Tollcollect: Des Kaisers neue Kleider?

16.02.2005
Wenn bei einem Erfassungssystem 90 Prozent der verwendeten Geräte nicht oder nur fehlerhaft funktionieren, liegt nahe, von einem lausigen System zu sprechen. Dass dergleichen für Toll Collect gilt - diesen Beweis trat gestern abend das ZDF-Magazin "Frontal 21" an. Es schickte einen Lastwagen - nach Voranmeldung bei Toll Collect - mehrmals an einem Tag auf die Autobahn. Die OBU (On-Board-Unit), die zur Erfassung des Lastwagens durch das Mautsystem dient, war ausgeschaltet. Das Ergebnis: Acht von neun Mautbrücken "zeigten keinerlei Aktivität", wie es das Magazin formulierte. Eine Mautbrücke habe zwar den Lkw per Infrarotabtastung erfasst; das System sei aber nicht in der Lage gewesen, das Fahrzeug trotz Nennung des Kennzeichens zu identifizieren. Toll Collect, das nach vielen Problemen und 16 Monaten Verzögerung erst Anfang Januar gestartete Maut-System für alle Lkw auf Autobahnen in Deutschland, soll auf rund 24.000 Kilometer Autobahn von Lastwagen eine Benutzungsgebühr erheben. Es wird von DaimlerChrysler, Deutsche Telekomm und dem französischen Autobahnbetreiber Cofiroute betrieben. Siemens gehört zu den Entwicklern des OBU-Systems. Toll Collect verweigert bisher eine Stellungnahme zur Arbeitsweise des Systems. Es will erst Mitte April, nach 100 Tage nach Einführung des Systems, eine erste Zwischenbilanz ziehen. Allerdings erklärte ein Sprecher gegenüber "Spiegel online": "Frontal hat Glück (!) gehabt." Er bestätigte, "dass nicht alle Mautbrücken ständig im Beweismittelversand gegen Mautpreller aktiviert sind. Lediglich 10 Prozent meldeten an die Zentrale. "Eine 100-Prozent-Erhebung wäre angesichts des Aufwands nicht wirtschaftlich"", so der Sprecher. Laut offiziellen Angaben von Toll Collect tun bisher knapp 380.000 OBUs in in- und auslän-dischen Fahrzeugen ihren Dienst. "Rund 77 Prozent der Lkw-Fahrten werden mit einer OBU durchgeführt", hatte Verkehrsminister Manfred Stolpe letzte Woche gesagt. Die offizielle Stellungnahme des Bundesamt für Güterverkehr (BAG) lautet: Nur drei Prozent der Lkw auf deutschen Autobahnen würden die Maut prellen. Warum? Das System werde nicht nur durch die Strafdrohung, sondern auch durch die Zahl seiner Kontrollen ernst genommen. Was heißt: 360 Kontrolleure auf 24.000 Kilometer Autobahn sorgen durch ihre Präsenz und die Angst der Spediteure beziehungsweise Lastwagenfahrer, von ihnen erwischt zu werden, dafür, dass ein nichtfunktionierendes System dennoch als funktionierendes System wahrgenommen wird. Meinung des Redakteurs: "So ging der Kaiser unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: "Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!" Keiner wollte es sich merken lassen, daß er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht wie diese. "Aber er hat ja gar nichts an!" sagte endlich ein kleines Kind. "Hört die Stimme der Unschuld!" sagte der Vater; und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte. "Aber er hat ja gar nichts an!" rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: ,Nun muß ich aushalten.' Und die Kammerherren gingen und trugen die Schlep-pe, die gar nicht da war." (aus Hans Christian Andersen: "Des Kaisers neue Kleider") (wl)

Wenn bei einem Erfassungssystem 90 Prozent der verwendeten Geräte nicht oder nur fehlerhaft funktionieren, liegt nahe, von einem lausigen System zu sprechen. Dass dergleichen für Toll Collect gilt - diesen Beweis trat gestern abend das ZDF-Magazin "Frontal 21" an. Es schickte einen Lastwagen - nach Voranmeldung bei Toll Collect - mehrmals an einem Tag auf die Autobahn. Die OBU (On-Board-Unit), die zur Erfassung des Lastwagens durch das Mautsystem dient, war ausgeschaltet. Das Ergebnis: Acht von neun Mautbrücken "zeigten keinerlei Aktivität", wie es das Magazin formulierte. Eine Mautbrücke habe zwar den Lkw per Infrarotabtastung erfasst; das System sei aber nicht in der Lage gewesen, das Fahrzeug trotz Nennung des Kennzeichens zu identifizieren. Toll Collect, das nach vielen Problemen und 16 Monaten Verzögerung erst Anfang Januar gestartete Maut-System für alle Lkw auf Autobahnen in Deutschland, soll auf rund 24.000 Kilometer Autobahn von Lastwagen eine Benutzungsgebühr erheben. Es wird von DaimlerChrysler, Deutsche Telekomm und dem französischen Autobahnbetreiber Cofiroute betrieben. Siemens gehört zu den Entwicklern des OBU-Systems. Toll Collect verweigert bisher eine Stellungnahme zur Arbeitsweise des Systems. Es will erst Mitte April, nach 100 Tage nach Einführung des Systems, eine erste Zwischenbilanz ziehen. Allerdings erklärte ein Sprecher gegenüber "Spiegel online": "Frontal hat Glück (!) gehabt." Er bestätigte, "dass nicht alle Mautbrücken ständig im Beweismittelversand gegen Mautpreller aktiviert sind. Lediglich 10 Prozent meldeten an die Zentrale. "Eine 100-Prozent-Erhebung wäre angesichts des Aufwands nicht wirtschaftlich"", so der Sprecher. Laut offiziellen Angaben von Toll Collect tun bisher knapp 380.000 OBUs in in- und auslän-dischen Fahrzeugen ihren Dienst. "Rund 77 Prozent der Lkw-Fahrten werden mit einer OBU durchgeführt", hatte Verkehrsminister Manfred Stolpe letzte Woche gesagt. Die offizielle Stellungnahme des Bundesamt für Güterverkehr (BAG) lautet: Nur drei Prozent der Lkw auf deutschen Autobahnen würden die Maut prellen. Warum? Das System werde nicht nur durch die Strafdrohung, sondern auch durch die Zahl seiner Kontrollen ernst genommen. Was heißt: 360 Kontrolleure auf 24.000 Kilometer Autobahn sorgen durch ihre Präsenz und die Angst der Spediteure beziehungsweise Lastwagenfahrer, von ihnen erwischt zu werden, dafür, dass ein nichtfunktionierendes System dennoch als funktionierendes System wahrgenommen wird. Meinung des Redakteurs: "So ging der Kaiser unter dem prächtigen Thronhimmel, und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: "Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!" Keiner wollte es sich merken lassen, daß er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen. Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht wie diese. "Aber er hat ja gar nichts an!" sagte endlich ein kleines Kind. "Hört die Stimme der Unschuld!" sagte der Vater; und der eine zischelte dem andern zu, was das Kind gesagt hatte. "Aber er hat ja gar nichts an!" rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: ,Nun muß ich aushalten.' Und die Kammerherren gingen und trugen die Schlep-pe, die gar nicht da war." (aus Hans Christian Andersen: "Des Kaisers neue Kleider") (wl)

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