Spracherkennung: große Ankündigungen und herbe Enttäuschungen

15.02.2001
Für Investoren war Spracherkennung stets "ein trickreiches Gebiet", meinte unlängst das US-Magazin Business Week. Kaum ein Jahr ist es her, dass der Aktienkurs des belgischen Pioniers Lernout & Hauspie Speech Products nach oben schoss. Nun hat L & H im Dezember Konkurs angemeldet.

Die Pleite von Lernout & Haus-pie wirft ein neues Licht auf den Markt für Spracherkennungssysteme: Es wird lange dauern, bis daraus ein wirklich erfolgreiches Geschäft wird. Große Ankündigungen und herbe Enttäuschungen lassen die Kurse der Anbieter heftig schwanken.

Marktbeobachtern müssen die Probleme wie eine Anklage gegen die hochgelobte Spracherkennungstechnologie erscheinen. Sie stellten sozusagen das dicke Ende der langen Kritik dar, wonach die Technologie zu einem vernünftigen Gebrauch noch nicht taugt. Aber dieser Verdacht ist so nicht ganz richtig. Software für Spracherkennung wurde von den Experten zum "Mainstream" erklärt.

Zwei neue Anführer machen seit einigen Monaten von sich reden: Nuance Communications und Speechworks International. Beide benutzen Sprachtechnologie, um Telefongespräche zu automatisieren. Fluglinien, Brokerhäuser und Banken sind die Hauptabnehmern solcher Systeme. Sie erlauben es den Kunden, einfache Sprachbefehle anzuwenden, um etwa Flüge zu stornieren oder Aktienkurse über das Telefon zu bekommen. Telefongesellschaften richten Dienste wie automatisiertes Wählen von Teilnehmernummern ein, zum Beispiel auch die Telefonauskunft. Das spart den Gesellschaften eine Menge Geld, weil sie kein Personal dafür brauchen.

Nuance-Produkt ist derzeit das fortschrittlichste

"Bisher haben wir nur an der Oberfläche gekratzt", erklärt CEO Stuart Patterson von Speechworks. Es sei doch viel einfacher, dem Telefon zu erzählen, wohin man verbunden werden will, anstatt viele Knöpfe zu drücken oder die lang-same Wählscheibe zu bedienen.

Die neue Technologie schafft auch eine andere Art von Internet-Zugang. Der Nutzer kann sich sozusagen in "Sprachportale" einwählen. Einschlägige Produkte heißen zum Beispiel "Hey Anita" oder "Tell Me". Speechworks hat auch ein so genanntes "Text-to-speech"-Produkt entwickelt. AOL und Yahoo haben es kürzlich implementiert. Damit können Nutzer per Sprachbefehl vom Computer ihre E-Mails vorgelesen bekommen. Nuance hat ein Produkt, von dem die Analysten sagen, es sei technologisch das fortschrittlichste. Der "Voice-Browser" mit einer Reihe von Funktionen erlaubt es dem Nutzer später einmal, im "Voice-Web" zu surfen. Das Stadium "Oh mein Gott, es funktioniert" habe man schon länger hinter sich, meint Nuance-CEO Ronald Croen. Die Voice-Technologie könnte eine Belebung für das Internet darstellen. Mit solchen Ankündigungen sollten Investoren jedoch vorsichtig sein.

Die Kurse der beiden Börseneulinge Nuance und Speechworks schossen nach der Emission voriges Jahr auf 182 und 109 Dollar nach oben, so dass die Firmen an der Börse jeweils Milliardenwerte repräsentierten - ein Vorgang, wie man ihn von vielen Hightech-Papieren kennt. Beide erzielten mehr als 100 Prozent Umsatzwachstum. Allerdings fuhren Nuance in den ersten neun Monaten 2000 nur 34 und Speechworks 20 Millionen Dollar Erlöse ein. Und beide Firmen dürften nicht vor Mitte 2002 mit Gewinn arbeiten. Wer die gängige Vorhersagepraxis der Analys-ten kennt, weiß, dass daraus auch Mitte 2004 werden kann.

Unternehmen bisher noch überbewertet

Im November gingen die Aktien in den freien Fall über, was mit der um sich greifenden Abneigung gegen verlustreiche Internet-nahe Startups zu tun hatte. Hinzu kam die Furcht vor geringeren Ausgaben der Telefongesellschaften, den besten Abnehmern. Andererseits könnten die Tele-Unternehmen mehr automatische Sprachdienste installieren, um ihre eigenen Gewinne zu verbessern. Die Nachfrage dafür sei gut, meint Patterson.

Aktuell haben Nuance und Speechworks aus ihrem Börsengang mit 225 und 100 Millionen Dollar noch eine Menge Cash zur Verfügung. Beide Firmen sind überbewertet und das Thema Spracherkennung wird zu heiß gekocht, meinte Business Week. Andere glauben jetzt unter Hinweis auf die Perspektiven des Voice-Web eine gute Kaufgelegenheit zu erkennen. Auf Konzernebene konkurrieren IBM mit Viavoice und die holländische Philips. Auf ihre Börsenkurse entfalten die Spracherkennungssysteme bislang aber kaum Einfluss. (kk)

www.speechworks.com

www.nuance.com

LERNOUT & HAUSPIE

Facts & Figures

Wie es mit Lernout & Hauspie (L & H) weitergeht, ist noch ungewiss. Anfang Dezember begab sich der Pionier infolge der dramatischen Finanzkrise unter den Schutz des "Chapter 11", der insolventen Unternehmen in den USA die Möglichkeit bietet, ihre Geschäfte zu sortieren und eventuell wieder auf die Beine zu kommen. Die auch in USA notierte Aktie war zwischen Februar und März vergangenen Jahres von 40 auf 120 Dollar gestiegen, um dann abrupt gegen Null abzustürzen. L & H bot die gesamte Bandbreite von Sprach- und Stimmerkennung durch Computer sowie Dialogtechnologien an. Die Firma präsentierte unter anderem das erste Übersetzungsprogramm, das in mehreren Sprachen Internet-Suche betreibt, Dokumente zusammenfasst und übersetzt. Seit Herbst 1999 konnte es auch E-Mails vorlesen. Die ersten schweren Vorwürfe wurden im September 2000 laut, weil die Bilanz angeblich geschönt und Umsätze aufgebläht worden waren, mit anderen Worten, das imposante Wachstum wurde teils künstlich erzeugt. Lernout & Hauspie hatte im April vergangenen Jahres die konkurrierende Dragon Systems gekauft, die 35 Patente und 350 Angestellte einbrachte. Damit wollte L & H die Spracherkennung für Handheld-Computer und WAP-Handys vorantreiben. Einen Monat zuvor hatte die belgische Hightech-Vorzeigefirma für 900 Millionen Dollar Dictaphone an Land gezogen und damit die Marktführerschaft in medizinischen Diktier- und Daten-Management-Systemen erreicht. Der Erwerb der zwei US-Firmen war der Anfang vom Ende. Die L & H-Bilanzen hielten der strengen Prüfung durch die SEC (Security Exchange Commission, Aufsichtsbehörde der US-Börsen) nicht stand. (kk)

www.lhsl.de

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