Sind unsere IT-Manager wirklich so schlechte Führungskräfte?

20.09.1996
MÜNCHEN: Der vielerorts so notwendige Innovationswandel wird durch defizitäre Führungskenntnisse des IT-Managements behindert. Schlechte Noten um die Führungseigenschaften sorgen für Schuldzuweisungen, Frustration und Wandlungsunwilligkeit. Eine Kontroverse von Stefan Rohr*.Dem Ingeniör ist nichts zu schwör. So und anders lauten viele der Volksweisheiten, die sich in unserem Sprachgebrauch festgesetzt haben und so manchen Pudels Kern beschreiben. Dieser Spruch bedeutet jedenfalls im übertragenen Sinne, daß - in diesem Fall eine bestimmte Berufsgruppe - etwas mancherorts vollzogen wird, obwohl doch viele der Verantwortlichen gar nicht so recht dafür geeignet sind. Selbstverständlich ohne den Ansatz der Verallgemeinerung - oder?

MÜNCHEN: Der vielerorts so notwendige Innovationswandel wird durch defizitäre Führungskenntnisse des IT-Managements behindert. Schlechte Noten um die Führungseigenschaften sorgen für Schuldzuweisungen, Frustration und Wandlungsunwilligkeit. Eine Kontroverse von Stefan Rohr*.Dem Ingeniör ist nichts zu schwör. So und anders lauten viele der Volksweisheiten, die sich in unserem Sprachgebrauch festgesetzt haben und so manchen Pudels Kern beschreiben. Dieser Spruch bedeutet jedenfalls im übertragenen Sinne, daß - in diesem Fall eine bestimmte Berufsgruppe - etwas mancherorts vollzogen wird, obwohl doch viele der Verantwortlichen gar nicht so recht dafür geeignet sind. Selbstverständlich ohne den Ansatz der Verallgemeinerung - oder?

Tief sitzt die IT-Branche im Management-Schlamassel. Nicht etwa, weil die Zahlen so apokalyptisch in rot gekleidet sind, nicht weil der Stellenmarkt in den Knien hängt, nicht weil die Auftragssituation und die Zukunftsprognosen die Banker um ihren Schlaf bringen - nein (oder eigentlich) weil mit dem erfolgten Wachstum eine eklatante Schwäche - im Management-Jargon: Defizit - mehr und mehr erkennbar wird. Die Führungskompetenzen unserer IT-Manager.

Die Buhmänner der Nation?

Bevor nun die Entrüstung aufkommt, gleich eine Erklärung: Es sind ja nicht die Manager der IT-Welt selbst, die sich dieses Manko ursächlich zuzuschreiben haben. Sie sind es vielmehr, die heute zunehmend bei dieser Fragestellung als die Buhmänner dastehen, sich im Vergleich zu anderen Management-Karrieren Inkompetenzen und Führungsschwächen vorwurfsvoll attestieren lassen müssen. Da kann schon einmal Frust, Desillusionierung und Abwehrhaltung aufkommen. Und was ist der Gegenstand der Beschwerden?

Das Szenario kann wie folgt beschrieben werden: Mit wachsenden Unternehmensorganisationen und vor allem mit hochqualifizierten, aufstrebenden und anspruchsvollen IT-Mitarbeitern ist das Thema der "Führung" nicht nur wieder ein Modewort geworden, sondern birgt in sich einen hohen Anspruch auf Umsetzung und strukturierte Prozesse im Unternehmen. Da heißt es zum Beispiel Management-by-Objectives, Leistungsbeurteilung, Personalentwicklung, Konfliktmanagement, B+F-Gespräche, Fördern-durch-Fordern, leistungsorientierte Vergütung, Laufbahnplanung, Personal-Marketing, Personal-Auswahl, Potentialanalyse, Befähigungsmerkmale, Führungsleitlinie oder schlicht nur variable Vergütungsfindung.

Notwendigkeit allgemeiner Führungsinstrumente

Wird in die IT-Branche einmal tiefer hineingeschaut, kann festgestellt werden, daß die Notwendigkeit der Implementation und Manifestierung allgemeingültiger Führungsinstrumente zwar mehr und mehr gewünscht, ja sogar zum Teil vehement gefordert wird, die Befähigungen seitens des umsetzungsverpflichteten Managements aber zu großen Teilen weit ab von Gut und Böse liegen.

Was haben wir also in der IT-Welt für Manager? Sind das alles Dummköpfe oder menschenverachtende Eigenbrödler? Weder dieses noch andere gleichbedeutende Bezeichnungen sind da zutreffend. Wir finden allerdings IT-Manager, die bislang nahezu ausschließlich zu IT-Fachspezialisten ausgebildet wurden. "Der beste Spezialist ist auch der beste IT-Manager" lautete die Marschrichtung. Und alle folgten brav und beflissen. Ein wenig mehr kam dann in den letzten Jahren zwar doch noch an die Oberfläche. Mußten die IT-Manager doch auch noch betriebswirtschaftliche Zusammenhänge kennen und begreifen oder in der Lage sein (fachlich und sozial), die Unternehmensstrategie in IT-Technologie und Organisation umzusetzen. Das war es dann aber auch schon wieder.

Feld-Wald-und-Wiesen-Führung

Die Vorwürfe an die heutigen IT-Manager werden lauter. Inhaltlich sind sie durchaus berechtigt. Gestattet ist dabei allerdings nicht die Schuldzuweisung als Grund des Übels selbst. Richtig ist, daß ein hohes Defizit bezüglich der Führungs-Lehre zu verzeichnen ist. Richtig ist auch, daß sich durch die Feld-Wald-und-Wiesen-Führung, die so gern als individueller Führungsstil oder fälschlicherweise auch als kooperativer Führungsstil (jeder kann machen was er will, nur nichts Falsches - oder - ich führe mit meinem Bauch) bezeichnet wird, in der IT-Welt auf wundersame Weise epedemieartig ausgebreitet hat. Richtig ist, daß sich hiermit Führungsformen entwickelt haben, die zwangsläufig als hausgemacht bezeichnet werden müssen, da es seitens des Top-Managements kaum Ansätze für die "förderliche" Entwicklung der Führungskompetenzen bei IT-Managern gab. Da läßt sich heute gut auf das IT-Management meckern.

Richtig ist nämlich auch, daß sich der IT-Manager, unter liebevollen Augen der Unternehmensleitungen, bitte auch ausschließlich zum IT-Profi entwickeln sollte. Von der DV verstand sowieso niemand etwas, da mußte dieses doch wenigstens einer im Unternehmen möglichst perfekt gewährleisten. Und Führung war bei "exotischen Mitarbeitern" grundsätzlich unmodern. Was dem einen billig war, konnte den anderen dabei nur recht sein. Vielleicht bei der Beschaffung von neuen IT-Mitarbeitern, da mußte doch ab und zu noch einmal das Personalwesen mithelfen. Aber bitte- schön, doch nur bei der Abwicklung. War ein neuer Mitarbeiter eingestellt, so wurde er ein ebensolches U-Boot, wie die anderen ITs: Zur Weihnachtsfeier aufgetaucht - dann wieder für ein Jahr verschwunden. Zwischendrin wurden auf wundersame Weise komplexe DV-Welten entwickelt, von Menschen, die niemand eigentlich so richtig verstehen oder gar "führen" konnte.

Individualitäten und Eigenbrödlereien

Daß sich dabei hohe Individualitäten und Eigenbrödlereien entwickelten, ist selbstredend. So kann heute immer häufiger verzeichnet werden, daß es den IT-Managern an den Kragen geht, gerade weil sie es nicht gewöhnt sind, sich in "übliche" und innovative Führungsprozesse oder deren Gestaltung einzubringen, Schuldzuweisungen befürchten, dabei bremsen und ein wenig angstvoll die Zukunft und ihre "neue" Rolle betrachten.

Hierin steckt natürlich ein erheblicher und auch berechtigter Vorwurf. Denn etwas bislang nicht gewöhnt zu sein, rechtfertigt schließlich nicht, ab sofort alle Innovation und Veränderung abzulehnen und innovative Prozesse auszubremsen.

Beide Seiten sind gefragt, die Kompetenzen zu erweitern und eine moderne Führung im Unternehmen zu gewährleisten. Wer das nicht will, der muß sicherlich seinen Abschied nehmen. Dem heutigen IT-Management aber eine generelle Inkompetenz zu unterstellen ist äußerst gewagt bis hochgradig unfair.

Unternehmensleitung muß konsensfähig sein

Veränderungsprozesse sind Chancen für alle beteiligten Seiten. Werden Innovationsprozesse seitens der Personalführung angestrebt, so ist das betroffene IT-Management über alle Ebenen hinweg zu involvieren. Das schließt die Schulung, das Coaching und die künftige Horizonterweiterung ein. Anfänglich behindert das so manchen Innovationsprozeß.

Es setzt Diskussions- und Konsensbereitschaft bei der Unternehmensleitung ebenso voraus, wie die Gewährung zeitlicher und geldlicher Volumina. Die persönliche Eignung und Flexibilität des einzelnen betroffenen IT-Managers ist dabei natürlich eine grundlegende Forderung, die leider nicht immer erfüllt werden kann.

Ganzheitliche Veränderungsprozesse

In vielen Unternehmen der IT-Branche, insbesondere in der IT-Dienstleistung, werden aktuell ganzheitliche Veränderungsprozesse angestrebt oder realisiert. Das erfordert viel Fingerspitzengefühl beim Management und personalwirtschaftliche Kenntnise sowie Führungskompetenzen sozialer und fachlicher Natur. In den meisten dieser Unternehmen basiert die Erkenntnis der Notwendigkeit eines Innovationswandels zunächst auf rein wirtschaftlichen Erwägungen. Da ist es zum Beispiel die Forderung nach einer variablen, leistungsbezogenen Gehaltssystematik, die den Anstoß gibt. Dabei kommt man schnell auf eine umfassende Fragestellung:

- Wie führen wir unsere Mitarbeiter aktuell?

- Welchen Erwartungshaltungen begegnen wir?

- Welchen Zufriedenheitsgrad können wir konstatieren?

- Wie gestaltet sich unser Unternehmensbild nach außen, über die Meinung unserer Mitarbeiter?

- Welche Chancen bieten wir unseren Mitarbeitern?

- Wie entwickeln wir sie zu den Kräften, die wir künftig benötigen und natürlich im Hause haben wollen?

- Welche Potentiale benötigen wir überhaupt?

- Welche Probleme haben wir personalstrategisch bereits heute zu beklagen?

- Welche Ursachen liegen diesen zugrunde?

- Welche Werteempfindungen haben unsere Mitarbeiter und laufen diese mit den Unternehmenswerten konform?

- Werden unsere Mitarbeiter so beachtet, wie es deren Intellekt und generationsbezogenen Ansichten entspricht?

- Was ist mit unserer Fluktuation?

- Wo stecken unsere größten Kompetenz-Engpässe?

- Was beinhaltet eigentlich die richtige Führung?

Fazit

Es wird klar, wie komplex diese Problematik an sich ist und wie umfangreich die Kenntnisse unseres betroffenen IT-Managements sein müßte, um dem zu begegnen. Daß Unternehmen, die in der Zukunft eine gute Chance haben wollen, sich mit diesen Fragestellungen zu befassen haben und Leitlinien, Instrumente und Verfahren der Mitarbeiterführung einsetzen müssen, wird überdeutlich.

Mit profanen und pauschalisierten Schuldzuweisungen kommt da niemand weiter, ebensowenig wie mit übereilten Entlassungen, Outplacements oder Outsourcingmaßnahmen. Das Problem hat keinen Individualcharakter. Es ist ein branchenweites Thema, dem nur mit innovativer Schulung und Qualifizierung des Managements sowie einer grundlegenden Einstellungsveränderung begnet werden kann.

*) Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Karlsruhe

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