Silberstreif nach dem Crash auf Raten

19.04.2001
Der neunte Teil unserer Serie "Private Altersvorsorge" beschäftigt sich mit einem lukrativen Investment, das aber durch den seit nunmehr ein Jahr währenden Börsencrash viele Privatanleger verunsichert: Er bringt Licht in den Aktienmarkt.

Wer in noch jungen Jahren daran geht, seine private Vorsorge für das Alter langfristig aufzubauen, kann an der Aktie nicht vorbei. Denn trotz des Crashs auf Raten, der viele kurzfristig denkende Anleger zur Verzweiflung bringt, ist das Investment am Aktienmarkt über die Jahre und Jahrzehnte hinweg allen anderen Formen der Kapitalanlage überlegen. Der Aktienkäufer muss nur den Nerv haben, schlechte Zeiten an der Börse auszusitzen. Inzwischen sehen aber Optimisten auch erste Silberstreifen am Horizont.

Die Einzelschicksale sind hart. Mit der Telekom-Aktie kam Ende 1996 eine neue Volksaktie an die Börse. Wer seinerzeit im November 300 Stück davon zu einem Kurs von umgerechnet 14,60 Euro kaufte, musste dafür 8.500 Mark bezahlen. Im März 2000 war dieses Ak-tienpaket bei einem damals höchsten Kurs von 103 Euro mehr als 60.000 Mark wert. Seitdem ist die Aktie zwar im freien Fall abgestürzt. Bei einem neuen Tiefstkurs von 23,82 Euro am 22. März dieses Jahres war der Besitz des Volksaktionärs aber immer noch 13.659 Mark wert.

Wer dagegen erst beim zweiten Börsengang der Telekom am 28. Juni 1999 10.000 Mark für nur noch 129 Aktien zu damals 39,50 Euro ausgab, hat heute nur einen Wert von 6.010 Mark im Depot. Das bedeutet einen Verlust von 40 Prozent. Und wer schließlich am 19. Juni 2000 beim dritten Börsengang beim Preis von dann 66,50 Euro pro Aktie wiederum 10.000 Mark aufwendete, bekam dafür noch etwa 77 Stück Aktien. Die sind heute noch 3.587 Mark wert, was eine Einbuße von 6.413 Mark gebracht hat.

Dass die Verluste nur auf dem Papier stehen, wenn man nicht in Panikstimmung oder notgedrungen seine Aktien verkaufen muss, ist nur ein geringer Trost. Der Frust der Telekom-Aktionäre ist groß - sie sprechen von einem T-Saster.

Die größten Katastrophen stets am Neuen Markt

Ähnlich schlecht erging es anderen Aktionären, freilich weniger bei den so genannten Blue Chips, die im Aktienindex Dax enthalten sind, und auch nicht bei den nicht so großen und bekannten, aber meist sehr soliden Aktien aus dem M-Dax. Die größten Katastrophen spielen sich im Bereich des Nemax ab, wo die Werte des Neuen Marktes versammelt sind. Dort sind viele Blütenträume vom schnellen Geld geplatzt. Die Anleger waren bei allen neuen Börsengängen rasch mit von der Partie, solange es nur eine gute "Unternehmens-Story" gab, die mit viel Fantasie eine große Zukunft mit hohen Umsätzen und Gewinnen schon in der nahen Zukunft ausmalte. Wenn dazu der Topmanager dieser jungen Firma noch fotogen war und gut reden konnte und darüber hinaus bekannte Schauspieler und Analys-ten von Großbanken für die Neu-emission warben, konnte gar nichts schief gehen. Wenigstens solange nicht, wie der Börsenkurs nicht unter den Ausgabekurs fiel und der Newcomer nicht plötzlich Konkurs anmelden musste. Das aber passierte in den letzten Mo-naten in überreichem Maße. Das Milliarden-Vermögen, das auf diese Weise am Neuen Markt vernichtet wurde, war aber nicht für die langfristige private Altersvorsorge bestimmt. Das war überwiegend Geld, das investiert wurde, um da-raus in kurzer Frist mehr Geld zu machen.

Der nicht mehr so gern gehörte Begriff für diese Art der Geldvermehrung lautet Spekulation. Und Spekulanten wissen nur zu gut, dass es an der Börse keine Einbahnstraße gibt, dass sich dort Bulle und Bär tummeln, aber auch, dass auf jede Baisse auch wieder eine Hausse folgt. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), sonst ein wichtiger Maßstab beim Aktienkauf, funktionierte am Neuen Markt nicht mehr richtig. Auf welche Gewinne sollte der Kurs bezogen werden - die gab es ja noch gar nicht, die wurden erst für die Zukunft versprochen. So fielen auch sonst clevere Spekulanten auf die Nase. Freilich sind dem Aktienrausch auch kleine Leute mit bescheidenem Einkommen und selbst Jugendliche, Rentner und Pensionäre verfallen, denen ihre Verluste jetzt sehr weh tun.

Aktienkultur trotz Baisse überraschend stabil

Um so überraschender ist es angesichts dieser Entwicklung an der Börse, dass sich die neue Aktienkultur in Deutschland als überraschend stabil erweist. Eine aktuelle Forsa-Umfrage bei mehr als 1.000 Bundesbürgern ergab, dass knapp die Hälfte der Befragten weiterhin auf Aktien setzen will. Und auch Bank- und Fondsmanager bescheinigen den neuen Aktionären ein hohes Durchhaltevermögen. Peter Körndl, Anlageexperte der Dresdner Bank, erklärt: "Die Aktienanlage ist in Deutschland salonfähig geworden. Viele Anleger, die für das Alter zusätzlich privat vorsorgen möchten, sind permanent auf der Suche nach renditestarken Anlageformen. Sie gehen aber mittlerweile etwas vorsichtiger vor und hinterfragen die Geschäftsmodelle der Unternehmen wieder kritischer. Das ist gut so." Ähnlich äußert sich Horst Zirener, Vorstandsvorsitzender der Deka Kapitalanlage: "Das Jahr 2000 spiegelt die neu entdeckte Aktienkultur hierzulande wider und zeigt, dass der Trend zu rentablen Anlageprodukten ungebrochen ist. Auch zwischenzeitliche Marktturbulenzen können diese Entwicklung nicht bremsen. Der Trend zur Aktie ist vor allem bei den Anlegern intakt, die zunehmend mittel- bis langfristig orientiert sind, wie es diese Anlage auch selbst ist. Viele spekulativ ausgerichtete Anleger haben dagegen zwischenzeitlich die Nerven verloren und sind ausgestiegen."

"Das Tauziehen zwischen Bullen und Bären ist noch nicht beendet", meint Heinrich Linz, Sprecher der Geschäftsführung des DIT Deutscher Investment-Trust. Er verweist auf die starke Beziehung, die zwischen der Leitbörse USA und dem Rest der Welt besteht, glaubt aber, dass Europa die USA künftig für geraume Zeit "outperformen" wird, sich also Europas Börsen besser entwickeln als die Märkte in Amerika.

Börsenkrach von 1929 wird sich nicht wiederholen

Dass sich die Anleger so gelassen zeigen, hat auch mit der Überzeugung zu tun, dass sich der Börsenkrach vom 24. Oktober 1929, der ausgehend von der Wall Street die ganze Welt erfasste, heute nicht mehr wiederholen wird. Denn wer schon etwas länger an der Börse dabei ist, hat erlebt, dass sich die Aktien nach den Kurseinbrüchen von 1987, 1990 und 1998 wieder erholt haben und die alten Kursrekorde relativ rasch überboten haben.

Es mehren sich auch die Stimmen, die mitten in der gegenwärtigen Baisse schon die Morgenröte einer neuen Hausse wittern. Gottfried Heller ist Chef der Fiduka Depotverwaltung GmbH in München. Er meint, dass es im Mai oder Juni dieses Jahres schon zu spät sein könnte, neu an der Aktienbörse einzusteigen. Mit Kurssteigerungen von dem wieder freundlicheren Börsenklima profitieren werden nach seiner Ansicht Tech- nologiewerte am Neuen Markt, die "vorzeigbare und nicht virtuelle Gewinne machen". Auch einigen führenden Industriewerten der "Old Economy" räumt er gute Chancen ein.

Viele Banken und Analysten sind mit ihren Prognosen vorsichtiger geworden, weil sie in der jüngeren Vergangenheit mit den Voraussagen oft arg daneben lagen. Aber auch hier klingen neuerdings wieder positivere Töne durch. Wilhelm Schmid, Analyst bei der Hypovereinsbank in München glaubt, dass der DAX unter langfristigen Gesichtspunkten "sein Abwärts- potenzial weitgehend ausgeschöpft hat".

Schmids Kollege Gerhard Schwarz sieht eine gute Basis für einen freundlicheren Verlauf am Aktienmarkt in den nächsten Monaten. Er nimmt allerdings das von seinem Haus genannte Kursziel einer DAX-Notiz von 7.300 Punkten zur Mitte des Jahres zurück und glaubt, dass dieser Stand erst im zweiten Halbjahr erreicht wird.

Im Zuge der geplanten Rentenreform mit dem Einstieg in die kapitalgedeckte private Altersvorsorge als Ergänzung zur gesetzlichen Rente rechnet die Hypovereinsbank mit hohen neuen Mittelzuflüssen für den Aktienmarkt. Das Volumen der staatlich geförderten privaten Vorsorge wird für das Jahr 2008 auf rund 28 Milliarden Euro oder 55 Milliarden DM geschätzt. Mindestens 40 Prozent dieser Summe werden nach Erwartung der Bank dem Aktienmarkt zugute kommen.

Die Analysten der WGZ-Bank begnügen sich mit einer DAX-Prognose von 7.200 Punkten am Jahresende. Sie sind sich aber ziemlich sicher, dass sich von der Jahresmitte an mit dem dann besseren Wirtschaftsklima "auch das Kursgewitter an der Börse verziehen wird und der Weg für wieder steigende Kurse frei gemacht wird". Zunächst rät diese Bank noch zu "defensiven" Werten aus den Branchen Versorger, Chemie/Pharma und Versicherungen. Für das zweite Halbjahr empfiehlt das Institut einen Favoritenwechsel. Dann sollten wieder Technologiewerte, Maschinenbau und Banken stärker im Vordergrund stehen. Zusätzliche Impulse erwartet die WGZ von dem neuen Geschäft mit der privaten Altersvorsorge, weil hier nach der langfristig richtigen Maxime "Aktie schlägt Rente" gehandelt werde.

Die DG-Bank verweist auf die steigenden Gewinne der DAX-Unternehmen, die ein günstiges Umfeld für steigende Kurse darstellen. Für 2001 wird ein Ertragszuwachs von 10,7 Prozent erwartet. Der wäre noch höher, wenn nicht große Unternehmen wie die Deutsche Telekom und Daimler Chrysler ihre Gewinnerwartungen zurückgenom- men hätten. Im Jahr 2002 soll die Wachstumsrate der Gewinne wieder auf 15,8 Prozent zunehmen. Zum Neuen Markt, wo gut 80 Prozent der 133 neu eingeführten Werte unter ihre Ausgabekurse zurückgefallen sind, äußert sich die DG-Bank sehr zurückhaltend. Das Kursziel des Index "Nemax-All-Share" wird für das Ende dieses Jahres auf rund 3.000 Punkte "plus/minus 300 Punkte" beziffert.

Mit Nerven und Geduld zahlt sich die Aktie aus

Dass sich Aktien langfristig lohnen, beweist ein Blick auf die Wertentwicklung in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Wer unmittelbar vor dem Börsencrash 1987 zu damaligen Höchstkursen deutsche Standardwerte aus dem DAX kaufte, konnte trotz mehrfacher Baisse-Perioden an der Börse sein Kapital bis heute vervierfachen. Wer erst nach dem 87er-Crash einstieg, hat den Einsatz nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Banken sogar gut versechsfacht. In den vergangenen 20 Jahren erreichte ein Anleger durch Kurssteigerungen und Dividenden mit deutschen Aktien eine Wertsteigerung von jährlich neun Prozent. Zum Vergleich: Anleihen erbrachten im gleichen Zeitraum nur eine durchschnittliche Performance von 6,5 Prozent.

Aber auch wer erst in jüngerer Zeit an die Börse ging, ist gut gefahren. Die Direkt Anlage Bank AG in München hat dafür folgendes Beispiel ausgerechnet: Wer am 1. Januar 1998 den Betrag von 10.000 Mark in DAX-Werte investiert hat, verfügt am 1. Januar 2001 über rund 14.470 Mark. Das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Rendite von 14 Prozent. Inzwischen ist es allerdings in den ersten drei Monaten dieses Jahres wieder abwärts gegangen. Die Beispiele ließen sich fortsetzen, wobei man natürlich auch Rechnungen konstruieren kann, bei denen der Anleger auf dem Höhepunkt einer Hausse teuer einkaufte und dann mitten in der Baisse mit hohem Verlust verkaufen musste. Deswegen liegt am Aktienmarkt die Betonung immer auf der langfristigen Anlage.

Geduld muss man schon haben. Es spricht aber nichts dagegen, sein Aktiendepot aufzulösen, wenn der Ruhestand heranrückt und dafür mit dem Wunsch nach mehr Sicherheit im Alter Rentenwerte oder Immobilien zu kaufen.

Jeder zweite Bundesbürger hält nach einer repräsentativen Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Banken Aktien als Instrument der privaten Altersvorsorge für geeignet. Die Zahl der Aktionäre hat sich mit 6,2 Millionen seit 1996 fast verdoppelt. Dennoch besitzen erst 35 Prozent der Deutschen Aktien oder Aktienfonds. (pw)

Börsendeutsch

Die Sprache der Analysten

Kaufen: Buy oder auch strong buy bedeutet, dass sich die Aktie vermutlich um mindestens zehn Prozent besser entwickelt als der Markt.

Aufstocken: Accumulate oder Market Outperformer heißt, dass die empfohlene Aktie einen um mindestens fünf Prozent besseren Kurs haben könnte als der Vergleichsindex.

Halten: Hold oder Market Performer will aussagen, dass sich die Aktie etwa genauso verhalten dürfte wie der Index.

Reduzieren: Reduce oder Market Underperformer will andeuten, dass diese Aktie um mindes-tens fünf Prozent schlechter abschneiden wird als der Markt.

Verkaufen: Sell bedeutet, dass die Aktie im Vergleich zu Markt oder Index um mindestens zehn Prozent schlechter abschneiden könnte.

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