Verantwortung und Risiken tragen

Unternehmer im Unternehmen – wirklich gefragt?



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
"Wir brauchen unternehmerisch denkende und handelnde Mitarbeiter" – das betonen fast alle Unter-nehmen. Doch können gute Manager zugleich gute Unternehmer – und umgekehrt – sein? Ignaz Furger gibt Antwort auf diese Frage.

Zwischen Unternehmern und Managern besteht ein gravierender Unterschied. Der klassische Unternehmer ist auf sich gestellt. Er trägt die Verantwortung und Risiken für sein Unternehmen und sein Handeln. Ein Manager hingegen ist in erster Linie ein Angestellter. Er bezieht jeden Monat seinen Lohn. Er trägt das Risiko für seinen eigenen Marktwert, nie aber die volle Verantwortung für die Risiken, die er für das Unternehmen eingeht.

Ein Entrepreneur verfolgt konsequent das gesteckte Ziel. "Größe" ist für ihn kein Hindernis für unternehmerisches und innovatives Denken und Handeln.
Ein Entrepreneur verfolgt konsequent das gesteckte Ziel. "Größe" ist für ihn kein Hindernis für unternehmerisches und innovatives Denken und Handeln.
Foto: Robert Kneschke - Fotolia.com

Was ist angesichts dieses Befunds vom Unternehmertum im Unternehmen zu halten? Alles nur Wunschdenken, ein Thema für theoretische Abhandlungen? Um diese Fragen zu beantworten, lohnt es sich, den 1985 erschienenen Klassiker "Innovation and Entrepreneurship" von Peter F. Drucker zu Rate zu ziehen.

Unternehmen brauchen Gestalter und Verwalter

Drucker unterscheidet den Manager-Angestellten vom Unternehmer-Angestellten mit folgendem typologischen Ansatz:

  • Ein Manager befasst sich mit dem Bestehenden. Er verbessert und optimiert – die Produkte, Prozesse, Beziehungen, Organisation. Dabei wirkt er nicht nur als "passiver" Verwalter. Er ist aktiv, verantwortungsvoll und initiativ – jedoch stets im Rahmen des gegebenen Geschäfts.

  • Ein Unternehmer betreibt das, was Schumpeter "die kreative Zerstörung" nannte. Er stellt alles dauernd infrage, macht den Grüne-Wiese-Ansatz und kennt das Argument "bisher hat man es immer so gemacht" nicht. Er stellt das bestehende Geschäftsmodell auf den Kopf und kennt keine Tabus. Er passt auch nicht in Routinearbeiten. Sobald etwas funktioniert, verliert er das Interesse und sucht neue Herausforderungen.

Größe ist kein Hindernis

Druckers Definition des Entrepreneurs sprengt die gängige Vorstellung vom Unternehmer, der selbstständig ein kleines Geschäft führt. Entrepreneurship macht Drucker auch in großen etablierten Unternehmen und in der öffentlichen Verwaltung aus. "Größe" ist für ihn kein Hindernis für unternehmerisches und innovatives Denken und Handeln. Für Drucker ist Entrepreurship primär der Ausdruck einer bestimmten Haltung. Für einen Entrepreneur ist Veränderung das Normale, und im Wandel sieht er die Chance für Innovation. Und: Jeder fähige Manager kann auch als Entrepreneur wirken.

Drucker will nicht Unternehmer gegen Manager ausspielen. Im Gegenteil: Beide Funktionen ergänzen sich für ihn zwingend. Ein Unternehmen, das nur Manager hat, verändert sich zu wenig. Es verpasst Technologiesprünge oder Umwälzungen im Kundenverhalten. Und ein Betrieb mit lauter Unternehmern? Es kommt auf keinen grünen Zweig, weil immer etwas Neues versucht wird und Managementkenntnisse fehlen.

Konzept des "Entrepreneurial Managements"

Auf Basis dieser Erkenntnis entwickelte Drucker sein Konzept des "Entrepreneurial Managements". So wie der Manager mit Methoden und Tools arbeitet, soll auch der Entrepreneur systematisch vorgehen und bewährte Prinzipien und Methoden anwenden. "Entrepreneurial Management" bedeutet demnach, systematisch Innovation zu betreiben. Denn Innovationen ergeben sich nur selten spontan aus genialen Ideen. Sie beruhen zu über 90 Prozent auf gezielter, organisierter Innovationsarbeit.

Für Drucker ist "unternehmerisches Management" einerseits eine Disziplin, die spezifische Konzepte und Methoden anwendet und sich erlernen lässt. Andererseits erfordert "Entrepreneurial Management", dass die organisatorischen Voraussetzungen für erfolgreiche Innovationsarbeit geschaffen werden.

Und die Unternehmensleitung? Sie hat dafür zu sorgen, dass ein Betrieb für Innovation offen ist und muss hierfür die nötigen Strukturen sowie Anreiz-, Kontroll- und Steuerungsinstrumente schaffen.

Konsequenzen für die Unternehmensführung

Für die Betriebsführung bedeutet Druckers Konzept des "Entrepreneurial Managements" vor allem: Innovationsmanagement ist im Unternehmen als Handwerk zu etablieren, damit Innovation auch praktisch realisierbar wird. Das hat weitreichende Konsequenzen für die meisten Dimensionen der Unternehmensführung. Die vier wichtigsten werden hier kurz erläutert:

Strategieentwicklung:

In der Ausgangslage muss klar aufgezeigt werden, wie viel Wachstum das bestehende Geschäft noch hergibt, um danach den strategischen Gap zu bestimmen. Diese Lücke gilt es anschließend durch Innovationen zu schließen. Dabei sollten das bestehende und das neue Geschäft getrennt werden. Während das Bestehende zur Umsetzung in die Linie gegeben wird, benötigt das neue Geschäft besondere Sorgfalt. Hier können die unternehmerischen Mitarbeiter sich entfalten.

Organisation:

In der Organisation müssen Freiräume für unternehmerisches, kreatives Denken und Handeln geschaffen werden. Aber auch Abgrenzungen sind nötig, damit das bestehende Geschäft nicht dauernd infrage gestellt wird. Ein erfolgreiches Unternehmen schöpft das bestehende Geschäft aus und schafft zugleich Neues. So arbeitet zum Beispiel ein Teil der Mitarbeiter in der Forschung & Entwicklung an der Verbesserung bestehender Produkte, während ein Think Tank Projekte auf der grünen Wiese entwickelt.

Personalentwicklung:

Mitarbeiter haben unterschiedliche Fähigkeiten. Für deren Nutzung gilt das Prinzip "auf Stärken aufbauen". "Geborene" Buchhalter sind nur glücklich, wenn jeden Abend Soll und Haben sowie Passiva und Aktiva übereinstimmen, und kreative Chaoten bringen nie die Buchhaltung in Ordnung. Eine Evaluation der Denkstile und Verhaltenspräferenzen sowie Kompetenzen und Stärken der Mitarbeiter hilft dabei, diese richtig einzusetzen und den strategischen Aufbau von Neugeschäften abzusichern.

Controlling:

Innovationen und neue Geschäfte müssen anders gemessen und beurteilt werden als Bestehendes. Für Startups sind der Kundennutzen und die relative Qualität wichtiger als Umsatz und Ergebnis. Während zwei Prozent Umsatzzuwachs in einem stagnierenden Markt ein gutes Ergebnis sein kann, muss die gleiche Kennzahl für ein neues Geschäft viel höher liegen. Innovationscontrolling unterscheidet sich deshalb grundsätzlich vom klassischen Controlling und muss getrennt geführt werden.

Unternehmer im Unternehmen entwickeln

Ein Fazit der Beschäftigung mit Peter F. Drucker ist: Es macht Sinn, vom Unternehmertum im Unternehmen zu sprechen, denn unternehmerische Mitarbeiter sind unentbehrlich, um die Innovationsfähigkeit und damit Überlebensfähigkeit einer Organisation zu sichern. Doch unternehmerisch denkende und handelnde Mitarbeiter fallen, ebenso wie Manager, nicht vom Himmel. Sie müssen gezielt entwickelt werden – zum Beispiel, indem die Unternehmens- oder Bereichsleitung Mitarbeiter mit einem entsprechenden Potenzial gezielt in die Strategieentwicklung integriert. Oder indem sie im Unternehmen Startups schafft, in denen der Führungsnachwuchs seine unternehmerischen Fähigkeiten und Fertigkeiten austesten und entfalten kann.

Weitere Infos: Ignaz Furger ist Inhaber des Beratungsunternehmens Furger und Partner AG Strategieentwicklung, Zürich (www.furger-partner.com: Email: furger@furger-partner.ch). Er ist Autor des Ende 2013 erschienenen Hand- und Arbeitsbuchs "Leitfaden Strategie", das den Mitarbeitern und Entscheidern in Unternehmen eine praktische Anleitung für das eigenständige Entwickeln und Umsetzen von Unternehmensstrategien gibt. Nähere Infos: www.strategieleitfaden.ch.

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