Tips zur Konzeptionellen Unternehmensentwicklung

17.09.1998

MÜNCHEN: Ohne klare Strategie sind mittelständische IT-Fachhändler früher oder später zum Scheitern verurteilt. Tatsache jedoch ist, daß Strategiedefizite in der Branche an der Tagesordnung sind. Der Autor Kurt Iser*, Leiter des Partnervertriebs bei Siemens, Geschäftsbereich Vernetzungssysteme, zieht eine kritische Bilanz seiner Erfahrungen. Zugleich gibt er Tips für die tägliche Praxis.Strategische Unternehmensführung, strategische Produktplanung, strategische Personalführung und so weiter. Fast alles und jedes wird heute mit dem Begriff "Strategie" geadelt. Wir scheinen ein Volk von Strategen geworden zu sein, das auf der Basis klarer Konzepte die Zukunft plant.

Daß es in der Realität der Systemhausszene ganz anders aussieht, wissen wir alle. Zwischen stragischen Lippenbekenntnissen und praktischer Umsetzung klaffen erhebliche Lücken. Das ruft in uns allen stilles Unbehagen hervor. Langfristig erforderliche Entscheidungen werden oft ausschließlich intuitiv getroffen. Das kann im Einzelfall durchaus nützlich sein, ersetzt auf Dauer jedoch kein unternehmerisches Gesamtkonzept.

Wo viele Partner der Schuh drückt

Tatsache ist, daß viele IT-Händler einen großen Teil ihrer Energien verlieren, weil sie sich trotz maximalen Arbeitseinsatzes und Engagements verzetteln. Zu viele Produkte, zuviele Lösungen, zuviele Zielgruppen - und damit auch zuviele Probleme. Der Erfolg hängt letztlich von einer zielgerichteten Konzentration der Kräfte, der richtigen Strategie, ab: Nicht überall dabeisein wollen, sondern nur dort, wo man über besondere Stärken und Fähigkeiten verfügt.

Diese Spezialisierung auf Engpaßfaktoren wird von besonders erfolgreichen Unternehmen praktiziert. Wer seine Aktivitäten auf solche Engpaßfaktoren konzentriert, erzielt seine Erfolge im Regelfall schneller und mit weniger Aufwand.

Strategie ist also nichts anderes als die Art und Weise, wie Mensch oder Unternehmen die ihnen zur Verfügung stehenden Kräfte und Mittel einsetzen. Vor diesem Hintergrund betrachte ich die Strategie-definition und -entwicklung als eine der wichtigsten unternehmerischen Aufgaben und diese Strategieentwicklung kann auch dem IT-Handel nutzen.

Überleben heisst permanente Anpassung

Unsere Branche ist ein Tollhaus. Tägliche Horrormeldungen beherrschen die Presse: Preis- und Margenverfall, Verdrängungswettbewerb, rückläufige Zuwachsraten, Probleme bei Herstellern und Händlern bestimmen die Schlagzeilen. Die IT-Branche - Hersteller wie Partner - müssen künftig eine ununterbrochene Folge von Veränderungen bewältigen, die ihre Existenz in ihren Grundfesten erschüttern. Durch die immer kürzer werdenden technischen Innovationszyklen verringert sich zwangsläufig auch die zur Verfügung stehende Amortisationszeit.

Die Herausforderung besteht somit nicht darin, sich ein für allemal auf eine neue Situation einzustellen, sondern sich in einem Zustand permanenter Anpassungsbereitschaft zu halten. Einige Indikatoren für die nächsten Jahre sind schon erkennbar:

- Die früher getrennten Welten der Daten- und Sprachverarbeitung wachsen unter dem Synonym "Informationstechnologie" zusammen. Der Begriff "Konvergenz" ist dabei immer häufiger zu hören.

- Neue Vertriebsformen wie Versandhandel, Direktmarketing mit Hilfe des Internets (E-Commerce), Superstores und Kaufhäuser bedrängen den klassischen Fachhandel und versuchen, ihn über ein aggressives Preisverhalten auszubremsen.

- Gleichzeitig nehmen die Anforderungen an die selbständigen IT-Partner laufend zu. Unternehmenskommunikation, Vernetzung, Systemintegration, ISDN, die Verbindung von Telekommunikation und Computertechnologie - all das erfordert eine ständige Erweiterung des vorhandenen Know-how.

- Dienstleistung und Beratung werden daher zu den entscheidenden Differenzierungskriterien der Zukunft. Wer als IT-Partner seine

Marketing- und Vertriebsstrategie daraufhin ausrichtet, steht auf der sicheren Seite. Freilich, mit Schlagworten ist es dabei nicht getan: Die Substanz von Beratung und Service muß zuerst qualitativ in Ordnung sein, bevor man dafür Geld verlangen kann. Und daß qualifizierte Dienstleistungen heute nicht mehr zum Nulltarif möglich sind, wird allmählich auch in Kundenkreisen verstanden und akzeptiert.

Diese Entwicklungen zu erkennen und sich rechtzeitig darauf einzustellen, ist die wichtigste Aufgabe des Unternehmers.

Wer auf Marktveränderungen nicht nur reagieren, sondern agieren will, ist gut beraten, wenn er sich

der schlichten, aber überaus erfolgreichen Drei-Stufen-Methode bedient:

a. Wo stehen wir?

b. Wo wollen wir hin?

c. Was müssen wir dafür tun?

Nach diesem Grundprinzip geht bekanntlich jede Unternehmensberatung vor. Am Anfang muß stets eine ehrliche Bestandsaufnahme in folgenden Punkten stehen:

- Entspricht Ihr Unternehmenskonzept noch den veränderten Marktbedingungen?

- Über welche Stärken und Schwächen verfügt Ihr Unternehmen?

- Ist das Unternehmenskonzept daraufhin ausgerichtet?

- Wie haben Sie sich im Vergleich zu Ihren Mitbewerbern entwickelt?

- Welche Dienstleistungen bieten Sie an und welche werden tatsächlich berechnet?

- Betreiben Sie eine systematische Marketing- und Vertriebsarbeit?

- Stehen die Mitarbeiter motiviert hinter Ihrem Konzept?

Die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme sind die Grundlage für die Definition Ihrer strategischen Ziele und Planungen. Viele Unternehmen, speziell in der Computer- und Informationsindustrie, sind nicht primär an unabwendbaren Schicksalsschlägen gescheitert, sondern an der eigenen Unfähigkeit, rechtzeitig auf neue Entwicklungen und Trends zu reagieren. Glücklicherweise befällt dieser Virus Großbetriebe genauso häufig wie den Mittelstand - nur kann sich dieser solche Fehler nicht zweimal leisten.

Unternehmen brauchen eine Vision

Schließlich erarbeiten Sie die zur Zielerreichung erforderlichen operativen Maßnahmen. So entsteht ein praxisgerechtes Unternehmenskonzept aus Analyse, Strategie und Maßnahmen.

Jede Unternehmensstrategie, jedes Unternehmenskonzept bedarf zunächst einmal grundsätzlicher, übergeordneter Ziele. Diese Ziele müssen einfach und klar definiert sein und

eine langfristige Vision beinhalten. Eine solche Vision ist keine schicke Modeerscheinung, sondern die Voraussetzung jeder Differenzierung. Diese Ziele dürfen jedoch nicht nur in Imagebroschüren verewigt werden, sie müssen vom Unternehmer und seinen Mitarbeitern verkündet und vorgelebt werden. Denn eine

Vision hat Ziel- und Richtungscharakter.

Was zum Überleben notwendig ist

Ein Wort noch zur Einbindung der Mitarbeiter. In jeder Managementlehre können wir nachlesen, daß "die wichtigste Ressource, die wir haben, das geistige Potential und die Leistungsreserven unserer Mitarbeiter sind". Wirkliche Spitzenleistungen im Unternehmen werden aber nur von solchen Mitarbeitern erbracht, die sich mit ihren Aufgaben und ihrem Unternehmen identifizieren.

Tun wir eigentlich genügend für die Motivation dieser Leistungsträger? Binden wir sie rechtzeitig und ausreichend in unsere Überlegungen und Planungen ein? Gibt es eine entsprechende Firmenkultur und einen einheitlichen Marktauftritt? Die Erfahrung zeigt, daß die Entwicklung von Unternehmensstrategien am Mitarbeiter vorbei ein kaum wieder gutzumachendes Versäumnis darstellt.

Aus vielen Gesprächen weiß ich, daß es oft an der über den Tag hinausgehenden Vision fehlt. Zeitprobleme, Alltagssorgen und der tägliche Streß sind dafür die häufigsten Ursachen. Symbolisch gilt dann häufig die Aussage: "Nachdem wir das Ziel aus den Augen verloren haben, verdoppeln wir jetzt unsere Anstrengungen."

Wer in diesem Markt dauerhaft mit Erfolg agieren will, muß aus meiner Sicht folgende Prinzipien beachten:

- Überlebensprinzip: Nur wer mindestens über einen strategischen Wettbewerbsvorteil verfügt, wird überleben. Denn nur so kann er sich von der Konkurrenz differenzieren. Ansonsten wird er in den großen Topf der Nivellierung geworfen, in dem hauptsächlich mit dem Instrument "Preis" gekocht wird.

- Wahrnehmungsprinzip: Nur die vom Kunden wahrgenommenen Wettbewerbs- und Nutzenvorteile zählen. Entscheidend ist, wie uns der Kunde mit unseren Leistungen sieht und nicht umgekehrt. Die beste Strategie, das beste Produkt ist zum Scheitern verurteilt, wenn es uns nicht gelingt, den Kunden von seinem Nutzen zu überzeugen.

- Konzentrationsprinzip: Die interne und externe Umsetzung erfordert eine Konzentration der Kräfte auf

das Wesentliche. Wir können nicht überall mit der gleichen Intensität mitmischen. Die Lösung kann nur lauten: "Spezialisierung und Segmentierung" oder, anders ausgedrückt, Tiefenwirkung statt Breitenwirkung.

*Der Autor Kurt Iser ist Leiter des Partnervertriebs bei Siemens Private Netze, Geschäftsbereich Vernetzungssysteme.

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