Perspektiven des Online-Handels

20.08.1998

MÜNCHEN: Distributoren nutzen das Web bereits zum Schutz ihrer Marktanteile, zur Kostensenkung und zur Verbesserung des Service. Für die Wahrung der Profitabilität jedoch müssen auch die Großhändler über die Bestellaufnahme hinausgehen und in werterweiternde Dienste investieren. So lautet der Tenor einer Untersuchung dreier Analysten des Marktforschers Forrester Research*.Webbasierte Dienste werden dem Zwischenhandel neue Flügel verleihen. Doch Fliegen will gelernt sein: Amerikanische Hersteller und Kunden beobachten aus sicherer Entfernung die Duelle, die Händler untereinander austragen, um ihre Position zu beweisen, ihre Marktanteile zu sichern, ihre Margen zu verteidigen. War das Geschäftsmodell des Distributors lange Zeit völlig gradlinig, nämlich en gros vom Hersteller kaufen und paketweise dem Unternehmenskunden weiterverkaufen, wird sich unter dem Einfluß des Internet bald ein anderes Bild ergeben.

Über die Zukunft der Händler im Web wurden Firmenleiter von fünfzig Online-Großhändlern aus allen Märkten befragt. Darüber hinaus kamen Internetvermittler, wie Digital Market, Fair Market und Fast Parts, sowie kundennahe Online-Hersteller, wie Dell, Gateway 2000 und Micron Electronics, zu Wort. Auch die Handelsvereinigungen wurden mit einbezogen.

Online-Kampf um Kunden

Die Ergebnisse lesen sich wie folgt: Mit drei Vierteln geht der weitaus größte Teil der befragten Unternehmen online, um den eigenen Marktanteil zu schützen oder zu erweitern. Über die Hälfte nutzt das Internet, um Betriebskosten zu senken. Ein ganzes Drittel der Firmen setzt das Netz zur Verbesserung des Kundendienstes ein. Wie ein Großhändler für Baumaterialien klarstellt: Geschäfte im Internet führen zu können, wird Bedingung. Fehlt die Netzfähigkeit, wandert die Kundschaft ab. Mit dem Net ist es wie mit einer Lieferung am nächsten Tag: Hat einmal eine Firma damit angefangen, müssen alle anderen nachziehen. Dabei ist die größte Herausforderung die Technik. Zuanfangs beschränken sich die Händler meist auf den einfachen Informationsaustausch, wie Onlinekataloge und Kundenservice. Erst dann folgen die komplexeren Funktionen der Onlinebestellung und -bezahlung. Sorgen aber bereiteten hier "die lückenhafte Sicherheits- und Verschlüsselungstechnik", wie ein Pharmagroßhändler meint.

Zum Lohn der Online-Mühen aber winkt eine Steigerung der Betriebsmargen. Beinahe die Hälfte der Distributoren erklärten, sie würden online höhere Handelsspannen einfahren. Der Arbeitsaufwand sinke, und es müßten weniger Papierkataloge versandt werden, denn die Kunden bezögen ihre Informationen über das Web. "Wir haben Kosteneinsparungen von 25 bis 30 Prozent realisiert, seit wir unseren Katalog online unterhalten", freut sich ein Händler für Computerausrüstung. Ein anderer Händler hofft: "Sobald wir voll automatisiert sind, erwarte ich eine 30 bis 50prozentige Reduktion der Kosten für Auftragseingang und Verarbeitung. Allein die Einsparungen bei Druck und Versand werden enorm sein."

Allerdings, so steht zu befürchten, wird diese Margensteigerung nicht von Dauer sein. Insgesamt rechnen die Großhändler für die nahe Zukunft damit, daß die verringerten Kosten auch die Preise drücken werden. Um die Margen aufrecht halten zu können, werden die Händler deshalb besseren Service anbieten müssen. "Wir wandeln uns zum Just-in-time-Distributor - unsere Kunden verlangen nach erweiterten Online-Bestellmöglichkeiten. Sie wollen auch Dienste wie Kontenanalysen.

Um überleben zu können, werden wir neben Produkten auch mit Informationen handeln müssen, beurteilen einige Großhändler ihre Lage. Wie ein Computerausrüstungshändler bestätigt, könne "ein Verkäufer nicht mehr einfach nur Bestellungen aufnehmen ... Wenn Sie im Preis nicht mehr mithalten können, müssen Sie es halt über den Service versuchen".

"Just in Time"-Dienste bringen Kunden und Geld

Neue, werterweiternde Dienste werden die Existenz des Distributors neu definieren. Dies gilt zum einen gegenüber den Herstellern. Je mehr sich der Handel über das Internet ausdehnt, desto mehr werden diese die Distributoren als Vermittler brauchen. Selbst Hersteller wie Cisco und Avery Denison, die beeindruckende Handelssites unterhalten, verfügen nicht über die kostspielige Infrastruktur - Verkäufer und Supportpersonal -, um den Handel mit Millionen von Endbenutzern zu führen. Online hängen sie weiterhin von Zwischenhändlern ab.

Zum anderen verlangen auch die Kunden danach. Im Web wie im physischen Markt brauchen die Käufer noch immer den Händler, wenn sie Produkte von im Wettbewerb stehenden Lieferanten zusammenkaufen wollen. Der Onlinekäufer verlässt sich hier auf den Händler, um die Masse von Optionen zu sieben. Hier punktet einer der wichtigsten Vorteile des elektronischen Marktes gegenüber den traditionellen Verkaufsformen: Information ist billig zu liefern. So reduzieren sich etwa die Papierkatalogkosten im Online-Vertrieb (anteilig zu den Verkaufsumsätzen) um 40 Prozent. Zudem gehen die Ausgaben für die Kundendienstlöhne um fast fünf Prozent zurück, da sich die Kunden über FAQs (Listen mit häufig gestellten Fragen) im Web informieren, anstatt gleich anzurufen.

Einkaufsklubs und -services

Es ist diese Effizienz des Internet bei der Verbreitung von Informationen, wie beispielsweise von Prognosen und Lagerkapazitäten, die den Zwischenhändler in den Mittelpunkt des Warenumschlags rücken wird. In der Zeit vor dem Internet war "EDI" die einzige elektronische Alternative. Heute können Händler mit Back-end-Systemen und Informationsflüssen zwischen zweierlei Klassen von prozeßbasierten Diensten unterscheiden:

Ð Produktion auf Bestellung. Händler wie beispielsweise Microage bedienen sich des Online-Konfigurationstools von Trilogy, um ihren Kunden spezifische Produkte zu liefern. Dies verlangt nach einer raschen Fertigung mittels billiger Informationsverbindungen vom Hersteller zu Partnern und Käufern.

Ð Herstellerverwaltetes Inventar. Ingram Micro etwa wird die Lagerhaltung ihrer Detailhändler übernehmen. Gemeinsam wird ein Modell für Vorrat, Zahlungsweisen und Buchhaltung ermittelt. Herrscht Ebbe im Lager, werden Point-of-sale-Systeme Ingram online alarmieren.

Weil das Internet die Vorausberechnung der Kundenforderungen ermöglicht, werden die Regale wieder aufgefüllt sein, bevor frustrierte Kunden Amok laufen. Schon bisher gilt: je umsatzstärker der Großhändler, desto besser seine Kostenstruktur.

Die geringeren Kosten der Auftragsausführung im Internet werden

künftig die Gier der Industrie, durch Konsolidierung neue Kunden zu gewinnen, noch beschleunigen. Daraus werden zwei Arten von großen Händlern hervorgehen:

- Einkaufsklubs. Es wird immer einen Platz geben für Billiglieferanten. Wenn eine Neufirma billige Schreibtische braucht, haben Onlinefirmen das Geeignete im Angebot. Aber wenn der Käufer schnelle Hilfe für die Reparatur eines Faxgerätes braucht, nützt eine solche Firma nichts. Um die Kaufkraft bei den Herstellern zu steigern, werden Unternehmensclubs kleine und mittlere Händler verschiedener Märkte aufkaufen, die für ihre tiefen Preise bekannt sind.

- Distributoren mit umfassendem Service. Firmen werden sowohl gute Preise als auch prozessbasierte Dienste online anbieten. Kostenanalyse, herstellerverwaltete Inventare und Just-in-time-Lieferung bringen höhere Marktanteile sowie Preisvorteile. Volldienstverteiler werden rasch, aber selektiv wachsen, um ihre Marktnische zu schützen. Sie werden bekannte, serviceorientierte Großhändler in neuen geografischen Märkten kaufen, um ihre Reichweite und Kaufkraft zu intensivieren.

Nur Speziaisten werden überleben

Daneben werden sich die kleinen Spezialisten einrichten. Kleine und mittlere Online-Anbieter erhalten von den Herstellern nicht genug Rabatte, um im Preiskampf mitzuhalten. Die Alternative dazu ist die Konzentration auf eine andere Quelle preiswerter Güter - Produktionsüberschüsse - oder das Anbieten von Dienstleistungen in einem spezialisierten Markt.

Überproduktionen werden letztlich die einzige Quelle hoher Rabatte sein, an die kleine Händler herankommen. Auch wenn der Echtzeit-Informationsfluß diese Art Handel erleichtert, ist es, langfristig gesehen, kein Wachstumsmarkt. Lieferanten haben ein Interesse daran, die Überproduktion so klein wie möglich zu halten. Je ausgefeilter das Stellen von Prognosen wird, desto eher wird die Überproduktion nachlassen. Spezialisten werden sich demnach langfristig auf bestimmte Märkte konzentrieren müssen, beispielsweise den Markt für Ausbildungsmaterial.

Der Mangel an zutreffenden Prognosen und Echtzeitinformation hat die Hersteller immer dazu gezwungen, vorrätig zu produzieren. Dank der Kommunikation über das Internet in Echtzeit können Hersteller einen Schritt weitergehen und die Produktion als Ganzes auslagern. Sie werden nicht mehr durch die Angst vor Engpässen gezwungen sein, die direkte Kontrolle über die Produktion zu behalten.

Neue Rolle für Hersteller

Die Distributoren müssen von ihrer Existenz als Zwischenglied loskommen und zu Partnern von Herstellern und Endverkäufern werden. Eine neue Generation von Internet-fähigen Grossisten wird den Wettbewerbsvorteil Service wahrnehmen, um sich von der Masse abzuheben. Onlinehändler können für ihre Kundschaft individuelle, preiswerte Kostenanalysen und -empfehlungen durchführen. Und ist das Inventar kundenspezifisch abgestimmt, können die Lagerkosten von Käufer wie Verkäufer auf ein Minimum reduziert werden.

Webfähige Dienste ermöglichen

auf diesem Wege erstmals, daß sich Angebot und Nachfrage auf Distributorenebene abwickeln. Die Inventarverwaltung durch den Hersteller wird die Vorhersage der Nachfrage konkretisieren, und das auftragsgerechte Zusammenbauen wird das Risiko der Überproduktion verringern. Übernehmen Händler Funktionen wie Montage oder Nachkaufsupport, so werden schließlich auch die Hersteller ihre Rolle neu zu definieren haben.

*Autoren: Maria LaTour, Kadison Blane, Erwin Michael Putnam.

Dieser - redaktionell überarbeitete und gekürzte - Beitrag erschien erstmals in der ComputerPartner-Schwesterzeitschrift ComputerWorld. (al)

Manche Hersteller wie Cisco unterhalten beeindruckende Handelssites.

Doch auch online brauchen sie weiter den Zwischenhändler.

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