Hünenberg (pte020/16.05.2011/15:15) - IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn, der der sexuellen Belästigung einer New Yorker Hotelangestellten beschuldigt wird, dürfte an einer narzisstischen Störung leiden. Zu diesem Schluss kommt Werner Berschneider, Therapeut und Coach bei F&A Training und Coaching http://www.f-und-a.ch sowie Autor des bei präsenz erschienenen Buches "Wenn Macht krank macht". "Bewahrheiten sich die Vorwürfe, so sind sie eindeutig als narzisstische Entgleisung zu sehen. Ein einflussreicher Mann nimmt sich, was er sich vorstellt, bricht dabei alle sozialen Regeln und glaubt, das betroffene Zimmermädchen müsste sich dafür noch glücklich schätzen", so die Analyse des Experten im pressetext-Interview.
Eroberung als narzisstischer Gewinn
Die Persönlichkeit Strauss-Kahns fesselt derzeit weltweit die Schlagzeilen. Er sei außer mächtig auch charismatisch, ein eloquenter Verhandlungskünstler und könne sich gut auf Leute konzentrieren, die er für sich gewinnen will, bescheinigen ihm viele Bekannte. Für Berschneider stellt dies keinen Gegensatz zu den Beschuldigungen dar. "Es scheint zwar undenkbar, dass ein Mensch wie Strauss-Kahn nicht in der Lage ist, seinen Trieben mit Geistigkeit gegenzuhalten. Dennoch ist das Muster des älteren, einflussreichen Mannes, der unbedingt eine deutlich jüngere Frau gewinnen will, sehr häufig."
Ältere Männer in Machtpositionen seien besonders häufig dafür anfällig, durch Eroberungen Bestätigungen der eigenen Grandiosität zu suchen. "Mit 50, 60 Jahren merken Männer, dass sie vergesslich werden und mit der Kraft, Potenz und auch dem jugendlichen Aussehen an Grandiosität verlieren. Manche steigern infolge dessen ihre Vorstellungen ins Bizarre, wie etwa die Prunksucht und Selbstvergötterung von Gaddafi oder Kim-Jong Il drastisch zeigen. Manche wie etwa viele Opernstars reagieren auf ihr Unvermögen, den Verlust zu ertragen, mit völligem Rückzug aus der Gesellschaft, Extremfälle sogar mit Suizid."
Kaum erträgliche Selbstdarstellung
Ihren Anfang nehmen derartige Verhaltensweisen oft in Vorfällen in der Kindheit, die als peinlich und demotivierend erlebt werden. "Betroffene streben später häufig Machtpositionen an, in der sie niemand mehr beschämen kann. Gelingt der Karriereschritt, schaffen sie einen Dunstkreis von Profiteuren, die ihnen ständig ihre Großartigkeit vermitteln. Viele glauben das infolge auch selbst - und entfernen sich damit immer mehr von der Realität." Der Weg sei vorgezeichnet für dem Umfeld unerträgliche Selbstdarstellungen, rein egoistische Verhaltensweisen, Beziehungsunfähigkeit und andere Entgleisungen.
Was narzisstisch Veranlagte vor dem Eklat schützen kann, ist ein Widerpart - ein Umfeld, das geradlinig-freundschaftlich Grenzen signalisiert und überzogenen Selbstdarstellungen Einhalt gebietet. Auch Lebenskrisen könnten dies bewirken, wofür Berschneider Deutschlands jüngst enttrohnten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als Beispiel nennt. "Der Jobverlust dürfte für den eindeutig narzisstisch geprägten Guttenberg ein heilsamer Schock gewesen sein. Nachdem er stets als Heilsbringer und Hoffnungsträger für das Kanzleramt hochgelobt wurde, kann er sich vielleicht jetzt zu einem reiferen Menschen entwickeln."
Wachsamkeit und Selbstachtung
Derzeit leben wir im Zeitalter des Narzissmus, so Berschneider. "Eine gewisse Mitschuld tragen hier die Medien, die stets nur souverän-coole Siegertypen vorführen, hinter deren Fassade man bei genauerem Hinsehen jedoch oft Leid wie etwa Alkohol-, Drogen- oder Beziehungsprobleme entdeckt." Auch die Erziehung spiele eine Rolle, da Egoismus und Sozialkompetenz oft nicht mehr im Gleichgewicht sind, sowie auch Computerspiele. "Wenn Jugendliche beim Scheitern in der Realwelt ständig ins Virtuelle flüchten, wo sie ein Gefühl der Omnipotenz erhalten, so ist das gefährlich."
Damit die Gesellschaft nicht weiter in die Narzissmus-Falle tappt, fordert Berschneider von ihr erhöhte Wachsamkeit. "Das gilt in der Politik, wo man etwa auf die Vernunft der italienischen Wähler weiter hoffen muss, ebenso wie für die Wirtschaft. Konsumenten sollten mit ihrer Kaufmacht Allmachtsfantasien nicht weiter stützen, wie auch Mitarbeiter Anforderungen jenseits der Selbstachtungs-Grenze nicht mittragen sollten." So haben etwa Angestellte des AKWs Fukushima Prüfprotokolle gefälscht, um ihre Betriebe als "betriebssicher" darzustellen.
(pte)