Mit Volldampf in die Nische

28.11.2002

Wenn es nach dem Willen von Logitech geht, ist das Ende der "Zettelwirtschaft" in Sicht. Stattdessen soll die Zukunft einem digitalen Stift namens "io" gehören, der handschriftliche Notizen elektronisch erfassen und in den Computer bringen kann. Obwohl das Gerät (siehe Artikel "Schreiben, speichern, Daten übertragen - alles mit einem Stift" auf Seite 40) von Funktion und Aussehen her durchaus gelungen ist, wird es ein klassischer Ladenhüter werden. Denn was für viele neu auf den Markt kommende Produkte gilt, trifft auch hier zu: Wenn das "Drumherum" nicht stimmt, kann das Gerät noch so überzeugend und fehlerfrei arbeiten, wie es will. Auch Visionen oder Strategien des Herstellers allein, wie es den Arbeitsalltag und das Leben erleichtern würde, fördern nicht seinen Verkauf. Bei zu viel Skepsis lässt es der Kunde einfach im Regal liegen.

Logitech will mit dem io vor allem Ingenieure, Architekten, gut betuchte Studenten und Angestellte im Außendienst adressieren. Und der Hersteller hat Großes vor: Schon in den ersten sechs Monaten will er in Deutschland etwa 15.000 digitale Stifte verkaufen. Wenn das mal kein Wunschtraum bleibt! Denn mehr als einen Nischenplatz wird der io wohl nicht erobern.

Da ist zum einen der Preis: 249 Euro sind für ein Gerät aus der Kategorie der "Nice to have"-Produkte entschieden zu viel. Hinzu kommen die laufenden Kosten. Wer den digitalen Stift regelmäßig und ausführlich nutzt, wird schon bald neue Papier- oder Post-It-Blöcke benötigen. Und sieben Euro für 50 Blatt Papier beziehungsweise fünf Euro für 50 Post-It-Zettel sind auch kein Pappenstiel.

Es geht nämlich auch billiger: Ein herkömmlicher Flachbildscanner ist schon für weniger als 100 Euro zu haben. Dann reicht es, unterwegs etwas mit einem gewöhnlichen Stift auf gewöhnlichem Papier zu schreiben und die Aufzeichnungen später am Arbeitsplatz einzuscannen. Text, Bilder, Grafiken - alles. Dazu noch in Farbe, was Logitechs Digitalstift nicht kann.

Dumm auch, dass es während eines langweiligen Meetings mit dem io nicht mehr einfach so möglich ist, den Notizzettel als Schmierzettel zu gebrauchen. Denn sämtliche Schmierereien, Kritzeleien, Zeichnungen und Geheimbotschaften erscheinen nach der nächsten Synchronisation auf dem Rechner und sind für alle Zeiten mit der neu geschaffenen Datei verankert. Außer sie werden nachträglich von Hand gelöscht.

Verfechter des io versprechen, dass die so genannte "Zettelwirtschaft" vom Arbeitsplatz verschwindet. Genau das wird aber nicht der Fall sein: Neben einer Papiersammlung auf dem Tisch werden sich die Notizblätter künftig auch auf der Festplatte in unzähligen Dateien stapeln. Was bedeutet, dass der Anwender sich dann um eine doppelte "Zettelwirtschaft" kümmern muss. Und Vorsicht, wenn ein Mitarbeiter irgendwie an den io seines Chefs kommt! Da eine Sicherheitsabfrage im digitalen Stift fehlt, könnte der Mitarbeiter über seine eigene Dockingstation die Notizen seines Chefs lesen.

Fehlt noch ein Punkt, der nicht zu unterschätzen ist und der ebenfalls gegen einen Verkaufsschlager spricht: In den Köpfen der meisten Menschen ist ein Gerät, mit dem man etwas niederschreibt, immer noch lediglich ein Stift - und nichts anderes. Und ein Computer ist ein Computer. Dass die technische Entwicklung mittlerweile so weit ist, die beiden Sachen miteinander zu "verknüpfen", daran wird sich die Menschheit erst noch gewöhnen müssen. Und bis dahin fährt Logitech mit dem io erstmal mit Volldampf in die Nische.

Christian Töpfer

ctoepfer@computerpartner.de

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