Nach Umsatz -und Gewinnwarnung

10.01.1998

MÜNCHEN: Die Aktie des ungarischen CAD-Spezialisten Graphisoft hat die Abkühlung am Neuen Markt stark zu sprüren bekommen. Einer der Gründe für den Kursrutsch ist in der vor kurzem ausgegebenen Umsatz- und Gewinnwarnung des Unternehmens zu sehen.Das Aktie galt als Hoffnungswert. Zwischen 85 und 120 Mark war sie Anlegern im vorbörslichen Telefonhandel wert. Parallel zum Ertragswachstum sollte sie steigen, prognostizierten Banker. "Die Emission läuft bombig", ließen sich Frankfurter Fondsmanager im Vorfeld siegessicher vernehmen. Und Gçbor Bojçr strotzte vor Selbstbewußtsein: "Microsoft war auch mal sehr viel keiner als IBM."

Mit Vergleichen dieser Art dürfte sich der ungarische Firmengründer und CEO derzeit in Zurückhaltung üben. Denn die Anfang Juni dieses Jahres mit 40 Mark ausgegebene Aktie erlebte in den letzten Wochen eine rasante Talfahrt und wurde am 22. September nur mehr bei 23 Mark gehandelt. Anders ausgedrückt: Der CAD-Titel liegt mit fast 50 Prozent im Minus und gehört derzeit zu den am niedrigsten notierten Wertpapieren am Frankfurter Neuen Markt.

Mehrere Gründe führten zum Einbruch der Aktie. Wie auch andere Unternehmen geriet Graphisoft Ende August in den Strudel der Rubelkrise. Schwerer noch dürfte der jungen Aktie jedoch eine im September veröffentlichte Firmenmeldung zu schaffen gemacht haben. Darin korrigierte das Unternehmen die Umsatz- und Ertragsprognose für das dritte und vierte Quartal 1998 nach unten. Als Gründe nannten die Ungarn die Asienkrise und die "Abschwächung einiger lokaler Märkte".

Gleichzeitig betonte Firmenchef Bo-jçr, daß die Umsätze in Deutschland und in den USA in den ersten sechs Monaten dieses Jahres "deutlich über den Zielen" lagen. Die Zahlen in Kürze: 1997 erwirtschaftete die CAD-Softwarefirma weltweit über 38 Millionen Mark und lag damit rund 35 Prozent über den Vorjahreseinnahmen. Mit 20,1 Millionen Mark Umsatz konnte im ersten Halbjahr 1998 der Aufwärtstrend weiter fortgesetzt werden. Beeindruckend las sich für Finanzanalysten die Ertragsbilanz der Ungarn. Rund ein Viertel des Umsatzes konnte 1997 als Nettogewinn ausgewiesen werden. In den ersten sechs Monaten lag Graphisoft mit 4,9 Millionen Mark Gewinn bereits wieder mit 40 Prozent über dem Vorjahresergebnis. Aufgeschreckt wurden Anleger jetzt von einem Warnschuß, mit dem sich das Unternehmen von der Umsatz- und Gewinnprognose für dieses Jahr distanzierte. 48 Millionen Mark sollten es 1998 sein. 75 Millionen Mark wurden für das Jahr 2000 vorausgesagt.

Kein Pardon bei Umsatz- und Gewinnrevision

An der Solidität des Unternehmens läßt Siegfried Mühlbauer, kaufmännischer Leiter und stellvertretender Geschäftsführer bei Graphisoft München, nicht den geringsten Zweifel aufkommen. "Aufgrund der Unternehmensdaten ist der Kursverlust nicht erklärbar", gibt er zu verstehen. Risikofaktoren sind allenfalls in der Abhängigkeit von Macintosh-Anwendern zu sehen, wie es im Emissionsprospekt heißt. Einem noch lau-fenden Verfahren einer Ex-Angestellten, die wegen Ideenklaus vor den US-Kadi zog, sieht Mühlbauer gelassen entgegen: "Wir haben keine Sorge, das Verfahren nicht zu ge-winnen." Die Neuemission Graphisoft dürfte somit ein weiteres Exempel dafür sein, daß Abstriche bei Ertrags- und Umsatzprognosen am Neuen Markt von Anlegerseite hart bestraft werden.

1982 in Budapest gegründet, firmiert das Unternehmen als holländische Aktiengesellschaft und ging als solche Anfang Juni an den Frankfurter Börsenplatz. Nach wie vor haben die Entwickler der Softwareschmiede ihre Zelte in Ungarn aufgeschlagen. "ArchiCAD", eine Software mit der sich Gebäude dreidimensional am Monitor entwerfen lassen, adressiert Architekturbüros und die Bauwirtschaft. Mit dem CAD-Produkt will Bojçr vor allem dem US-Anbieter Autodesk, der vorwiegend noch 2D-Lösungen vertreibt, die Zähne zeigen. Aber auch die Wettbewerber Bentley Systems und Nemetschek lassen grüßen.

Die Software ist heute in 22 Sprachen und in 80 Ländern zu haben. 45.000 Architekten und Bauingenieure rund um den Globus arbeiten laut Anbieter mit dem Produkt aus Ungarn. Insgesamt 200 Mitarbeiter sind in Büros in Dubai, Hongkong, London, Madrid, München, San Francisco und Tokio beschäftigt. Wichtigster Markt nach Japan ist Deutschland. Hier wird ArchiCAD über 32 Fachhändler aus-schließlich indirekt vermarktet.

Während sich das Unternehmen wo-möglich auf eine längere Geduldsprobe am Finanzmarkt Frankfurt einstellen muß, wurde Mitte September der "Graphisoft Park" in Budapest offiziell eingeweiht. In diesem unweit der Donau gelegenen Technologiepark residieren neben dem CAD-Spezialisten weitere IT-Unternehmen, darunter auch US-Player wie beispielsweise Microsoft. (god)

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