Preisverfall zum Start des neuen Betriebssystems

07.09.1998

München: Seit dem 25. Juni gibt es nun das Betriebssystem Windows 98 im Laden zu kaufen. Doch mit einer Hysterie ähnlich der beim Start von Windows 95 rechnete selbst Microsoft nicht. Zu gering sind die Unterschiede zur Vorgängerversion. Den Hauptumsatz wird insbesondere das OEM-Geschäft bringen.Die Marktforschungsspezialisten von Dataquest prognostizieren dem Softwaregiganten Microsoft bis zum Jahresende einen weltweiten Umsatz von rund 400 Millionen Dollar durch die Einführung von Windows 98. Das neue Betriebssystem werde, so die Ansicht der Experten, 1998 auf 51 Prozent aller neuen Personal Computer installiert sein.

Microsoft geht davon aus, daß schon in einem Monat 90 Prozent aller fabrikneuen Rechner mit dem neuen Betriebssystem ausgestattet sein werden. Daß ein Run auf die Software der Redmonder einsetze, wie bei der Einführung des Vorgängers Windows 95, glaubt inzwischen jedoch niemand mehr. Anders als vor drei Jahren, als die Läden von Konsumenten weltweit regelrecht gestürmt wurden, zeigen sich Privatanwender und Unternehmen von Windows 98 bisher unbeeindruckt. Den Löwenanteil des Umsatzes werden die OEM-Partner durch die Lizensierung neuer Komplettrechner bringen.

Zu wenig Neuerungen

Während Windows 95 grundlegende Neuerungen, wie Fat 32 oder eine komplett überarbeitete Bedienungsoberfläche, erbrachte, stellt die neuste Windows-Variante hauptsächlich eine aktualisierte Treibersammlung mit kosmetischen Korrekturen dar. Die wichtigste Neuerung, die umstrittene Integration des hauseigenen WWW-Browsers "Internet Explorer" in das Betriebssystem, könnte unter Umständen wieder zum alten Eisen werden, wenn am 8. September in Washington die Hauptverhandlung im Monopolverfahren gegen Microsoft eröffnet wird. In der Kartellklage der US-Justizbehörden wird beanstandet, daß Microsoft durch die Integration des Browsers seine marktbeherrschende Stellung bei Betriebssystemen ausnutze, um Konkurrenten aus dem Geschäft zu drängen.

Händler zeigen sich züruckhaltend bis skeptisch

Bereits im Vorfeld der Markteinführung führte das Kasseler Marktforschungsunternehmen TechConsult im Auftrag von ComputerPartner eine Händlerbefragung zum Thema Windows 98 durch. 168 Unternehmen wurden zu ihrer grundsätzlichen Haltung gegenüber dem bevorstehenden Marktstart befragt. Danach gaben sich die Wiederverkäufer deutlich zurückhaltend, was die Erfolgsaussichten des neuen Betriebssystems anbetrifft: So gehen 51 Prozent der Befragten davon aus, daß sich die neue Software nicht zum Verkaufsrenner entwickeln wird. Sogar nur 36 Prozent wollen ihren Kunden in Zukunft zum Kauf von Windows 98 raten. Die Knebelverträge der Markteinführung von Win 95 mit horrenden Abnahmepflichten noch in Erinnerung, gaben 57 Prozent der Händler an, sich diesmal nicht an speziellen Marketingaktionen zur Einführung des neuen Systems beteiligen zu wollen.

Wenige Tage nach dem Marktstart befragte ComputerPartner mehrere PC-Fachhändler zu den ersten Kundenkontakten und deren Einschätzung zum Thema Windows 98. Neben der mangelnden Kundennachfrage war der bereits gefallene Verkaufspreis das beherrschende Thema. Vom seitens Microsoft angedachten Verkaufspreis von 199 Mark spricht bereits niemand mehr. 179 Mark kostet das Paket im Schnitt - bei besonders scharf kalkulierenden Wiederverkäufern ist das Update seit Verkaufsstart für 169 Mark oder sogar darunter zu haben. Bei einem Einkaufspreis von 145 Mark plus Steuer wird die Einführung einer neuen Software damit zum reinen Durchschiebegeschäft.

Erwin Nützl, Mitglied der Geschäftsführung beim PC-Fachhändler Seemüller GmbH in München: Die Nachfrage nach Windows 98 war bisher sehr gering. Um an der von Microsoft gestarteten Werbeaktion teilzunehmen, mußten wir eine Palette mit 420 Stück abnehmen. Die Werbeaktion ist jedoch in die Hose gegangen, weil Vobis nicht daran teilgenommen hat, sondern lieber eine eigene Werbung geschaltet hat. Da Microsoft sich nicht dazu entschlossen hat, den angestrebten Verkaufpreis von 199 Mark für das Update zu kommunizieren, wurde der Preis bereits vom ersten Verkaufstag an auf 169 Mark heruntergezogen. Wir haben bisher 110 Pakete verkauft, was unseren Vorstellungen zwar entspricht, allerdings sind wir von einer anderen Preisbasis ausgegangen.

Der Durchschnittskunde hat nicht die Sichtweise und das Know-how, an Windows 98 vorbeizugehen. Ob jemand heute schon das neue Betriebssystem einzeln oder durch einen neuen Rechner in einem halben Jahr erwirbt, macht keinen Unterschied. Es ist gar nicht zu verhindern, daß Windows 98 innerhalb kürzester Zeit zum Standard avanciert.

Stefan Nevi, zuständig für Einkauf und Verkauf beim Münchener PC-Fachhändler Pro Net Electronics Vertriebs GmbH: Die Nachfrage nach Windows 98 lief bei uns besser als erwartet. Wir hatten 20 Pakete mit Updates bestellt, und diese waren gleich in den ersten Tagen vergriffen - das ist für uns, als hardwarelastiges Geschäft, verhältnismäßig viel. Leider ist das mit der Ware bestellte Werbematerial bis heute nicht bei uns eingetroffen.

Karl-Erich Weber, Inhaber des PC-Fachgeschäftes Computerlädche in Böhl-Iggelheim: Von den sechzig Paketen des Windows 98 Update haben wir dank der tollen Werbe-Unterstützung des Herstellers in Funk und Fernsehen bis dato genau null Stück verkauft. Noch nicht einmal die Händler-Produktausstattung ist eingetroffen. Genau genommen haben wir überhaupt keine Verkaufsunterstützung erhalten, weder von Microsoft noch von unserem Distributor Computer 2000 - und das bei einem Einkaufsvolumen von immerhin rund 10.000 Mark. Bezüglich der Werbung von Microsoft ist es noch katastrophaler als beim Start von Windows 95. Wir schalten jetzt nochmals regional Anzeigen und werben im Schriftverkehr mit einem besonders attraktiven Angebot für unsere Stammkunden. Sollte auch das nicht den gewünschten Erfolg haben, werden wir versuchen, die Ware zu retournieren.

Nachfrage ist so gut wie nicht vorhanden, und die Vorteile von Windows 98 wirken sich für Update-Kunden nicht aus, da neu unterstützte Hardware wie USB oder AGP auf den älteren Maschinen nicht vorhanden ist. Wir empfehlen Windows 98 für Benutzer von 3.11 und den älteren Versionen von Windows 95.

Jürgen Lohner, PC-Berater bei der Fröschl J. & Co. GmbH in München: Die Nachfrage ist nicht mit der bei der Einführung von Windows 95 zu vergleichen. Wir hatten nur 20 Pakete bestellt, die wurden auch alle verkauft. Bei Windows 95 waren es im gleichen Zeitraum aber wesentlich mehr. An speziellen Marketingaktionen haben wir nicht teilgenommen. Daß der Preis gleich auf 169 Mark heruntergezogen wurde, ist schade, denn 200 Mark lassen sich für die Neuheit problemlos vertreten.

Walter Wittig, PC-Abteilungsleiter beim Großflächenvermarkter Pro Markt GmbH in Gersthofen: Die Nachfrage nach Windows 98 war zwar nicht so stark wie bei Windows 95, dennoch aber gut. Wir haben in vier Tagen 60 Update-Pakete verkauft. Auch wir vermarkten die Software für 169 Mark, für mich ein angemessener Preis, da sie mehr ein Upgrade als ein Update ist. An Marketingaktionen zur Neueinführung haben wir nicht teilgenommen.

Kundenberatungen sind immer vom Einzelfall abhängig. Bei gut funktionierenden Rechnern mit Windows 95 ist es jedoch sinnlos, auf das neue System umzusteigen.

Karsten Schönfeld, Filialleiter beim Retailer Vobis in München, Zweigstelle Ingolstädter Straße: Wir wußten von vornherein, daß Windows 98 nicht so gut anlaufen wird wie Windows 95. Insofern hat uns die geringe Nachfrage nicht überrascht. Innerhalb von vier Tagen haben wir 26 Updates verkauft. Der Straßenpreis von 169 Mark geht in Ordnung und ist dem Produkt angemessen.

Die meisten Kunden, die in den Laden kommen, wissen schon, daß sie Windows 98 haben wollen, daher kommt dabei keine Beratung zustande. Ansonsten versuchen wir individuell zu analysieren, ob für den Kunden das neue System sinnvoll ist oder er bei Win 95 bleiben sollte. (akl)

Wunschdenken: In der Realität bleibt der erhoffte Ansturm auf die Windows-98-Pakete aus.

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