Statt Festanstellung

18.03.1999

MÜNCHEN: Goldene Zeiten für die lange Zeit als Exoten geltenden Freiberufler in der Informationswirtschaft: Immer mehr IT-Unternehmen, die ursprünglich Mitarbeiter in Festanstellung zur Abwicklung von Aufträgen und Projekten sowie zur Sicherung weiteren Wachstums suchten, greifen zwangsläufig auf Freelancer zurück, um die Wünsche ihrer Kunden nach Modernisierung und Optimierung der DV-Landschaft realisieren zu können.Aber auch Industrieunternehmen entdecken zunehmend Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit den selbständigen IT-Profis, die sich über mangelnde Aufträge wahrlich nicht beklagen können: Immer komplexere und kompliziertere DV-Strukturen und -Anwendungen verlangen nach hochqualifizierten Experten, die kaum ein Unternehmen in der erforderlichen Zahl vorhalten und auch dauerhaft beschäftigen kann. Zudem binden die Jahr-2000-Anpassung sowie die Euro-Umstellung sehr viele Mitarbeiter aus den eigenen Reihen und beschert der IT-Branche eine Sonderkonjunktur.

Einer Studie der r&p Management Consulting in Hamburg zufolge sind derzeit rund 15.000 IT-Freiberufler in Deutschland aktiv und erwirtschaften einen Jahresumsatz von fünf Milliarden Mark. Die Mehrzahl dieser Experten, die oftmals mangels weiterer Perspektive bei ihren vormaligen Arbeitgebern oder nach einem abgeschlossenen oder abgebrochenen Studium den Weg in die Selbständigkeit wählten, sieht denn auch sehr hoffnungsvoll in die Zukunft. Nur drei Prozent aller Freelancer befürchten, mittelfristig ohne Aufträge dazustehen, während 54 Prozent glauben, auch in Zukunft ausreichend ausgelastet zu sein.

Volle Kassen bei den Freelancern

Gleichwohl, die Akquisition neuer Kunden und Projekte macht vielen Jungunternehmern zu schaffen. Immerhin 68 Prozent der Befragten bekannten, an dieser Stelle erhebliche Defizite zu haben. Die meisten Freiberufler der Branche sind im Netzwerkbereich und Client-/Server-Computing tätig. Jeder Zweite vermarktet hier sein Know how. Dienstleistungen rund um Mainframe-, Unix- und Midrange-Systeme hat nur noch jeder Dritte im Portfolio, wenngleich die Nachfrage hier in den letzten Monaten drastisch gestiegen ist und noch weiter steigen wird.

Die Einmann-Unternehmen erzielen ein durchschnittliches Jahreseinkommen von zirka 200.000 Mark. Unter den IT-Gurus gibt es jedoch auch schwarze Schafe, die den derzeitigen Spezialistenmangel hemmungslos ausnutzen und Honorare jenseits von Gut und Böse verlangen. Jörg Schwirz, Geschäftsführer der Schwirz Consulting Software & System Technology in Düsseldorf, rät folgerichtig allen Freelancern im Branchenblatt "Freiberufler Info", Maß zu halten und nicht am Ast zu sägen, auf dem man sitzt: "Mangel von Spezialwissen am Markt sollte kein Freiberufler ausnutzen, um seine Stundensätze extrem nach oben zu schrauben. Langfristiges Denken ist gefragt. Der Freiberufler sollte eher auf das Projekt und nicht ausschließlich auf Preis und Honorar schauen." Allerdings leiden die Freelancer auch unter den sprunghaft gestiegenen Kosten. Die Aufwendungen für Kranken-, Renten- und Lebensversicherung sowie für das Auto und die Dienstreisen zu den Einsatzorten summieren sich bei zumindest 35 Prozent der Befragten zu mehr als 75.000 Mark pro Jahr. Vor rund drei Jahren gaben nur 15 Prozent aller IT-Freiberufler zu Protokoll, einen solchen Kostenapparat finanzieren zu müssen.

Mangel an betriebswirtschaftlichen Know how

Obwohl die Zukunftsperspektiven für die selbständigen IT-Gurus zumindest in den nächsten Jahren durchweg positiv ausfallen, brauen sich über den Jungunternehmern dunkle Wolken zusammen: Immer mehr Spezialisten tauschen ihren sicheren Arbeitsplatz gegen die (vermeintliche) Unabhängigkeit und die Aussicht auf ein glänzendes Einkommen beziehungsweise gründen direkt nach absolvierter Ausbildung oder Studium ihr eigenes Unternehmen. Nicht zuletzt die steigende Zahl der in den Markt eintretenden Freiberufler sowie die Öffnung der Märkte im Rahmen der Europäischen Union einschließlich geplanter Osterweiterungen, aber auch die langfristig erwartete Sättigung werden die Wettbewerbsbedingungen verschärfen und auf die Preise drücken. Viele Freelancer werden sich spätestens dann mit den unternehmerischen Kardinalpflichten Marketing und Finanzierung konfrontiert sehen, Bereiche also, in denen oft nur geringe Kenntnisse vorhanden sind. Der Weg zu den Banken, die eine ordentliche Kalkulation, Marketing- und Vertriebskonzeption sowie eine Analyse vor dem Öffnen des Tresors voraussetzen, kann in diesen Fällen sehr leicht zum Gang nach Canossa werden. Die in Zeiten der Hochkonjunktur sträflich vernachlässigte Weiterbildung in betriebswirtschaftlichen Fragen wird sich dann bitter

rächen.

Ebenso viele Vorteile wie Gefahren

Die Zusammenarbeit von IT-Unternehmen mit Freelancern birgt ebenso viele Vorteile wie auch Gefahren in sich. Gerade in der heutigen Zeit, in der das Projektgeschäft floriert, andererseits aber kaum neue Mitarbeiter rekrutiert werden können, ist der Zugriff auf IT-Freiberufler oft die einzige Möglichkeit, an qualifiziertes Personal zur Abwicklung von Großaufträgen zu gelangen. Die Ausbildung eigener Kräfte wäre für viele Betriebe zu langwierig und kostspielig. Zudem würden sie von den Früchten ihrer Personalentwicklung wohl erst dann profitieren, wenn sich der momentane Boom wieder dem Ende zuneigt. Darüber hinaus ist die Zahl eigener Spezialisten vielfach sehr begrenzt - ein Hindernis gerade bei großen Projekten.

Die Kooperation mit Freelancern ist ausschließlich auftrags- oder projektbezogen und verhindert das Auftürmen hoher (Personal-)Kosten und Verpflichtungen, die in rezessiven Zeiten nur schwerlich wieder abgebaut werden können. Auf diese Weise können Unternehmen expandieren, ohne ihre Fixkosten gleich in schwindelnde Höhen zu treiben. Allerdings müssen sie erhebliche Einbußen bei der Marge in Kauf nehmen, denn die selbständigen Experten in Sache Informationstechnologie sind nicht für kleines Geld zu haben.

Die eigenen Mitarbeiter, die zusammen mit den externen im Team eingesetzt werden, können vom Know-how der IT-Spezialisten profitieren und den eigenen Wissensstand sukzessive verbessern.

Die Zusammenarbeit mit Freiberuflern verschafft den IT-Betrieben hohe Flexibilität: Urlaubsplanungen spielen keine, Ausfallzeiten wegen Krankheit eine nur untergeordnete Rolle. Die Verfügbarkeit der Freelancer ist erfahrungsgemäß ungleich höher als die des eigenen Personals.

Der Zugriff auf nahezu beliebig viele Spezialisten bietet den IT-Firmen die Möglichkeit, ihre Kunden ganzheitlich zu bedienen und somit auch enge Bindungen zu schaffen. Jedoch sollte immer eine Orientierung an der Kernkompetenz gegeben sein, will man nicht Gefahr laufen, sich ordentlich zu verzetteln. Spätestens im Supportfall kann sich bitter rächen, keine Spezialisten in den eigenen Reihen und sich in völlige Abhängigkeit von externen Kräften begeben zu haben.

Vorsicht ist geboten

Wer auf Freelancer setzt, sollte auch die rechtlichen Aspekte der Zusammenarbeit würdigen. Haftungsfragen sind dabei ebenso zu klären wie der Kundenschutz, dem eine besondere Bedeutung zukommt: Oftmals sprechen Kunden die für ein IT-Unternehmen tätigen Freiberufler an, ob sie nicht direkt auf deren Dienste zugreifen könnten. Der Reiz für den Mandanten und den Freiberufler, Kosten einzusparen beziehungsweise mehr Geld unter Umgehung des Auftraggebers zu verdienen, ist manchmal stärker als Loyalität und Ethik. Viele Unternehmen beklagen denn auch die mangelnde Identifikation der Freelancer mit den Unternehmenszielen ihrer Auftraggeber und haben Angst, vertrauliche, interne Informationen weiterzugeben.

Die Inanspruchnahme der Freiberufler ist in jedem Fall eine kostspielige Angelegenheit und drückt kräftig auf die Margen. Die ehedem hohen Kosten steigen noch einmal merklich, wenn die Vermittlung der IT-Profis über eine Agentur vorgenommen wird. Professionelle Personalvermittler schlagen noch einmal bis zu 50 Prozent auf die ohnehin beträchtlichen Stunden- oder Tagessätze oder streichen hohe Provisionssätze von den Freiberuflern für Akquise und Vermittlung der Aufträge ein.

Der Einsatz von festangestellten Mitarbeitern und externen Kräften in einem Team kann zu Problemen führen, wenn die Tätigkeiten zwar vergleichbar sind, aber höchst unterschiedlich honoriert werden. Ärger und Frustration bei den Firmenangehörigen ist vorprogrammiert - oft mit der Folge, daß die Angestellten wiederum den Weg in die Selbständigkeit suchen und am großen Geschäft mit der Dienstleistung teilhaben wollen. (uk)

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