Distribution und Logistik

"Stetig gegen den Strom schwimmen"

01.02.2013
Von Sven Ohnstedt

Willkür und geschönter Bedarf

Ihrer Ansicht nach müssen die Planungsprozesse durchgängig und abgestimmt sein. Im Kontext also: Das Unternehmen soll sich nach der Software richten.

Kemmner; Im Gegenteil: Es ist eher ein Problem, dass Unternehmen sich noch zu stark nach der Software richten. Das ist zwar in gewisser Weise verständlich: Es ist teuer, die Software anzupassen. Aber im Endeffekt müssen Sie natürlich zuerst die Prozesse definieren und im Anschluss dann die Software anpassen. Eine Software, die nicht angepasst wurde, bremst letzten Endes die Effizienz.

Was meinen Sie dann mit durchgängigen Prozessen?

Kemmner: Damit ist gemeint, dass Unternehmen einen in sich konsistenten, vollständigen Planungsprozess brauchen. Um das anhand eines Beispiels zu erklären: Einmal im Jahr findet eine Umsatzplanung für die kommenden 12 Monate statt. Dabei der geht der Vertrieb davon aus, dass man ungefähr dasselbe Ergebnis wird in der vorangegangenen Periode erzielen könnte, unter Umständen sogar ein etwas Schlechteres - etwa um 10 Prozent schlechter. Mit dieser Prognose trauen sich die Verantwortlichen erst gar nicht in das Planungsgespräch. Schlussendlich erhalten sie die Vorgabe, 10 Prozent besser zu sein - wozu gibt es sonst den Vertrieb? Somit existieren drei verschiedene Planungen: Sowohl die offizielle Planung, die ein Wachstum von 10 Prozent vorsieht, als auch die Meinung des Vertriebs, zumindest dasselbe Ergebnis wie im Vorjahr zu schaffen, sowie die faktische Erwartung, die irgendwo darunterliegt. Sie können sich sicher sein, dass sich der Leiter der Disposition beizeiten beim Chef des Vertriebs erkundigt wird, worauf man sich nächstes Jahr einstellen muss - was soll er dann schon sagen?

Welche Auswirkung hat dies auf den Lagerbestand?

Kemmner: Wir stellen recht häufig fest, dass Unternehmen gar nicht versuchen, den Marktbedarf zu erkennen, also eine Prognose zu erstellen - ganz gleich, ob sie manuell oder mit Software erstellt wird. Es steht vielmehr die Frage nach der eigenen Planung im Raum. Dementsprechend werden die Bedarfe geschönt. Und aus dieser Bedarfsplanung ergeben sich dann, wenn man das konsequent durchrechnet, die Überbestände, weil das Material eben doch nicht so abfließt, wie man das vorher im Planungsprozess aufgesetzt hat.

Geschönte Bedarfe verhindern folglich einen durchgängigen Prozess?

Kemmner: Wenn sich jemand lieber an seiner Erfahrung anstelle eines Systems orientiert, also Werte eigenständig ändert, wird die Planungskette dadurch unterbrochen. Den Verantwortlichen in den Unternehmen ist es manchmal gar nicht bewusst, dass die Planung nicht konsequent von oben nach unten durchgeführt wird. Wobei ich auch sagen muss: nicht durchgeführt werden kann.

Was meinen Sie damit?

Kemmner: Eingriffe erfolgen ja nicht nur aus Willkür der Sachbearbeiter, sondern sind manchmal notwendig, weil die Werte von oben schlicht nicht der Realität entsprechen.

Es macht dennoch einen Unterschied, ob die Entscheidung von der Geschäftsführung oder von einem Sachbearbeiter stammt.

Kemmner: Ich weise immer wieder gerne darauf hin, dass Sacharbeiter mitunter Entscheidungen treffen, für die der Geschäftsführer, gemessen an der Summe und dem Fehlerpotenzial, den Beirat beziehungsweise den Aufsichtsrat einbeziehen müsste. Es ist erstaunlich, was auf den unteren Ebenen relativ locker durchläuft, weil sich niemand darüber Gedanken macht. (svo/cfo)

Der Logistik-Guru

Foto: Abels & Kemmner GmbH

Prof Götz-Andreas Kemmner ist geschäftsführender Gesellschafter der Abels & Kemmner GmbH. Er ist zudem Honorarprofessor für Unternehmenslogistik und Supply Chain Management an der Westsächsischen Hochschule Zwickau.

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