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24.02.2000

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Herrn Thomas Voigt

Eupener Straße 70

50933 Köln

München, 21.02.2000

Sehr geehrter Herr Voigt,

in letzter Zeit wird viel von der "New Economy" gesprochen. Sie selbst tun dies ja auch in Ihrem aktuellen Editorial. Nun muss ich Ihnen gestehen, dass ich leider gar nicht so genau weiß, was mit diesem Ausdruck gemeint ist. Auch nach der Lektüre Ihres Heftes war ich nicht wirklich schlauer als vorher. Die Unterschiede der "neuen" gegenüber der "alten" Wirtschaft - worin bestehen sie denn nun?

Irgendwie hat die "neue" Wirtschaft mit dem Internet zu tun. So viel ist schon mal klar. Denn immer, wenn jemand eine weitere Firma ausgräbt, die diesen Spirit der "New Economy" verkörpern soll, tauchen da Fotos von frisch gebackenen Führerscheinbesitzern auf, die irgendeine unglaubliche Sache im Internet gemacht haben und jetzt wahnsinnig erfolgreich sind. Neu an der "New Economy" ist allem Anschein nach, dass man kein Büro braucht. So fiel mir beim Durchblättern des "Impulse"-Heftes eine Anzeige der Firma Uunet auf. Da sitzt ein junger Mann, so Anfang, Mitte 20, in einer Szene-Kneipe an einem Tisch, hinter ihm die Bar mit den Flaschen. Der junge Mann hat den Kopf auf die Hand gestützt, Klunker am Ringfinger, und blickt versonnen vor sich auf einen Stapel Papiere oder eine Zeitung, man kann es nicht genau erkennen. Und dann steht da drüber in dicken orangefarbenen Lettern: "Firmengründer Thorsten E. arbeitet gerade 50.000 Online-Aufträge ab."

Na, das ist wirklich etwas Neues. Diese "New Economy", die ist ja einfach! Im Gegensatz zur "alten Wirtschaft" scheinen es die "neuen" Unternehmer gut zu haben. Die Gnade der späten Geburt. Da kommen 50.000 Aufträge rein, soviel wie andere "alte" Unternehmen in einem oder zehn Jahren nicht bekommen, und die fangen nicht mal an zu schwitzen. Sondern sitzen locker in der Kneipe und gucken fast gelangweilt drein. Ist das die Antwort? Die neue Wirtschaft heißt "neue Wirtschaft", weil sie in der Wirtschaft statt findet. Zumindest virtuell. Jetzt wüsste ich nur noch gerne, welcher Art die Aufträge sind, die Thorsten E. da abarbeitet. "Ein Mann für gewisse Stunden?"

Das wesentliche Kennzeichen der "New Economy" ist, erfährt man dann noch bei Ihnen im Heft, dass sie unheimlich schnell ist. Schneller als die Polizei erlaubt, sozusagen. Da gibt es zum Beispiel den Herrn Enders. Der ist geschäftsführender Gesellschafter des Stuttgarter Software-Herstellers Abaxx Technology und sagt Sätze wie diesen: "Wir fahren mit 250 Stundenkilometern in den Nebel." Jetzt mal Hand aufs Herz, lieber Herr Voigt: Wenn so jemand am Steuer sitzt, möchten Sie dann auf dem Beifahrersitz hocken?

Damit wir uns nicht missverstehen. Auch ich finde das, was derzeit in der Wirtschaft, in den Unternehmen passiert, in Deutschland und weltweit, unglaublich spannend und faszinierend. Diese Kreativität, dieses Unternehmertum, dieser Mut, dieser Pioniergeist, das alles ist großartig und hat viel Schwung und Vitalität. Und vieles von dem, was derzeit geschieht, hat mit dem Internet zu tun.

Aber wir sollten bei aller Begeisterung die Kirche im Dorf lassen. "New Economy" - das hört sich ja so an, als wenn die Gesetze von gestern heute keine Gültigkeit mehr hätten. Das ist doch Quatsch mit Soße! Denn auch in der "neuen Wirtschaft" müssen die Unternehmen Produkte und Dienstleistungen entwickeln, produzieren und verkaufen. Und sie müssen am Ende des Tages (und zwar nicht des Sankt-Nimmerleins-Tages) auch einmal einen Gewinn erwirtschaften. Auch in der "New Economy" ist die Währung Mark, Euro oder Dollar, und nicht Spaß. Das scheint mir bei der ganzen Begeisterung um die "New Economy" ein bisschen in Vergessenheit geraten zu sein.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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