Mit freundlichen Grüßen ...

04.07.2002

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Quelle AG

Vorstand

Herrn Dr. Christoph Achenbach

Nürnberger Straße 91-95

90762 Fürth

München, 01. 07. 2002

Deutschland wird Weltmeister - im TV-Gerät von Quelle

Sehr geehrter Herr Dr. Achenbach,

in der vergangenen Woche kündigte Quelle ein Fernsehgerät mit eingebauter Festplatte an. Mit 40 Gigabyte reicht die Speicherkapazität, um ein paar Filme unterzubringen. Auch zeitversetztes Abspielen ist möglich; also wenn ich eine Viertelstunde nach Beginn der Rosamunde-Pilcher-Schnulze nach Hause komme, kann ich den Film trotzdem von Anfang an sehen. Eine prima Sache, wie ich finde (bis auf die Rosamunde-Pilcher-Schnulze).

Diese Innovation ist ein Schritt in die richtige Richtung. Sie ist aber noch nicht das Ziel. Was das Ziel sein muss, wurde mir Sonntagnachmittag schlagartig klar, als Olli "Käpt'n" Kahn in der 67. Spielminute den Ball nicht festhalten konnte und der brasilianische Stürmerstar Ronaldo das Runde ins Eckige schoss. Der Rest ist Geschichte.

Jetzt muss ich ein bisschen ausholen. Das Digital-TV soll ja eine tolle Sache sein, vor allem in Verbindung mit den vielen Fernsehkanälen. So besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit, dass der Zuschauer den weiteren Verlauf eines Spielfilms selber bestimmen kann, indem er unter verschiedenen angebotenen Möglichkeiten wählt. Dann wäre zum Beispiel plötzlich nicht mehr der Gärtner der Mörder, sondern Alfred Biolek (also der Koch). Interaktives Fernsehen nennt man das ja wohl. Technisch und so weiter eine tolle Sache. Ich glaube nur nicht, dass es das ist, was der Fernsehzuschauer will.

Was der Fernsehzuschauer - oder kurz: das Volk - will, da bin ich mir hundertprozentig sicher, ist, dass Käpt'n Kahn in der 67. Spielminute alles richtig gemacht und den Ball festgehalten hätte. Wir wollen keinen blöden und belanglosen Film beeinflussen, der ohne jede Folge für das Weltgeschehen bleibt. Was wir wollen, ist, dass Deutschland Fußballweltmeister wird. Und wir fragen uns, wann es die TV-Industrie endlich auf die Reihe kriegt, uns das zu ermöglichen.

Das wäre eine Innovation, sehr geehrter Herr Dr. Achenbach! Der Ballführer der Fernbedienung, also in der Regel Papa, hat es in der Hand, direkt und per Knopfdruck aus dem Wohnzimmersessel im ostwestfälischen Paderborn das Spielgeschehen im japanischen Yokohama zu bestimmen. Etwa so: 67. Spielminute, Rivaldo schießt aufs deutsche Tor, Käpt'n Kahn hält den Ball mit Glanzparade, ein weiter Abschlag hoch in den japanischen Nachthimmel, weit hinaus über 50, 60 Meter genau auf den Fuß von Bernd Schneider, Pass in den gegnerischen Strafraum auf die zu allem entschlossene Stirn des Miroslav Klose, und zack ist der Ball im Netz. 1:0 für Deutschland! Kurz danach ist das Spiel vorbei, und wir sind zum vierten Mal Weltmeister.

Es muss doch machbar sein, dass man so ein Gerät entwickelt, oder? Jetzt sagen Sie nicht, das sei unmöglich. Das ist doch nur eine billige Ausrede dafür, dass es etwas länger dauert, bis das Produkt fertig ist.

Wenn ich Sie wäre, würde ich sehen, dass ich so schnell wie möglich ein derartiges Gerät in meinem Katalog hätte. Was für ein riesiger Absatzmarkt! Denken Sie nur an die Telekom-Aktionäre. Die würden alle kaufen. Und der Kurs der Telekom-Aktie läge plötzlich wieder über 100 Euro. Oder denken Sie an die Millionen Schüler, die per Knopfdruck bei der Wettervorhersage dafür sorgen würden, dass sie jeden Tag hitzefrei hätten. Oder denken Sie an unseren Bundeskanzler, der sich so darüber freuen würde, wenn jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, der Aufschwung käme. Alles potenzielle Käufer. Ich selbst würde auch einen nehmen. Dann würde ich sicherstellen, dass Heribert Fassbender jedes Fußballspiel kommentiert.

Naja, wenn ich's mir genau überlege, ist es vielleicht doch nicht so eine gute Idee, das mit dem realitätsmanipulierenden Fernseher. Lieber Vizeweltmeister in der Wirklichkeit als Weltmeister in der Fantasie.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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