Speicherpreise so hoch wie nie

10.07.1999

MÜNCHEN: Rund drei Wochen sind seit dem verheerenden Erdbeben in Taiwan verstrichen. Doch noch immer kehrt keine Ruhe ein. Zwar funktionieren die meisten Telefonverbindungen wieder, aber sonst sieht die Lage nicht rosig aus."Der Preis für einen 64 Mbit-Chip beläuft sich zur Zeit auf etwa 19 Dollar", ärgert sich Pierre Gäng, Geschäftsführer von Memory Card Deutschland. "Und ein Ende der Preisspirale ist noch nicht in Sicht." Zwar wird der Preis nach Ansicht von Gäng nicht mehr viel höher als auf 20, vielleicht auch auf 21 Dollar klettern, aber in Verbindung mit dem hohen Dollarkurs könnte der Markt für Speicher ganz schön aufgemischt werden.

"Der Spotmarkt für Speicherchips ist zur Zeit wie leergefegt", weiß George Linardatos, Niederlassungsleiter von Transcend zu berichten. Und einen Graumarkt gibt es nicht mehr. Jeder kauft, was er kriegen kann. Marco Maragnani, Verkaufsleiter bei Memory Card Südosteuropa bringt es auf den Punkt. "Hier geht es zu wie an der Börse. Chips werden auf Zuruf gehandelt. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst."

In vielen Fällen will der Verkäufer auch gleich Bargeld sehen. Das bedeutet: Jemand muß mit einem Koffer voll Dollars hinfliegen und bekommt seine Chips dann dort auch gleich in die Hand gedrückt.

Auswirkungen des Erdbebens?

Kurz vor dem Erdbeben in Taiwan Mitte letzten Monats hatten die Preis für Speicherchips bereits angezogen. Auch hier mußten äußere Ursachen wie beispielsweise ein kurzer Stromausfall als Begründung herhalten. Zugegeben, der Speicherpreis in den letzten Monaten lag teilweise unter den Herstellungskosten für die Chips. Die Talfahrt der Preise konnte nicht immer so weitergehen. Doch jetzt können sich ein paar clevere Geschäftsleute die Hände reiben. Die Gewinne steigen und steigen.

Anders sieht es aber in Taiwan selbst aus. Die dortigen Fabriken haben echte Probleme. Besonders hart hat das Erdbeben die Chipfabriken getroffen. Von 27 Wafer-Produktionsstätten sollen laut Insider-Berichten nur zwei noch funktionieren. Die anderen haben ihre Produktion entweder komplett gestoppt oder sie arbeiten nur mit geringerer Kapazität. Unternehmenssprecher der verschiedenen dort ansässigen Firmen spielen die Situation aber herunter. Nach deren Aussagen sollen die Firmen in der nächsten Zeit wieder voll weiterproduzieren können.

Die Wirklichkeit sieht nach Insider-Berichten aber etwas anders aus.

Achtwöchiger Produktionsstop?

Demach hätten fast alle Firmen aus Angst vor weiteren Nachbeben ihre Produktion vollständig gestoppt. Und dieser Stop soll ungefähr acht Wochen andauern. Erst danach will man die Produktion wieder aufnehmen. Strom und Wasser sollen zur Zeit Mangelware in dem Land sein. Und beides wird für die Produktion unbedingt gebraucht.

Das Erdbeben hat neben den Fabriken aber auch die Infrastruktur (Straßen, Brücken etc.) stark in Mitleidenschaft gezogen. Zur Produktionsaufnahme müssen jedoch auch Rohmaterialien eingeführt werden. Ohne die läuft nichts. Inzwischen sollen sich in den Lagern der einzelnen Firmen und den Lufthäfen fertig produzierte Waren stapeln, die nicht abtransportiert werden können.

Ein weiterer Aspekt kommt noch hinzu. Denn selbst wenn die Fabrik unbeschädigt geblieben sein sollte, so ist sie doch durch das Beben ordentlich durchgerüttelt worden. Bevor die Produktion wieder anlaufen kann, müssen alle Maschinen genau justiert werden. Und das ist keine Aufgabe, die jemand mal kurz eben mit einem Schraubenzieher erledigen kann.

Verzögerungen in Retailkanal

Das Erdbeben in Taiwan hat auch Auswirkungen auf die großen Retailer in Deutschland. Jürgen Rakow, Chef von Vobis, nennt Lieferverzögerungen von rund einer Woche als Folge. Weiterhin bestätigt er eine Verknappung von Chips im Grafikbereich. Trotzdem hält Vobis an seinen Lieferanten fest und will nicht auf andere Quellen ausweichen. Bei der Produktion von Komplett-PCs sind zur Zeit keine Probleme vorhanden. Rakow ist mit den Lieferanten zufrieden.

Andere Chips sind auch betroffen

Neben Speicherbausteinen (rund zehn Prozent des Weltmarktes) werden in Taiwan aber auch andere Chips produziert. Zum Beispiel kommen 80 Prozent des Weltmarktes eines speziellen Grafikkartenchips, des sogenannten Ramdacs, aus Taiwan. Ohne diesen läuft keine Grafikkarte, gleich von welchem Hersteller. Weiterhin wird in der Branche gemunkelt, daß IBM mit seiner Festplattenproduktion einige Schwierigkeiten bekommen könnte. Denn ein spezieller Chip auf IBM-Festplatten kommt ebenfalls aus Taiwan.

Ebenfalls hoch spezialisiert hat sich die taiwanische Firma Winbond. Dieser Hersteller liefert drei Bausteine, die sich auf fast allen Motherboards sämtlicher Hersteller befinden. Dabei handelt es sich um den Bios-, den Hardware-Monitoring- und den Super I/O-Chip. Beim Bios-Chip kann man schnell und einfach auf andere Hersteller umsteigen. Auf den Hardware-Monitoring-Chip, der die Spannungen und Temperaturen im Rechner überwacht, kann man zur Not sogar komplett verzichten. Nur für den Super-I/O-Chip gibt es kaum eine Alternative. Dieser Baustein kontrolliert die parallele, serielle und die USB-Schnittstelle. Zwar gibt es einen ähnlichen Chip von National Semiconductor, der aber eine andere Pinbelegung aufweist und auch von der Software anders angesprochen werden muß. Um auf diesen Chip umsteigen zu können, sind das Bios und auch das Leiterbahnlayout des Motherboards zu ändern. Und das ist nicht so ganz einfach. Aus diesem Grund könnten auch Motherboards in den nächsten Monaten um einiges teuerer werden.

Es geht nur um Marktanteile

In den Beilagen großer Tageszeitungen findet man trotz der zur Zeit hohen Komponentenpreise immer wieder Schnäppchenangebote mit 128 MB Speicher. "Große Firmen wie beispielsweise Fujitsu können sich erlauben, pro Rechner 200 Mark Miese zu machen", ärgert sich Torsten Düker, Assistant-Manager von Sirius Computer Vertriebs GmbH.

"Wir müssen die Preiserhöhung an unsere Kunden leider direkt weitergeben. Mit solchen Aktionen kann sich Fujitsu jetzt direkt ein paar Markteile sichern." Die Frage, ob die Kunden jetzt PCs mit weniger Speicher ordern würden, bejahte Düker. Viele Großkunden, die einen Server mit 512 MB Speicher bestellt hatten, rüsten den Rechner jetzt nur mit 128 MB aus. "Wenn die Preise wieder sinken, rüsten wir auf", lautet die Begründung.

Alles nur Panikmache?

Andere Stimmen im Markt behaupten, daß der hohe Speicherpreis künstlich erzeugt wurde. "Das fing schon vor vier Wochen an, und das Erdbeben in Taiwan wurde nur zum Anlaß genommen, die Preise explodieren zu lassen", behauptet ein Insider der Branche. Gleichzeitig gibt er Entwarnung. Er glaubt, daß die Speicherpreise in den nächsten Tagen oder Wochen dramatisch purzeln werden. "Sobald ein Hersteller Liquiditätsprobleme bekommt, steigt der aus dem Kartell aus und die Preise fallen." Außerdem haben Distis und auch sogar einzelne Fachhändler Speicherchips gehortet. Deren Lager sind nun voll, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis große Mengen an Chips wieder angeboten werden.

Weiter wird gemunkelt, daß eine große Ladung an Speicherbausteinen aus Amerika auf dem Weg nach Europa sein soll. Sobald die Speicher hier sind, werden die Preise wieder fallen.

Im Moment sieht es allerdings noch nicht so aus. Der Speicherpreis ist unverändert hoch und die Verfügbarkeit der Speicher schlecht. Selbst wenn die Vermutungen des Insiders zutreffen, wird der Preis keinesfalls wieder auf das Niveau von Anfang Juni zurückfallen. (jh)

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