IBM Deutschland GmbH
Geschäftsführung
Herrn Erwin Staudt
Pascalstr. 100
70569 Stuttgart
München, 28.06.1999
Sehr geehrter Herr Staudt,
daß wir die PCs jetzt nicht mehr kaufen müssen, sondern uns schenken lassen können, ist bekannt.
Nun ist es höchste Zeit, dieses Phänomen in einen gesamt-wirtschaftlichen Kontext zu stellen und die Konsequenzen bis in die feinsten Verästelungen zu durchdenken. Ich habe das in den letzten 15 Minuten mal getan und bin zu folgendem Ergebnis gelangt: Die These, daß wir uns in einer Übergangsphase vom Industrie- zum Informationszeitalter befinden, ist Kokolores. Denn das klingt so, als würden keine Autos mehr, sondern nur noch Informationen über Autos produziert werden.
In Wahrheit sind die Dinge natürlich viel komplexer. Es gibt sie zwar, diese Revolution, aber das neue Zeitalter muß korrekt heißen: Industrie-Informations-Präsent-Zeitalter. Der wesentlich neue Ansatz besteht darin, daß die Produkte, welche die Industrie herstellt, nicht mehr verkauft, sondern als Präsent verschenkt werden, und daß wir als zusätzliche Dreingabe auch noch Informationen über andere am Markt erhältliche Produkte bekommen, die ebenfalls verschenkt werden. Das ist eine Revolution, die ihren Namen wahrhaft verdient, und sie ist irgendwie auch der Beginn des Paradieses auf Erden.
Diese Revolution steckt zwar noch in den Kinderschuhen, aber erste Ansätze sind da (Umsonst-PCs).
In der Endstufe dieses neuen Modells bekommen alle alles geschenkt. Das geht so:
Auf unserem Gratis-PC flimmert eine Werbung für, sagen wir mal, Mercedes. Den neuen Wagen holen wir uns in der Mittagspause beim Mercedes-Händler ab und nehmen dafür gerne die Werbung für den Bekleidungshersteller Boss auf der Fahrertür in Kauf. Daß der Sticker mit der Aufschrift "Ich wasche meine Hemden nur in Waschmaschinen von Siemens" von dem geschenkten Boss-Anzug nicht zu entfernen ist, stört uns nicht. Die Siemens-Waschmaschine bekommen wir natürlich ebenfalls geschenkt,
dafür sieht sie aus wie eine übergroße Packung von Persil. Und für Persil brauchen wir auch nichts mehr zu zahlen, da die Schachtel uns darüber informiert, daß Wasser nicht nur zum Waschen da ist, sondern
das von Apollinaris auch sehr bekömmlich ist. Die Kisten Apollinaris holen wir uns, selbstverständlich kostenlos, im Getränkemarkt ab und entnehmen dem Etikett auf der Flasche, daß man durch das Glas
des Fensterherstellers Weru noch besser durchgucken kann. Und so weiter und so weiter ad infinitum.
Klingt das nicht phantastisch, paradiesisch eben? Natürlich müssen noch ein paar Detailfragen geklärt werden. Zum Beispiel die, wer denn auf Industrieseite eigentlich die Produktion der Waren bezahlen soll. Meine Antwort: der liebe Gott.
Mit freundlichen Grüßen
Damian Sicking