine klare Verteilung der Produkte und Vertriebskanäle. Während die preiswerten Organizer in großen Stückzahlen über die Massenkanäle wie Mediamärkte und Kaufhäuser vertrieben wurden, gab es wenige spezialisierte Fachhändler, die hochwertige PDAs anboten.

Eine Reihe von Gründen sprechen dafür, daß sich der HPC zu einem klassischen Fachhandelsprodukt entwickeln könnte. An erster Stelle steht dabei seine hohe Erklärungsbedürftigkeit. Damit ist nicht die Benutzeroberfläche von Windows CE gemeint. Vielmehr ist es das Konzept von HPCs mit seinen Software-Anwendungen und einem großen Angebot von optionalen Zubehör, zum Beispiel zum Datenaustausch mit PCs und Telekommunikationsgeräten. Auch Umsätze im Dienstleistungsbereich (Batteriewechsel, Datenkonvertierungen etc.) sind denkbar. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor ist die Art der Produktpräsentation innerhalb der Verkaufsfläche. Mit einem zu erwartenden Preis zwischen 800 und 1.200 Mark ist der HPC ein gleichermaßen teures wie kompaktes Produkt, das nicht offen aus dem Regal heraus verkauft werden kann. Auch hier hat der qualifizierte Fachhandel deutliche Vorteile gegenüber den Retailern.

Dennoch zeigen sich alteingesessene, auf den PDA-Vertrieb spezialisierte Fachhändler wie die Firma Kiesling in Hamburg, in puncto HPc zögerlich. "Wir warten ab. Wir brauchen noch mehr Informationen über die neuen Handhelds. Der Bedienungskomfort der deutschen Windows-CE-Version muß mit der Benutzeroberfläche jetziger PDAs verglichen werden. Auch Gewicht und Größe spielen eine Rolle", so Klaus Schmidt, Vertriebsbeauftragter für den PDA-Bereich. Das sich eine Reihe potentieller Kunden ebenfalls abwartend verhalten und sich diese Haltung negativ auf das aktuelle PDA-Geschäft auswirkt, mochte er dabei nicht ausschließen. "Langfristig können alle davon profitieren, daß aufgrund der aktuellen HPC- und Windows-CE-Diskussion jede Menge Bewegung in den Markt kommt und diese Produkte mehr Interesse genießen als früher", resümiert Schmidt.

Marktforscher geben sich positiv

Von positiv bis euphorisch reichen die Meinungen der Marktforschungsinstitute wie zum Beispiel des Stanford Research Institutes. Betrug der weltweite Markt von PDAs und HPCs in 1996 zirka 900.000 Stück, so rechnet ihre Studie für das Jahr 2000 mit einer Steigerung auf 5,6 Millionen. Im Jahr 2006 sollen es bereits 28 Millionen sein. Das wird sich natürlich auch auf die Preisentwicklung auswirken. Kosten HPCs aktuell zwischen 800 und 1.200 Mark, gehen Marktbeobachter davon aus, daß der Preis in zirka zwei Jahren auf 500 bis 600 Mark fallen wird.

Vieles spricht dafür, daß Microsoft mit Windows CE wieder einmal Gespür für den Zeitgeist an den Tag legt. In Zeiten, da der Markt mobiler Telefone boomt, die Anzahl der Internet-Anwender kontinuierlich ansteigt, und Selbstorganisation - egal ob beruflich oder privat - hoch im Kurs stehen, treffen Windows-CE basierende HPCs auf ein interessiertes Publikum. Auf dem Wege zum imaginären "Super PDA", als universelle, mobile Kommunikationseinheit für jedermann, kann der HPC einen ersten, wichtigen Schritt darstellen.

Die Deutschen sind wieder mal skeptisch

Dennoch warnen Analysten davor, die Eigenheiten unterschiedlicher Märkte zu unterschätzen. In den USA ist mit einer schnellen Verbreitung und Akzeptanz der neuen Systeme zu rechnen. Neben dem speziell für den US-Markt entwickelten großen Angebot an HPC-Software spielt hier eine allgemein größere Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien eine wichtige Rolle.

Im Gegensatz dazu sind eine Reihe von Voraussetzungen für eine erfolgreiche Marktakzeptanz in Deutschland notwendig. Dazu zählen neben einer deutschen Windows-CE-Version, die laut Microsoft ab Oktober verfügbar sein wird, auch deutschsprachige Applikationen. Ebenfalls wichtig ist die Anpassung vorhandener Telekommunikationsanwendungen an die deutschen Verhältnisse.

Die Bereitschaft deutscher Unternehmen ihre Mitarbeiter mit HPCs oder PDAs auszurüsten ließ in der Vergangenheit jedenfalls zu wünschen übrig. Und darin sieht Herzog das derzeit größte Hindernis. "Die deutschen Unternehmen sind zu konservativ. Es ist einfacher einen Terminkalender in Büffellederausstattung genehmigt zu bekommen, als den Kauf eines elektronischen Organizers, der auch nicht mehr kostet. Obwohl größtenteils beruflich genutzt, müssen 75 Prozent der Anwender ihr Gerät selbst bezahlen."

Siegfried Dannehl

Zur Startseite