Mit freundlichen Grüßen ...

24.01.2002

ComputerPartner

Chefredaktion

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WvS Consulting

Herrn Walter von Szczytnicki

Alpenstraße 7

85614 Kirchseeon

München, 21.01.02

Sehr geehrter Herr von Szczytnicki,

die wichtigste Aufgabe der Pausenaufsicht auf Deutschlands Schulhöfen besteht darin, zu verhindern, dass sich die Kinder das Genick brechen. Die wichtigste Aufgabe ist nicht, dabei zuzusehen, wie sich die Kinder das Genick brechen.

In der Wirtschaft ist es ähnlich. Die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats eines Unternehmen besteht darin, zu verhindern, dass sich dieses Unternehmen das Genick bricht. Die wichtigste Aufgabe ist nicht, dabei zuzusehen, wie sich das Unternehmen das Genick bricht.

Dass die Erfüllung dieser Aufgabe in beiden Fällen nicht immer ganz einfach ist, steht außer Frage. Und immer wieder kommt es zu Unfällen. Dann muss sich die Aufsichtsperson unangenehmen Fragen stellen. Wie zum Beispiel auch im Falle der insolventen M+S AG. Als Außenstehender gewinnt man den Eindruck, dass nicht nur der Vorstand, sondern auch der Aufsichtsrat komplett versagt hat, indem er dem Untergang des Systemhauses nur zugeschaut hat.

In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, sehr geehrter Herr von Szczytnicki, auf einen Abschnitt in dem Buch "Albtraum Neuer Markt. Eine brisante Internetstory vom Aufstieg und Fall eines ,Zukunftsunternehmens'" hinweisen. Der Autor dieses Buches ist der Gründer und Ex-Vorstand der WWL Internet AG in Nürnberg, Andreas Lindenberg. Im Kapitel "Aufsichtsräte sind keine Götter" geht Lindenberg auf Seite 48 auf einen interessanten Aspekt ein, der bisher noch nicht ausreichend diskutiert worden ist. Er schreibt:

"In der Beziehung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist am Neuen Markt ein unnatürliches Phänomen weit verbreitet. Das Aktienkapital - und damit die Macht - sitzt meist nicht im Aufsichtsrat, sondern im Vorstand, in dem oftmals ein oder mehrere Gründer vertreten sind. Dies führt zu einer gewissen, meistens nicht bewusst herbeigeführten Entmündigung des Aufsichtsrats. Diese Machtverteilung ist solange unproblematisch, wie sich Sachfragen argumentativ klären lassen. Sie wird aber spätestens dann zum Problem, wenn sich die Vorstandsfrage auf die Tagesordnung drängt. Was soll dann der Aufsichtsrat tun, wenn der, über den er richten muss, auch der ist, der ihn zum Aufsichtsrat gemacht hat und der ihn dort duldet?"

Klingt ziemlich einleuchtend, finden Sie nicht? Sie selber, sehr geehrter Herr von Szczytnicki, kennen beide Seiten: als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Computer 2000 AG, heute als multipler Aufsichtsrat (unter anderem bei Cancom und Lintec), und finden dort ja durchaus die Konstellation vor, die WWL-Gründer Lindenberg in seinem Buch beschreibt. Die Frage, die sich stellt, ist: Wie sehen Sie die von Lindenberg angesprochene "Entmündigung des Aufsichtsrats"? Können Sie die Ablösung des Vorstandes bewirken, wenn dies Ihrer Meinung nach erforderlich ist, um das Unternehmen zu retten? Und wie würden Sie das anstellen? Welche Macht haben Sie gegenüber den Vorständen außer der, ihnen zu sagen, dass sie ihren Sch... allein machen sollen?

Bin gespannt auf Ihre Antwort und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

PS: Auch wenn das Kapital und die Macht im Aufsichtsrat ist, ist dies keine Garantie dafür, dass Unfälle verhindert werden. Beispiel ist auch hier die M+S AG. Chefaufseher Hans E. Damisch, der viel früher auf die Ablösung des Vorstandsvorsitzenden hätte drängen müssen, ist im Hauptberuf Sprecher der Geschäftsführung der BdW Beteiligungsgesellschaft für die deutsche Wirtschaft GmbH in Frankfurt, die rund ein Drittel der M+S-Aktien hält.

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