Umfrage unter Führungskräften

18.06.1998

FRANKFURT/MAIN: Europas Führungskräfte sind zwar einerseits weitgehend mit ihrer persönlichen Lebenssituation und dem beruflich Erreichten zufrieden. Andererseits sieht die überwältigende Mehrheit der Manager ihr Unternehmen jedoch noch weit vom Idealbild einer marktorientierten, innovativen und teamfähigen Leistungseinheit entfernt. Zu diesem Ergebnis kommt eine vor kurzem veröffentlichte Studie der international tätigen Beratungsgruppe Ray & Berndtson.

Unzufriedenheit macht sich in europäischen Unternehmen allerorten bereit. Ganz oben auf der Liste der Streßfaktoren: der hohe Grad an unternehmensinternem Einfluß bei Personal- und Organisations-entscheidungen. Grund zur Unzufriedenheit gibt es aber auch auf anderen Gebieten, beispielsweise der allgemeine Zeitdruck, die durch interne Sitzungen verschwendete Zeit, die zum Teil unkoordinierte Projektfülle und die positionsbezogene Konfliktintensität.

Diese Gründe - und andere mehr - sind sicher mitentscheidend, daß über 70 Prozent der befragten Manager ihre derzeitige Position in weniger als zwei Jahren verlassen wollen. Obwohl der angestrebte Karriereschritt auch innerhalb des Unternehmens vollzogen werden könnte, arbeitet über die Hälfte der Führungskräfte an einem beruflichen Aufstieg außerhalb ihrer Organisation. Aus diesem Grund verfolgen über zwei Drittel der Befragten die Stellenanzeigen in den überregional erscheinenden Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Nahezu 50 Prozent aktualisieren regelmäßig ihre Lebensläufe, 38 Prozent haben ihre Bewerbungsunterlagen bereits potentiellen Arbeitgebern zugeleitet und Vorstellungsgespräche geführt. Über 60 Prozent der Befragten sehen für sich mehrere berufliche Alternativen und gehen einen Positionswechsel optimistisch an.

Die überwiegende Mehrheit der Manager findet es strategisch wichtig, Kontakt zu einem Personalberatungsunternehmen mit internationaler Orientierung für den weiteren beruflichen Aufstieg zu halten. Aus diesem Grund hat die Hälfte der Befragten intensive, langfristig angelegte Beziehungen zu Personalberatungen aufgebaut und 1997 im Durchschnitt mit sechs Häusern entsprechende Gespräche geführt.

Internationale Erfahrungswerte stehen hoch im Kurs

Insgesamt scheint die internationale Mobilität der Manager zuzunehmen. Etwa zwei Fünftel der Befragten streben ausländische Positionen an, 37 Prozent halten das für vorstellbar, während nur sieben Prozent dies kategorisch ablehnen und auf ihr Heimatland fixiert sind.

Unentschieden in dieser Frage sind 17 Prozent. Damit zeigen 75 Prozent der Manager eine klare internationale Orientierung. Sie sind sich jedoch auch der Schattenseiten von Auslandseinsätzen bewußt: Konflikte innerhalb der Familie, Schwierigkeiten bei der beruflichen und gesellschaftlichen Reintegration nach der Rückkehr, kulturelle Unterschiede, Kommunikationsprobleme mit ausländischen Mitarbeitern und Kollegen, mögliche Unterbrechung der beruflichen Laufbahn durch Peripherieeinsätze.

Erst kommt der Job, dann die Familie

Die Studie bestätigt zudem, daß sich die überwältigende Mehrheit der Führungskräfte durch ihre Berufstätigkeit definiert: Über 63 Prozent stufen ihr berufliches Engagement als extrem oder sehr wichtig ein. Die Familie rangiert dagegen mit weitem Abstand (33 Prozent) auf Platz zwei, gefolgt von den Freizeitaktivitäten (15 Prozent) und ehrenamtlichen Engagements (sechs Prozent). Im Durchschnitt sind die Befragten etwa 60 Stunden pro Woche beruflich aktiv, 13 Stunden sind für Entspannung und Freizeit vorgesehen. Die meisten Führungskräfte würden ihre Arbeitsbelastung gerne auf 50 Wochenstunden reduzieren. Die eingesparte Zeit soll im wesentlichen in gewinnbringende Freizeitaktivitäten fließen.

Die wichtigsten Herausforderungen

Bei der Frage nach den wichtigsten persönlichen Herausforderungen in puncto Karriere wurden fünf Antworten mit nahezu gleicher Gewichtung gegeben:

- der Umgang mit unterschiedlichsten Kunden und Märkten

- die Übernahme von organisatorischen Risiken

- die Verantwortung für vielfältige Produkte und Serviceleistungen

- die Verantwortung für unterschiedliche Personalgruppen

- der Einfluß auf andere zur Erreichung wichtiger Zielsetzungen

Die "Herausforderungen", vor denen dagegen Unternehmen stehen, sind von andererer Natur: die Entlassung von Mitarbeitern im Zuge der Globalisierung und als Maßnahme von Kosteneinsparungen, die Verschlechterung der ökonomischen Rahmenbedingungen für das jeweilige Unternehmen und die Kündigung schwer vermittelbarer Angestellter. Damit betonen die befragten Manager auch die soziale Dimension unternehmerischen Handelns.

Die kürzlich veröffentlichte Studie stützt sich auf eine Repräsentativerhebung von rund 2.000 europäischen Managern der ersten bis dritten Führungsebene. Typische Charakteristika der Befragten: männlich, verheiratet, mindestens ein Kind, Altersgruppe 36 bis 50 (Durchschnittsalter 42 Jahre). Bei 71 Prozent der Umfrageteilnehmer war der Ehepartner nicht berufstätig oder nicht auf Management-Ebene angesiedelt.

Die Frau bleibt meist daheim

60 Prozent der Befragten geben im Hinblick auf ihren Familienhintergrund an, der Ober- beziehungsweise oberen Mittelklasse zu entstammen, während nur neun Prozent aus der unteren sozialen Schicht kommen. Zwei Drittel der Interviewten können einen Universitätsabschluß vorweisen, mehr als 50 Prozent haben ein Studium der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften absolviert. Die Hälfte der Teilnehmer datiert den Berufseinstieg auf den Zeitraum zwischen 1976 bis 1985. Im Durchschnitt sind die Executives seit sieben Jahren bei ihrem gegenwärtigen Unternehmen tätig, und in der momentanen Position seit drei Jahren.

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