Schulhofpiraterie bedroht den Handel

28.10.1999

HAMBURG: CD-Rs kosten heute nur noch Pfennige, und Musik läßt sich schnell illegal aus dem Internet herunterladen. Dem Handel entgehen Millionenbeträge. Was tut die deutsche Rechtsprechung?Sind CD-Brenner und MP3-Files eine Chance oder eine Bedrohung für den Handel?

So oder ähnlich lautete eine der meistgestellten Fragen der letzten Monate. Und die Antwort lautet fast ebenso kurz: Bespielbare CDs

(CD-Rs, CD-RWs) und hochwertige Internet-Musikdateien (im MP3-

Kompressionsformat) nebst den zugehörigen Computerchip-Abspielgeräten (MP3-Player) stehen in der Tat gegenwärtig für eine der massivsten Bedrohungen der internationalen Musikindustrie, halten aber zugleich große Chancen bereit - wenn die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen stimmen.

Das Bedrohungs-Szenarium

Bespielbare CDs sind nicht einfach nur die moderne Form der Kompaktkassette (MC). Zum ersten Mal in der Geschichte des privaten Kopierens ist es möglich, ein perfektes Klon - den identischen Zwilling einer CD mit allen Eigenschaften des Originals - herzustellen. Das mühselige Hin- und Herspulen, das Aussteuern der Aufnahme und die Probleme bei der Ausnutzung der Bandlänge entfallen vollständig. Alles, was nach dem Überspielen noch fehlt, sind die Produktinformationen der Originaleinlegeblätter.

Kein Wunder, daß der Tonträgerhandel seit Monaten ein Phänomen verzeichnet, das früher völlig unbekannt war: massiver Diebstahl von leeren Originalboxen. Längst hat sich das Kopieren von CDs, ob über den preiswerten CD-Brenner für den Heimcomputer oder einen der hochkomfortablen Audio-CD-Rekorder, wie sie seit dem Weihnachtsgeschäft von einer Reihe Heimelektronik-Anbietern auf den Markt geworfen worden sind, zu einer völlig neuen Form der "Schulhofpiraterie" entwickelt.

Schulhofpiraterie

Gleich klassenstufenweise werden aktuelle Top-Titel kopiert und untergraben die Geschäfte der ortsansässigen Tonträgerhändler. Bei den Verbänden melden sich schon die ersten CD-Geschäfte im Einzugsbereich großer Schulen, die befürchten, angesichts dieser Konkurrenz das Handtuch werfen zu müssen. Doch selbst wenn sich alle Besitzer der neuen Geräte an die Regeln des Urheberrechts hielten und ausschließlich einzelne Stücke für den privaten Gebrauch herstellten, blieben die Auswirkungen katastrophal, da der Substitutionseffekt bei bespielten CDs ungleich größer ausfällt als beim Kopieren auf Kassette. Damit rückt das Problem der privaten CD-Kopie selbst im gesetzlich zugelassenen Bereich wirtschaftlich in die Nähe der Tonträgerpiraterie. Für die Tonträgerhersteller, die ausübenden Künstler und die Musikautoren macht es keinen Unterschied, ob ihnen die ihnen zustehenden Lizenzen dadurch entgehen, daß 100.000 Piraterie-CDs aus Osteuropa auf den deutschen Markt strömen oder ob 20.000mal fünf Privatkopien gebrannt werden.

Leermedienabgabe von zwölf Pfennig

Es klingt fast unglaublich, aber auch für bespielbare CDs gilt die alte Leermedienabgabe von zwölf Pfennig pro Stunde Spielzeit, die vor Jahrzehnten einmal für Spulentonbänder und Kompaktkassetten eingeführt worden war. Diese zwölf Pfennig müssen sich sämtliche Berechtigte, das heißt Komponisten, Textdichter, ausübende Künstler und Tonträgerhersteller, teilen. Zum Vergleich: Der Wert der auf einer handelsüblichen bespielten CD liegenden Lizenzen beträgt zwischen fünf und acht Mark.

Sorgenkind MP3

Hochwertige Musikqualität im Internet, das ist heute gleichbedeutend mit MP3. Dieses Datenkompressionsverfahren, bei dem die Gesamtmenge der auf einer CD enthaltenen Digitalinformation auf ein Zwöftel reduziert wird, hat die Online-Musiklieferung in hoher Klangqualität erst möglich gemacht. Längst stehen neue, noch leistungsfähigere Verfahren zur Verfügung, doch hat sich MP3 einstweilen durchgesetzt, schon wegen der leichten Erreichbarkeit der Software.

Der ganz überwiegende Teil der Musikangebote in diesem Format ist jedoch ohne Erlaubnis der berechtigten Autoren, ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller ins Netz gestellt worden und damit echte Piraterie. Entgegen der verbreiteten Ansicht ist es nicht erlaubt, sich solche Pirateriedateien auf den heimischen Computer oder andere Aufnahmemedien herunterzuladen. Das Speichern dieser illegalen Dateien ist ein integraler Bestandteil des Piraterieakts und nicht von den Regeln für das private Vervielfältigen gedeckt. Insofern macht es Sorge, daß inzwischen technisch hochattraktive Geräte angeboten werden, die - längst zum Scheckkartenformat geschrumpft - mit Chiptechnologie, das heißt völlig ohne bewegliche Teile, die mobile Nutzung der MP3-Dateien ermöglichen. Solche Geräte steigern die Attraktivität der Piraterieangebote.

Die Tonträgerhersteller sind weit entfernt davon, die gewaltigen technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu verkennen, die Datenkompressionsverfahren und neue Aufnahmetechnologien auch für sie

bereithalten. Sie haben dies mit dem bahnbrechenden Pilotprojekt "Music on Demand" in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom längst unter Beweis gestellt.

Die Chancen

Gerade dieses Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, wo die Einsatzfelder für die neue Technologie hätten liegen können, wenn die Hardwareindustrie die Gesprächsangebote der Tonträgerhersteller aufgegriffen hätte. Auch das Music-on-Demand-System bedient sich der MP3-Kompressionstechnik, verschlüsselt jedoch die gelieferten Dateien in einem auf den Kunden zugeschnittenen Code. Mit Hilfe darauf abgestimmter Aufnahmegeräte hätte sich ein "geschlossenes Sicherungssystem" einrichten lassen, das die volle Nutz-

barkeit der legalen Musikangebote mit einem wirkungsvollen Schutz gegen Piraterie verbunden hätte.

Die Tonträgerwirtschaft macht der Hardwareindustrie nicht etwa zum Vorwurf, innovative neue Technologien entwickelt, sondern dies unabgestimmt mit den Inhaltsanbietern getan zu haben. Dies um so mehr, als die Rechtsentwicklung in der Europäischen Union erkennen läßt, daß die Tage der grenzenlosen Privatkopie gezählt sind. In dem gerade diskutierten Entwurf einer Urheberrechtsrichtlinie steht die Reform des Rechts der privaten Vervielfältigung mit im Zentrum des Interesses.

Künftig wird es möglich sein, von seiten der Inhalteanbieter (der Tonträgerhersteller und sonstiger Berechtigter) technische Schutzsysteme vorzugeben, im Rahmen derer nicht nur erstmals eine individuelle (und zugleich anonyme) Kontrolle privater Kopiervorgänge geschaffen wird. Parallel wird eine Umgehung dieser technischen Schutzsysteme ausdrücklich verboten werden. Die

massiven Angebote von Heimelektronikherstellern, die im letzten Weihnachtsgeschäft einfach bedienbare Doppeldeck-CD-Rekorder und unlimitiert einsetzbare MP3-Player- und -Rekorder auf den Markt geworfen haben, erwecken den Anschein, als habe man hier "kurz vor Toresschluß" noch vollendete Tatsachen schaffen wollen. Anlaß zur Hoffnung gibt allerdings die ebenfalls zum

Ende des letzten Jahres ins Leben gerufene SDMI (Security Digital Music Initiative, Initiative Sicherheit für

digitale Musik), bei der Hardware- und Inhalteanbieter an gemeinsamen Standards für künftige Kopieschutztechnologien arbeiten. Dieses Projekt, obwohl in den USA angesiedelt, bezweckt einen international offenen Standard. Inzwischen nimmt auch

eine wachsende Anzahl europäischer Unternehmen an der Initiative teil. Im Rahmen solcher kontrollierter Umfelder kann die private Kopie auf CD oder MP3-Chips eine wertvolle Ergänzung zur Onlinelieferung von Musikdateien werden, die das Potential dieser neuen Liefertechnologien erst voll nutzbar macht.

Es braucht noch Zeit

Es wird geraume Zeit dauern, bis diese Initiativen zu marktreifen Geräten geführt haben. Bis es gelungen sein wird, die private Kopie - ob nun von Onlinedateien oder von vorbestehenden CDs - in die Kontrolle der Berechtigten zurückzuführen, wird noch Zeit ins Land gehen. Währenddessen wird auf den vorhandenen ungeschützten Geräten weiterhin im größten Stil kopiert werden. Angesichts dieser Tatsache wird es zu einer Überlebensfrage für die Ton-trägerwirtschaft, daß die Geräte- und Leermedienvergütungen für MP3-fähige Speicherchips und bespielbare CDs massiv angehoben werden, um die sich abzeichnenden existenzbedrohenden Verluste wenigstens teilweise aufzufangen.

Martin Schaefer, Deutsche Landesgruppe der IFPI eV/Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft eV

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