Siemens: "ICN ist quasi pleite"

09.08.2001
Auch der Konzerngigant Siemens trudelt angesichts der "angespannten konjunkturellen Lage". Der Verein der Belegschaftsaktionäre nennt die Probleme "hausgemacht".

Das gerade abgelaufene Quartal hat den Finanzvorstand von Siemens-ICN, Michael Kutschenreuther, dazu veranlasst, seinen Führungskräften kräftig die Leviten zu lesen. Die Zeitschrift "Focus" zitiert aus einer internen Mail von Kutschenreuther an das Management: "Es sollte auch dem Letzten klar sein, dass ICN quasi pleite ist." Das Mobilfunkgeschäft (ICM) und der Bereich Netzwerktechnik (ICN) hatten in den vergangenen drei Monaten ein nega-tives Ebita von 563 Millionen Euro (ICN) beziehungsweise 511 Millionen Euro (ICM) verkraften müssen. Beide Sparten waren dabei durch Restrukturierungskos-ten von insgesamt 790 Millionen Dollar belastet worden.

Es ist jedoch nicht nur der Verlust, der Kutschenreuther wütend macht, sondern auch der Mittelabfluss von drei Milliarden Euro allein im letzten Quartal. Ein Teil dieses negativen Cashflows war der Kaufpreis des gerade übernommenen Unternehmens Efficient Networks (Breitbandzugangstechnik) in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar. Efficient Networks trug seinerseits ebenfalls mit 74 Millionen Euro zum negativen Ergebnis von ICN bei. Kutschenreuther verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass der gesamte Konzern über liquide Mittel von 5,3 Milliarden Euro verfüge (Stand: 30.6.).

Kutschenreuther drängt in seiner Mail zur Eile und fordert das Management zu rigorosen Maßnahmen auf: "Scheuen Sie auch nicht davor zurück, sich von Mitarbeitern, die die Situation immer noch unterschätzen, zu trennen", ermahnt er. "Wir müssen alles daran setzen, Maßnahmen umzusetzen, die uns bis zum 30.09. eine substanzielle Verbesserung unseres Geldsaldos und unseres Ergebnisses sicherstellen." Als Beispiele nennt er das Sperren von Lieferantenrechnungen für vier bis sechs Wochen oder Abverkäufe von abgeschriebenen Lagerbeständen.

Damit handelt Kutschenreuther ganz im Sinne seines Chefs, des Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer, der in den kommenden Wochen weitere "Korrekturmaß-nahmen" definieren will. Von Pierer hält dennoch an seinen Zielen für 2003 fest. Zu diesem Zeitpunkt sollen ICN und ICM jeweils Gewinnmargen von acht bis elf Prozent (Ebita) erreicht haben. "Die Operation 2003 ist im vollem Gange", so von Pierer. Auf keinen Fall werde sich Siemens vom Bereich Information and Communication (I&C) abwenden. Weitere konkrete Schritte werden allerdings wohl erst ab September zu erwarten sein, wenn Thomas Ganswindt, Nachfolger von ICN-Bereichsvorstand Roland Koch, seinen Dienst angetreten hat.

Michael Padberg, Vorstand von Siemens-Disti Partners in Europe, sieht die Sache sehr pragmatisch: "Siemens ist wie alle in der Branche verwöhnt von den letzten Jahren." Er denkt, dass vor allem der Fachhandel seinen Nutzen aus den jetzt eingeleiteten Maßnahmen zieht. "Auch ein Großer wie Siemens muss mit Know-how nach draußen gehen. Und die müssen das in Zukunft mit schlankeren Vertriebsstrukturen machen, weil sie die Kosten rapide senken müssen", vermutet Padberg, "Und das können sie vor allem über den indirekten Vertrieb erreichen.

ComputerPartner-Meinung:

Eine solche Panik an den Tag zu legen - auch wenn diese eigentlich nur für das eigene Team gedacht war - ist nicht sehr förderlich. Siemens hat die Kapitalkraft, das Know-how und das Standing, eine solche Krise durchzustehen. Das ehrgeizige Ziel von Pierers "Operation 2003" wird sich allerdings nur dann erreichen lassen, wenn die Führungsriege nun die Ruhe bewahrt und sich Aktionen wie das Sperren der Lieferantenrechnungen oder Massenentlassungen verkneift. (gn)

Zur Startseite