Taiwans PC-Industrie lockt das Ausland

23.07.1998

MÜNCHEN: Ausländische OEM-Partner bedienen sich zunehmend der Produktionskapazitäten der IT-Branche Taiwans. Besonders bei der schnellen Umsetzung einer Produktidee und dem Kostenmanagement setzt der Inselstaat Maßstäbe. Jürgen Schlomski* berichtet über die Hintergründe.Taiwans IT-Industrie stellte mit über 500 Anbietern eines der größten ausländischen Ausstellerkontingente bei der diesjährigen Cebit in Hannover und übertraf damit sogar den Andrang amerikanischer Anbieter.

Nach Einschätzung von Dieter Neumann, Repräsentant der Deutschen Messe AG in Taipeh, wird Taiwan, im Gegensatz zu anderen asiatischen Ländern, von ausländischen Unternehmen schon lange nicht mehr als verlängerte Werkbank angesehen. Die Zeit der billigen Arbeitskräfte gehört der Vergangenheit an. Der Grundstock für diese Veränderung wurde bereits in den frühen 80er Jahren gelegt. Damals begann die Regierung diesen Wirtschaftszweig zu fördern. Er wurde zur "strategischen Industrie" erklärt.

So kümmerten sich die Taiwaner zuerst um den Aufbau eines Bildungssystems zur Schaffung "technischer Intelligenz". Außerdem wurden regierungseigene Forschungs- und Entwicklungsinstitute gegründet, die nicht nur Grundlagenforschung betreiben, sondern auch für die Erstellung fertigungsreifer Produktkonzepte zuständig sind. Oberstes Ziel: Möglichst viel im eigenen Land zu fertigen.

Besondere Bedeutung haben die Insulaner dem Marketing beigemessen. So wurde ein Institut (Market Intelligence Center) gegründet, das weltweit Informationen sammelt und auswertet. "Damit erhalten auch kleine Firmen ein zentral erarbeitetes Wissen, das sie sich aus eigener Kraft nicht erstellen können", kommentiert Asienkenner Neumann die Vorgehensweise.

Kleinere Aufträge sind für Taiwans Firmen kein Problem

"Zwar gibt es in Taiwan nur eine Handvoll Großunternehmen, allen voran die wohl bekannteste Marke Acer", so der Repräsentant weiter.

"Die typische Industriestruktur Taiwans folgt jedoch immer noch der chinesischen Tradition zu mittleren und kleinen Familienunternehmen. In Taiwan arbeiten Tausende von Mini-Unternehmen, die sich auf bestimmte Teile und Komponenten spezialisiert haben." Ihre gegenseitigen Beziehungen vergleicht Neumann mit einem Spinnennetz. Selbst große Stückzahlen können diese Unternehmen rationell assemblieren und in Rekordzeit auf den Markt bringen.

Diese Arbeitsweise führt unter anderem zu dem von internationalen Abnehmern geschätzten Effekt, daß Taiwans Firmen auch kleinere Aufträge akzeptieren und in Rekordzeit zur Auslieferung bringen. Neumann nennt ein Beispiel: "Die Entwicklung eines neuen Computers von der ersten Diskussion einer Produktidee bis hin zur Auslieferung der exportfertigen Ware an der Verladerampe dauert in Taiwan durchschnittlich 90 Tage. Das ist ein Zeitraum, den deutsche Unternehmen für die Verpackungsgestaltung benötigen."

Fertigungstechnisch bietet Taiwan keine Kostenvorteile mehr. Die ungehemmten Immobilienspekulationen und die jahrelangen Lohnerhöhungen, die über dem Produktionsanstieg lagen, haben Taiwan zu einem teuren Standort gemacht. Ein beträchtlicher Teil der Fertigung wurde und wird deshalb in angrenzende Billiglohnländer ausgelagert. Zum Beispiel in die Volksrepublik China. 1997 expandierte das Produktionsvolumen der taiwanischen IT-Branche auf 30 Milliarden US-Dollar. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von rund 21 Prozent. Für den laufenden Zeitraum werden 36 und für 1999 rund 40 Milliarden Dollar erwartet.

Ungeachtet dieser Steigerungsraten, sind die Taiwaner mit dem Wachstum des vergangenen Jahres nicht ganz zufrieden. Die Gründe: Die Notebook-Produktion erreichte nicht die prognostizierten 4,8 Millionen Einheiten. Der Preisverfall bei Monitor-Bildröhren war größer als der Produktionszuwachs. Die gleiche Situation, nur noch krasser, war bei den Scannern zu beobachten. Zwar verdoppelte sich die Produktionsmenge, ihr Wert stieg jedoch im gleichen Zeitraum nur um bescheidene 26 Prozent.

Bei allem Erfolge am Markt ist es den taiwanischen Firmen nicht gelungen, ihre eigenen Markennamen zu etablieren. Sie sind an den Kosten für die Durchsetzung gescheitert. Das zeigt der hohe OEM-Grad, der sich von 66 Prozent in den beiden letzten Jahren sogar auf 75 Prozent vergrößert hat. Mit anderen Worten: Die Abhängigkeit von ausländischen IT-Anbietern ist enorm.

* Der Autor Jürgen Schlomski ist freier Journalist in Dietzenbach.

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