Ulead expandiert in Europa: Big Brother einmal umgekehrt

28.05.1998

TAIPEH/TAIWAN: Der taiwanische Softwarehersteller Ulead wandelt auf den Spuren von Adobe. An Stelle vornehmer Zurückhaltung gegenüber dem übermächtigen Gegner tritt inzwischen mehr und mehr freche Provokation. Der Markt freut sich.Es sind versteckte kleine Hinweise, die darauf hindeuten, daß Ulead langsam Spaß daran hat, den Branchenriesen Adobe zu ärgern. "Nicht nur fürs Web" heißt die Unterzeile auf der Verpackung des komplexen Produktes PhotoImpact, das vor eineinhalb Jahren in Version 3 noch als "speziell fürs Web" entwickelte Software angepriesen wurde. In diesem Marktsegment konnte das junge Unternehmen auch beträchtliche Erfolge verbuchen. Die Presse lobt bereits die letzte Version des Grafik-Programms wegen der zahlreichen cleveren Einfälle und der kundenfreundlichen Preisgestaltung über den grünen Klee. Noch besser stehen die Aktien für die aktuelle Version 4.0. In einer Multimedia-Zeitschrift hieß es: "Ein besseres Werkzeug ist für dieses Geld nicht zu bekommen." Ein Internet-Fachblatt bewertete die Software nicht nur in Preis/Leistung, sondern auch in der absoluten Performance zweimal mit der Bestnote 1.

Auch das zweite Flaggschiff Uleads, die Videobearbeitungssoftware MediaStudio, muß sich hinter Adobes Premiere hinsichlich der Leistung kaum verstecken. In der Multimedia-Szene gilt zwar nach wie vor Premiere als Referenzprodukt. Die Zeitschrift Video hingegen schreibt: "Mit der neuen Version 5 des MediaStudio konnte Ulead den Vorsprung gegenüber Adobe ausbauen."

Und der Markt für Videonachbearbeitung am PC boomt. Kaum eine entsprechende Videokarte, die nicht mit Uleads neuester Software ausgestattet wird. Adobe hält sich dagegen zurück und vertreibt nur die LE-Version von Premiere im Bundle. Das ist eine abgespeckte Variante des erfolgreichen Programms, die aber den meisten Anforderungen genügen dürfte. Dennoch: Die Preisgestaltung von Premiere und Photoshop läßt dem Endkunden oder dem ambitionierten Soho kaum eine Wahl. In der Korrelation zwischen Preis und Leistung sind Uleads Programme überlegen.

Kooperation und Konkurrenz

Die Taiwaner sind beileibe keine Neulinge im Geschäft. Schon 1990 trat die Firma mit ihren Produkten in den USA auf. Eines davon, die Photobearbeitungs-Software PhotoStyler, war dermaßen erfolgreich, daß der damalige Publishing-Riese Aldus daran nicht vorbeikam. Kurzerhand wurde das komplette Produkt von Ulead in Lizenz übernommen. Pikanterweise wurde drei Jahre später Aldus selbst aufgekauft. Von Adobe.

Nicht nur in der Plazierung der Produkte lehnt sich Ulead deutlich sichtbar an die Bemühungen Adobes an. Auch in puncto Support und erweiterte Dienstleistung via Internet eignet man sich Adobes erfolgreiche Strategie an. Auf der inzwischen auch in deutscher Sprache veröffentlichten Web-Site finden sich nicht nur die üblichen Produktankündigungen und Unternehmensnachrichten, sondern auch haufenweise Tutorials und interaktive Fernkurse sowie kostenlose Vorlagen und Softwaremodule, mit denen Benutzer von Ulead-Produkten deren Leistung aufpeppen können.

Noch einen Schritt weiter als Adobe geht Ulead im Bereich Electronic Commerce. Während letztere vor allem kleine Ad-Ons von der Web-Site verkaufen, die - um lauffähig zu sein - eines installierten Vollprogramms wie zum Beispiel Photoshop bedürfen, bietet Ulead kleine autarke Vollprogramme an. Man geht bei der taiwanischen Firma zurecht davon aus, daß Publisher für spezielle Aufgaben auch spezialisierte Tools benutzen und die All-in-one-Taktik dementsprechend nur zur unnötigen Überfrachtung der Produkte führt. Statt dessen soll sich der Multimedialist die Komponenten, die er benötigt, zusammenstellen. Taucht urplötzlich eine spezielle Kundenanfrage zu einem besonderen Effekt auf, so läßt sich das adäquate Produkt noch in derselben Stunde aus dem Internet laden. Und um diesem modularen Konzept die Krone aufzusetzen, hat beispielsweise PhotoImpact eine offene Schnittstelle zu Photoshop-Filtern.

Als Gegenstück zum guten Support auf der Web-Site muß sich Uleads Vertriebssystem bislang kritisieren lassen. In klassischer Kistenschieber-Mentalität verbreitete man die Produkte ferngesteuert über die Distribution. Spezielle Anpassungen an den deutschen oder europäischen Markt wurden zwar an der Software, nicht aber in der Vertriebsunterstützung vorgenommen. Das soll sich ändern, glaubt man Thomas Blum, dem frisch gebackenen Vertriebsdirektor der deutschen Niederlassung mit Sitz in Braunschweig. "Es ist doch nicht schlecht, wenn man sieht, daß Elemente unserer Produkte andere zum Nachahmen anregen," herzt Blum die Konkurrenz.

Mangels anderer Standorte ist die deutsche Niederlassung auch gleichzeitig die europäische Zentrale. Der Firmenstandort Braunschweig ist freilich mit Bedacht gewählt. Sitzt man doch jetzt Tür an Tür mit Pinnacle/Miro, einem der beiden wichtigsten Hersteller im Bereich von Karten für die digitale Videonachbearbeitung. Praktischerweise stand Blum bis 1997 selbst auf der Payroll von der damals noch eigenständigen Firma Miro.

Der Kampf David gegen Goliath

Freilich kann sich Ulead mit einem Jahresumsatz von 20 Millionen Dollar nicht mit Adobe (1997 fast eine Milliarde Dollar) messen. Es mutet eher wie ein Kampf David gegen Goliath an, wenn Ulead verspricht, mit der nächsten Version von PhotoImpact auch den Markt der Druckvorstufe anzugehen. Das Programm wird dann den dafür unverzichtbaren Farbstandard CMYK beherrschen.

Doch wer Adobe und vor allem den deutschen Statthalter Frank Steinhoff kennt, der weiß, daß man den aufkommenden Neuling mit Argusaugen betrachtet. Auf der diesjährigen CeBIT sprach sich Adobe deutlich für die Kernkompetenz bei den Themen Bildbearbeitung, Off-Line-Publishing und Acrobat aus. Kein Wunder: Der Ausflug in den Bereich Web-Publishing mit den Produkten Sitemill und Pagemill gereichen nicht mehr zum Ruhm der Firma. Sie sind nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Im Markt der Videonachbearbeitung hat Adobe jetzt mit dem lang erwarteten Premiere 5 ein neues Eisen im Feuer. Das Produkt glänzt durch eine völlig neugestaltete Benutzerführung. Ein deutlicher Tribut an breitere Marktschichten, die von diesem Produkt in Zukunft adressiert werden sollen. Gleichzeitig aber kontert Ulead mit einer großangelegten Marketingoffensive für das Bundle mit Fasts AV Master. Die Kombination der hochgelobten Software mit der Hardware, die im ambitionierten Consumer-Markt die höchsten Absatzerwartungen verspricht, ist praktisch ein Selbstläufer. Adobe muß sich vorsehen.

Ulead-Vertriebsdirektor Thomas Blum freut sich über Nachahmer.

*Frank Puscher ist freier Journalist in München.

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