Mit freundlichen Grüßen

28.10.1999

P&T Computer GmbHGeschäftsführung

Herrn Ralf Paul

Theodor-Heuß-Str. 18

35440 Linden München, 25.10.1999

Sehr geehrter Herr Paul,

"Wir wollen nicht die Größten, sondern die Besten sein." So steht es im Firmenprofil der P&T Computer GmbH, und dieses Ziel bekräftigten Sie im Rahmen unseres "Couch-Talks" auf der Systems in der vergangenen Woche. Eine vernünftige Einstellung, die allerdings nicht jeder in der Branche teilt. Zum Beispiel nicht Claudio Osorio, Chef des heftig ins Schleudern geratenen Distributors CHS Electronics Inc. mit Hauptsitz in Miami (lesen Sie hierzu auch unseren Bericht auf Seite 10 in dieser Ausgabe).

Was auch immer der konkrete Auslöser für den Absturz des Unternehmens war, die Hauptursache für den Zusammenbruch des CHS-Imperiums war der Größenwahn des aus Südamerika stammenden Firmenbosses.

Wer heute ein Buch über die Geschichte der Firma CHS schreiben würde, könnte nur einen Titel wählen: "Das große Fressen". Wie kein anderer Distributor verleibte sich CHS unter der Führung von Osorio in den vergangenen Jahren eine Firma nach der anderen ein. 56 Unternehmen schluckte CHS in den Jahren 1995 bis 1998, darunter solche Schwergewichte wie Merisel (außer USA), Frank & Walter, Karma, Mc Dos, Metrologie und DNS. Der Umsatz explodierte in dieser Zeit von 937 Millionen auf 8,5 Milliarden Dollar. Ein Wachstum um mehr als 800 Prozent. Doch damit nicht genug: Im vergangenen Jahr, Sie erinnern sich, wollte sich Osorio auch noch die Vobis-Gruppe inklusive Maxdata und Peacock einverleiben. Aber hier waren die Augen größer als der Magen - Osorio konnte den Bissen nicht herunterschlucken und mußte ihn wieder ausspucken.

Im Aufstieg und Fall der Firma CHS spiegelt sich die pathologische Ausprägung einer Branchenentwicklung wider, die sich als "Firmen-Bulimie" bezeichnen läßt. Darunter verstehe ich eine Form von extremer Freßsucht mit dem gleichzeitigen Zwang, schlank zu bleiben und kein Fett anzusetzen. Diese Bulimie führt bei den davon betroffenen Unternehmen zu einer enormen Belastung des Herz-Kreislauf-Systems mit dem Risiko des vollständigen Zusammenbruchs (Kollaps). Bei CHS ist dieser schlimmste Fall nun eingetreten, der Patient liegt unterm Sauerstoffzelt. Ob er gerettet werden kann und welche Folgeschäden er davontragen wird, ist derzeit noch offen.

CHS ist daher ein warnendes Beispiel für alle Unternehmen, die glauben, durch zügelloses Fressen (Akquisitionen) stärker zu werden. Sie werden nicht stärker, sondern nur schwerer. Sie nehmen zwar an Gewicht zu, aber hierbei handelt es sich nicht um Muskelmasse, sondern um Fett. Man muß dem Organismus auch die Zeit lassen, die zugeführte Nahrung zu verdauen und in Energie umzusetzen.

In einer Firmenbroschüre bezeichnet die CHS die Firmenentwicklung der vergangenen Jahre als "Erfolgsstory, wie sie im Buche steht." Doch das Buch ist noch nicht zu Ende. Ein neues Kapitel hat begonnen, und das trägt die Überschrift: "Retten, was zu retten ist."

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

Zur Startseite