TK-Anbieter vor Übernahmen von Netzwerkunternehmen

06.10.1998

MÜNCHEN: TK-Anbieter Nortel zeigt sich an Netzwerker Bay Networks interessiert, Ericsson an Ascend, und Siemens soll ein Auge auf 3Com geworfen haben. Wären es auch nur Gerüchte, so bleibt dennoch richtig: TK-Anbieter drängen in den Netzwerkmarkt. Als Komplett-anbieter für Daten- und Sprachvermittlung.Die Jahresbilanzen der Netzwerker 3Com und Cabletron sorgten bei den Analysten der Wallstreet für Mißmut. Hub-Spezialist Cabletron bilanzierte für das Geschäftsjahr 1997/98 (28. Februar 1998) einen Umsatzrückgang von 1,4 auf 1,38 Milliarden Dollar und einen Nettoverlust von 127,1 Millionen Dollar (Vorjahresgewinn: 222,1 Millionen). Und außerdem kündigte das Unternehmen erneut Entlassungen an: 180 Mitarbeiter sollen es diesmal sein. Erst im Dezember 1997 hatten 600 Mitarbeiter ihren Job bei dem Netzwerker aus Rochester verloren.

Die Bilanz des Low-end-Netzwerker 3Com fiel ähnlich deprimierend aus: Im ersten Quartal 1998 meldete das Unternehmen 146,8 Millionen Dollar Verlust, im zweiten und dritten Quartal (28. Februar 1998) fielen für die Spezialisten für Netzwerkadapter, Workgroup-Hubs und Modems insgesamt bescheidene 19 Millionen Dollar Gewinn ab. Und die Netzwerk-Company Bay, die seit mehr als einem Jahr mit der Neusortierung ihrer strategischen Unternehmensziele beschäftigt ist, warnte vorsorglich: Die Ergebnisse für das dritte Quartal 1998 werden deutlich unter den Erwartungen liegen.

Die Begründungen für diese Ergebnisse, die schlecht zu den bislang erfolgsverwöhnten Netzwerkern passen, lauten zwar stereotyp: schwache Nachfrage und dramatisch fallende Margen.

Der Wegfall dezidierter Netze sorgt für Anbietervielfalt

Doch so zutreffend Marktanalysten und den quartalsweise an Aktienbesitzer verschickten Rechenschaftsberichten zufolge diese Begründungen sind, so stellen sie doch nur die halbe Wahrheit dar. Denn TK-Anbieter, auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern, interessieren sich neuerdings für Netzwerkanbieter. Dabei verwenden sie gerne blutleere Vokabeln wie "Konvergenz der Daten- und Sprachkommunikation". In Newslettern der Netzwerkbranche wird blumig von "Hochzeiten" von TK- und Netzwerkern geredet, wobei letzteren die Rolle der Braut zugeschanzt wird. Nüchterner betrachtet geht es darum: Den Spezialisten für Datenübertragungen in LANs, Campus-Netzwerken und WANs blüht eine Übernahmewelle. "Telekommunikationsanbieter drängen in den Markt für Netzwerk-komponenten. Nicht nur, weil Daten- und Sprachübertragung zusammen wachsen, sondern weil Unternehmen fordern, daß ein Anbieter für das gesamte, unternehmensweite Netzwerk verantwortlich zeichnet", steht für einen Brancheninsider fest.

Nun sind diese Marktentwicklungen in den Kreisen der Netzwerkanbieter längst bekannt. Doch die bislang funktionierende Marktaufteilung zwischen TK- und Netzwerkanbietern ist seit dem Vormarsch des Internet Schnee von gestern. Die Situation im Datenübermittlungs-geschäft hat sich vollkommen verändert.

Das "Netz der Netze" droht den unumstrittenen Herrschern über die weltweite Sprachvermittlung, ihre bis gestern unumstritten gezückte Trumpfkarte "weltweite Vernetzung" zum Ausflaufmodell zu machen. Wenn jedes Modem, Notebook und Handy den Zugang zum IP-basierenden Internet erlaubt, ist es umgekehrt naheliegend, alle Möglichkeiten der Datenübertragung über dieses Protokoll auszuloten. Wie im letzten Jahr die Anbieter von Netzwerkkomponnenten eindrucksvoll bewiesen: Auf den Fachmessen dieser Welt wurden, angetrieben von der Marktmacht "Übertragungsbreiten" immer neue Techniken vorgestellt und für Ankündigungen und Allianzen im Dutzend gesorgt.

Netzwerker haben zu wenig Geld

Technikentwicklung kostet Geld. Wer konkurrenzfähig bleiben will, muß immer mehr Geld haben. Entweder, um Technologien zu entwickeln, oder aber, um diese einzukaufen. Weshalb Netzwerkanbieter in den letzten zwei Jahren eine beispiellose Kaufwelle lostraten. Die Aussicht, Konkurrenten mit spezifischen Dienstleistungen für Datenübertragungen auszustechen und damit als erster am Markt reüssieren zu können, trieb Netzwerkanbieter an.

Gigabit-Garagen-Anbieter, Start-up-Firmen mit ATM, IP-Telefonie oder Multi-Class-WAN-Komponenten eigneten sich die Großen der Netzwerkbranche für Dutzende von Millionen Dollar an.

Doch womit die Netzwerker nicht gerechnet hatten beziehungsweise "worauf sie zu spät reagierten", wie ein Brancheninsider glaubt, ist: Die Telekommunikationsanbieter bastelten keineswegs nur an neuen Abrechnungsmodellen für ihre Netze herum, sondern sie loteten die Chancen aus, als Netzwerk-Anbieter schlechthin auftreten zu können. "Telekommunikationsanbieter drängen in den Markt für Netzwerkkomponenten. Daten- und Sprachübertragung wachsen zusammen. Und Unternehmen fordern, daß ein Anbieter für das gesamte, unternehmensweite Netzwerk verantwortlich zeichnet", analysiert ein

Insider.

TK-Anbieter branchen das Know-how der Netzwerker

Darauf aber waren die Netzwerker nicht vorbereitet. Und wenn doch, erlaubten ihre Kassen trotz teilweise dreistelliger Millionengewinne nicht, sich in die Etage der TK-Anbieter hochzustemmen.

Umgekehrt hat die Telekommunikationsbranche erkannt, welche Möglichkeiten sich ihr eröffnen, wenn sie zusätzlich zu TK-Anlagen auch die IT-Ausstattung von Unternehmen insgesamt installiert.

"Dafür brauchen sie jedoch das Know-how von Netzwerkern, sowohl was LAN-Komponenten als auch Protokolle betrifft. Dieses Knowhow selbst aufzubauen, würde für TK-Firmen viel zu lange dauern und wäre wahrscheinlich unrentabel", ist sich ein Marktbeobachter sicher.

Ihn wundert deshalb nicht, daß zur Zeit etwa Bay Networks mit dem TK-Anbieter Nortel wegen einer Übernahme verhandelt. "Die Situation ist simpel: Um im Markt weiter zu bestehen, brauchen Netzwerker die Telefonanbieter. Erst deren Unternehmenskunden bieten zum Beispiel die erforderliche breite Basis, um rentabel Produkte entwickeln zu

können. Außerdem ist es im Netzwerkmarkt so, daß es kaum mehr Komponenten gibt, die sich von Konkurrenten unterscheiden. So entscheiden Kunden immer mehr über den Preis.

Was für Komponentenanbieter wiederum heißt: Sie müssen immer mehr verkaufen, um ihre Entwicklungskosten hereinzubekommen", analysiert der Spezialist. "Eine mörderische Markttendenz, der man nur durch Allianzen oder durch das Unterschlüpfen bei TK-Anbietern Paroli bieten kann", faßt er zusammen..

Ihn bestätigt der Geschäftsführer eines großen Komponentenanbieters: "Es ist offensichtlich: Der Kampf um die Integration von Sprach- und Datenverkehr beginnt jetzt. Wer hier gewinnen will, braucht die kritische Umsatzmasse. Und die bekommt man nur, wenn man die Tür zum TK-Markt aufstoßen kann."

Mit dieser Einschätzung liegt er auf der Linie von Router-König Cisco. Das Milliardenunternehmen, das als einziger der großen fünf Netzwerker Jahr für Jahr Umsatz und Gewinn steigern konnte, arbeitet beispielsweise längst mit TK-Anbietern wie der Deutschen Post AG in Sachen Sprach- und Datenintegration zusammen. Dagegen nehmen sich trotz eifrigen Bemühens die Anstrengungen der Konkurrenten bescheiden aus. Zwar haben alle Großen eigene Carrier- und TK-Abteilungen gebildet, doch in diesem Bereich kommen außer Cisco nur Ascend und Lucent wirklich zum Zug.

Schmusekurs der TK- und NetzwerkAnbieter ist beendet

Lucent, die ausgegliederte AT&T-Tochter, ist naturgemäß mit besten Kontakten versehen, und in der Branche munkelt man seit längerem, daß auch Ascend nach Partnern sucht.

Wie 3Com. Den Netzwerkern, die durch den Kauf von US Robotics in die sogenannte "Carrier"-Klasse vorstoßen wollten, werden gute Kontakte zu Siemens nachgesagt. Die Münchener halten sich Netzwerker Newbridge, doch um als Anbieter von Unternehmensnetzen agieren zu können, brauchen sie LAN-Equipment und Techniker. Mit 3Com im Boot könnten sie dieses Ziel erreichen. "Für große Unternehmen sind qualifizierte Dienste unabhängig davon, ob es sich um Sprach- oder Datenübermittlung handelt", erklärt Walter Gora, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Gora, Hecken & Partner aus Sulzbach. "Wenn sie einen Anbieter finden, der das kann, nehmen sie ihn."

Und genau dafür rüsten sich welt-weit Telekommunikationsanbieter.

Die Allianzen zwischen TK-Unternehmen und Netzwerkern werden gekappt. Anstelle des vorübergehenden Schmusekurses der beiden Lager geht jetzt eine Übernahmeschlacht los. "Der Merge von Daimler und Chrysler hat Auswirkungen auf die IT-Branche. Er zeigt, was möglich ist", ist sich Gora sicher.

Netzwerker Lucent steht schon in den Startlöchern: Ab September kann das 24-Milliarden-Dollar-Unternehmen auf Einkaustour gehen. "Das werden sie bestimmt tun", legt sich der Brancheninsider fest.(wl)

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