Mit freundlichen Grüßen ...

11.09.2003

ComputerPartner

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DCI AG

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Herrn Michael Mohr

Enzianstraße 2

82319 Starnberg

München, 08.09.2003

"Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können."

Sehr geehrter Herr Mohr,

nur noch 15 Wochen bis Weihnachten, und Sie wissen noch immer nicht, was Sie sich wünschen sollen? Kein Problem, als serviceorientierte Fachzeitschrift haben wir einen Tipp für Sie. Was zum Lesen, nämlich das Buch "Wie wir waren. Die wilden Jahre der Web-Generation" von Constantin Gillies. Auch derjenige, der ansonsten ein eher distanziertes Verhältnis zum geschriebenen Wort hat, wird an diesen 270 Seiten jede Menge Spaß haben. Ob man - wie Sie - als Teil der so genannten New Economy diesen bizarren Irrsinn selbst erlebt hat, oder ob man schon damals als Außenstehender das Ganze fasziniert und mehr oder minder fassungslos betrachtete - die Lektüre lohnt sich.

Gillies erzählt jede Menge Geschichten und Anekdoten aus der wilden Zeit der Internetfirmen, und er tut dies auf eine sehr amüsante Art. Ein paar Beispiele:

- Viele Newcomer der Internetszene, schreibt Gillies, hatten zwar keine Ahnung von der Technik, galten aber trotzdem als Experten. "Das war wie mit diesen Nahost-Kennern im Fernsehen, die sich dadurch qualifizieren, dass ihre Omi mal eine israelische Zigarette geraucht hat."

- Wichtig war, dass jeder Internetunternehmer eine "Story" zu erzählen hatte: "Zum ersten Mal in der Wirtschaftsgeschichte war eine Geschichte wichtiger als die Wirtschaft selbst."

- Jede Internet-Butze hatte eine "Killer-Applikation, also eine Erfindung in der Größenordnung Feuer, Rad oder Buchdruck".

- Manche Jungspunde aus der Internetszene verloren aufgrund der riesigen Geldsummen, die ihnen plötzlich zur Verfügung standen, den Bodenkontakt: So wie diese "Jungs Anfang Zwanzig", die auftraten, "als würde bei ihnen Donald Trump die Toilette putzen".

- Auch räumt Gillies mit dem Vorurteil auf, in den Firmen der New Economy sei alles Friede, Freude, Eierkuchen gewesen: "Sind Großkonzerne schon ein Haifischbecken, war die New Economy ein Aquarium voll Piranhas nach drei Wochen Brigitte-Diät."

Gillies will mit diesem Buch, wie er im "Intro" schreibt, "die Sicherheitskopie eines Lebensgefühls" geben. Schon diese Formulierung ist bezeichnend: Die New Economy als ein Lebensgefühl, und was von ihr bleibt oder geblieben ist, ist die Erinnerung daran. Aber das ist ja auch schon etwas wert. Denn die Erinnerung, wusste der deutsche Dichter Jean Paul (1763-1825), "ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können". Der Spruch wird übrigens gerne auf Grabsteinen eingemeißelt. Passt ja irgendwie auch zur New Economy, nicht wahr? Nur dass die New Economy nicht unbedingt das war, was man sich für gewöhnlich unter dem Paradies vorstellt.

Mit freundlichen Grüßen

Damian Sicking

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