Vom Kostenfaktor zum motivierten Mitarbeiter

Dietmar Feigenspann ist Diplom-Bauingenieur. Er arbeitet als Claim Manager bei einem Infrastrukturkonzern in Berlin.
Fast 90 Prozent der Angestellten sind mit ihrem Job unzufrieden. Allerdings liegt das meistens nicht an den Aufgaben selbst, sondern am "Angstregime" im Unternehmen. Wie alle Beteiligten zufrieden werden können, erklärt Persönlichkeitstrainer Dietmar Feigenspan.

Macht Ihnen Ihr Job, mit dem Sie sich Ihren Lebensunterhalt verdienen, Spaß? Entfaltet er Ihre Persönlichkeit? Tun Sie, wofür Sie sich berufen fühlen? Empfinden Sie bei Ihrer Arbeit Enthusiasmus und Freude? Meinen Sie etwa, das wäre auch gar nicht wichtig? Die Karriere ist wichtiger?

Wenn Sie sich da mal bloß nicht täuschen. Warum wohl gibt es immer mehr Menschen, die endlich das tun, was sie schon immer tun wollten? Die haben ihren Job einfach satt. Die haben es satt, den Löwenanteil ihrer Lebenszeit mit einem Job zu verbringen, der sie nicht wirklich ausfüllt. Sie wollen nicht länger Teil eines Systems sein, das vollständige Kontrolle über ihr Leben hat.

Sage und schreibe 57 Prozent der deutschen Arbeitnehmer würden gerne in einen Beruf wechseln, der weniger stressig und gleichzeitig erfüllender ist als ihr augenblicklicher. Und sogar 70 Prozent verspüren keine Lust, sich für ihr Unternehmen einzusetzen. 18 Prozent haben bereits innerlich gekündigt. Summa summarum sind beachtliche 88 Prozent aller Mitarbeiter mit ihrem Job sehr unzufrieden. Nur zwölf Prozent sind mit Leib und Seele bei der Sache und erledigen ihren Job mit Hingabe. Liebe Firmenchefs, ist das ein Ruhmesblatt für Sie? Wohl kaum, oder? Sollte Ihnen das nicht langsam zu denken geben?

Angst ist eine schlechte Motivation

Ein Unternehmer hat es mit seinem Personal umso leichter, je niedriger dessen Bildungsstand ist. Mitarbeiter mit einem geringen Bildungsgrad sind meist auch schlecht bezahlt. Mehr als alle anderen sind sie darauf angewiesen, ihren Job zu behalten. Also halten sie den Mund und schlucken ihren Verdruss runter.

Kann das gesund sein? Eher nicht. Was könnte dann wohl die Folge davon sein? Ein hoher Krankenstand ja wohl kaum, denn wir haben ja seit Jahren sehr niedrige Krankenstände. Aber kann es sein, dass die Mitarbeiter sich dann einen anderweitigen Ausgleich vom Unternehmen holen - einen Ausgleich, von dem der Chef nichts weiß?

Irgendwie passt das Gesamtbild nicht zusammen. Die Chefs jammern einerseits, dass ihnen geeignetes und gut ausgebildetes Personal fehlt und auch nicht zu bekommen ist, andererseits sind sie dafür verantwortlich, dass fast 90 Prozent der Arbeitnehmer unzufrieden mit ihrem Job sind. Auf einen zufriedenen Mitarbeiter kommen sieben unzufriedene.

Und was machen die Firmenlenker? Denen ist das gleich. Warum ich mir da so sicher bin? Weil sonst die Chefs ja etwas ändern würden. Wenn ein Mitarbeiter kündigt, dann sind sie sogar noch froh darüber, denn dann sparen sie sich die Abfindung. Dumm nur, dass meist die gut ausgebildeten Leute kündigen ...

Der Chef macht die Stimmung

Diese Mitarbeiter haben genug davon, in einer immer kälter und unsicherer werdenden Arbeitswelt immer härter zu arbeiten und dabei auch ständig das Damokles-Schwert einer plötzlichen "Freisetzung" (Kündigung) im Nacken zu spüren. Egal welchen Arbeitsvertrag sie haben. Da streitet die Politik über Kündigungsschutz, obwohl es den in der Realität eigentlich gar nicht mehr gibt. Schade, denn es ist relativ einfach, aus demotivierten "Kostenfaktoren" (Arbeitnehmern) motivierte Mitarbeiter zu machen. Und die sind auch um ein Vielfaches wirtschaftlicher. Das habe ich in der Vergangen- heit bereits einige Male be- wiesen und sogar klar berechnen können.

Es ist sogar so, dass ein Chef, der seine Arbeitnehmer zu erfolgreichen und glücklichen Mitarbeitern macht, erstens seinem Unternehmen einen wirtschaftlichen Turbo implantiert, er zweitens mehr Zeit für sich und seine Familie hat und drittens er selbst um einiges zufriedener wird. Und das mit rund 95 Prozent des bisherigen Mitarbeiterstammes.

Stattdessen fördern die Chefs dauerhafte Unzufriedenheit, schlechte Laune und das heimliche Lesen von Stellenanzeigen. Sie sorgen dafür, dass es ihren Arbeit- nehmern nicht mehr gut geht, weil die unter ihrer Arbeit leiden. Das kann die Folge von Langeweile und Unterforderung, aber auch von Stress und Überforderung sein. Die Menge der Stunden ist dabei gar nicht so wichtig, denn oft arbeiten gerade Menschen, die ihren Beruf lieben, überdurchschnitt- lich viel.

In jedem Fall sollte sich ein Arbeitnehmer fragen, ob er noch im richtigen Beruf ist. Und sind Sie es? Arbeiten Sie für die Schublade oder sogar für den Papierkorb? Oder bewegen Sie etwas? Bekommen Sie aufrichtige Anerkennung für Ihre Arbeit? Arbeiten Sie selbstbestimmt und frei? Sind Sie Herr (Frau) über Ihre Zeit? Oder hat Sie Ihr Unternehmen in der Hand? Wie sieht es mit Reibungsverlusten und Querelen aus? Lähmende Routine des Immergleichen? Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass Sie einen Job machen, der Ihnen keine richtige Freude bereitet? Der gar nicht Ihr "Ding" ist?

Fehler schon in der Jugend

Oft werden Jugendliche in einen Beruf hineingeredet. Sei es aus Mangel an Alternativen, sei es, weil viele mit 18 Jahren nur eine unklare Vorstellung davon haben, was sie werden wollen. Sehr viele gehen dann einen Weg, den sie später bereuen. Doch diesen Fehler können Sie auch heute noch korrigieren. Ist es nicht ein trauriges Dasein, einen Job zu machen, weil es keine Wahl gibt und ansonsten das Geld nicht reinkommt? Doch wie finden Sie heraus, was Ihre Berufung ist?

Lernen Sie sich selbst (besser) kennen. Sie brauchen Klarheit über die Fragen: "Wer bin ich?" und "Wer möchte ich sein?". Denn erst wenn Sie Ihren Ausgangspunkt kennen, können Sie anfangen, Ihr Lebensziel (Sinn Ihres Lebens) anzusteuern. Was bewegt Sie in Ihrem tiefsten Inneren? Geld und Macht? Kreativität? Etwas tun, wovon andere profitieren?

Das Gejammer über die wirtschaftliche Situation Deutschlands hat auch ihr Gutes: Es findet ein allmähliches Umdenken statt. Etwas mit Leidenschaft zu tun wird langsam wichtiger als die vermeintliche Karriere und der große Gehaltsscheck.

Die "unsicheren" Zeiten machen deutlich klar, dass es wichtiger ist, eine Arbeit zu finden, die wirklich Spaß macht, als unglücklich zu malochen. Denn ein Beruf ist dazu in der Lage, uns Glücksmomente zu verschaffen. Ist es nicht das, was wir eigentlich wollen? Erleben wir nicht Augenblicke tiefster Freude dort, wo wir im eigenen Tun aufgehen? Und sind nicht diese Momente wie ein Schweben? Ein Flow? Und bei dem einen oder anderen ist das vielleicht sogar ein Beruf, in dem sehr gut verdient wird.

Selbsterkenntnis bei Chefs ist Mangelware

Den Chefs sollte es auch zu denken geben, dass 31 Prozent der Arbeitnehmer nur das Unternehmen, aber gar nicht den Beruf wechseln wollen. Denken Sie auch an die oben genannten 88 Prozent! Als Vorgesetzter können Sie nämlich für die richtigen Arbeitsplatzbedingungen sorgen und sich mehr um das emotionale Wohlbefinden der Mitarbeiter kümmern. Nur die Chefs sind in der Lage, ihr Unternehmen so zu verändern, dass die Talente der Mitarbeiter voll in Anspruch genommen werden und diese so zur Entfaltung ihres Potenzials kommen. So schafft ein Unternehmen möglichst viele Flow-Momente in der Arbeit. Und das nutzt dem Unternehmen sehr viel mehr als jede "Entlassungsproduktivität".

Wie sieht die Lösung aus?

Das Wichtigste ist erst einmal, dass Sie als Führungskraft erkennen, dass überhaupt etwas "schief" läuft. Denn Erkenntnis ist der halbe Weg zur Besserung. Der nächste wichtige Schritt besteht darin, dass Sie als Führungskraft verstehen, dass das Auswirkungen sind, die durch Sie verursacht wurden. Wenn sich also etwas ändern soll, dann müssen Sie etwas an sich selbst ändern. Denn Sie sind die Ursache all dessen, was in Ihrem Unternehmen passiert oder nicht passiert. Man sagt ja auch so schön: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Sie sind der Kopf Ihres Unternehmens. Sie sind das Vorbild für Ihre Mitarbeiter. Die Mitarbeiter sind der Spiegel des Chefs. Seine Art der Führung spiegelt sich in ihnen wider.

Leider gibt es nicht "Zehn Goldene Regeln", die immer und überall allgemeingültig sind. Warum? Ganz einfach: Weil wir es hier mit Menschen zu tun haben. Und Menschen sind Individuen, also individuell. Was für den einen gut und richtig ist, ist bei dem anderen vollkommen verkehrt. Der eine empfindet die Arbeit als langweilig und ist damit unterfordert, während der andere bei exakt der gleichen Arbeit überfordert ist und großen Stress hat. Allgemein gültige Regeln gelten nur für ganz grobe Bereiche. Hier dringen Sie aber in die Feinheiten der menschlichen Seele vor, und dafür brauchen Sie Sensibilität, Fingerspitzengefühl. Bringen Sie es auf, und Sie werden reich belohnt von Ihren Mitarbeitern.

In den vergangenen Jahren haben Sie sicherlich oft gehört, dass man fordern und fördern soll. Gesagt wurde das zwar immer, aber alle beziehen das ausschließlich auf das Fordern für sich selbst. Und genau das ist grundverkehrt. Bevor Sie etwas von jemandem fordern können, müssen Sie erst einmal fördern. Das ist wie mit allen Geschäften, die man tätigt. Zuerst kommt die Investition, dann erst der Gewinn. Ein Bäcker kauft Mehl und macht daraus Brot und Brötchen (Investition), die er dann verkauft (Gewinn). Er investiert also mindestens in die Zutaten und seine eigene Arbeitskraft, bevor er das Geld für seine Arbeit, durch den Verkauf der Waren, bekommt. Und mit Ihren Mitarbeitern läuft das nicht viel anders.

Sie müssen Zeit in sie investieren. Schauen Sie, was für individuelle Fähigkeiten jeder einzelne Mitarbeiter hat. Finden Sie seine Stärken und seine Schwächen heraus. Und jetzt kommt etwas Ungewöhnliches: Konzentrieren Sie sich nur auf seine Stärken und fördern Sie diese. Berühren Sie nicht seine Schwächen. Seine Schwächen beseitigen zu wollen ist wie ein Angriff auf seine Persönlichkeit. Und möchten Sie ständig angegriffen werden? Sicherlich nicht. Bei allen Arbeitseinsätzen sollten Sie zusehen, dass der Mitarbeiter möglichst viel und oft seine Stärken ausspielen kann. Dann haben Sie einen Schritt getan, dass er seine Arbeit gerne macht.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Sie eine Vertrauensbasis herstellen. Sagen Sie, was Sie meinen, und tun Sie, was Sie sagen. Seien Sie berechenbar. Ihre Mitarbeiter sollen wissen, woran Sie sind. Das bedeutet aber auch, dass Sie nicht Wasser predigen und selbst Champagner trinken.

Angstregime im Unternehmen

Schaffen Sie das "Angstregime" in Ihrem Unternehmen ab. Kritikmöglichkeit ist die beste Grundlage für Loyalität. Niemand sollte bei Ihnen um seinen Job Angst haben müssen. Nur wenn ein Mitarbeiter keine Angst darum zu haben braucht, wird er es wagen, Ihnen zu sagen, dass Ihre Entscheidung, die Sie treffen wollen, verkehrt ist, ohne dass das einer "Majestätsbeleidigung" gleichkommt.

Wenn Sie der Meinung sind, dass Ihr Freund einen schweren Fehler begeht, dann weisen Sie ihn doch darauf hin, oder lassen Sie ihn etwa ins offene Messer laufen? Und glauben Sie mir: Ihren Mitarbeitern ist Ihr Unternehmen in der Regel auch nicht egal. Denn es stiftet ihnen Identität. Und jedem macht es viel mehr Freude, in einem Unternehmen zu arbeiten, dem es gut geht, als in einem, das permanent vor dem Konkurs steht. Also hören Sie ruhig ab und zu mal auf Ihre Mitarbeiter.

Sprechen Sie einem Angestellten ruhig ein Lob aus, wenn er Sie vor einer Fehlentscheidung bewahrt hat. Das macht ihn stolz. Und er fühlt sich ernst genommen. Damit zeigen Sie ihm gegenüber auch Achtung. Das ist sehr viel wert. Das sollten Sie aber auch für die Arbeit generell berücksichtigen. Aber Achtung: Es muss auch wirklich ehrlich gemeint sein, sonst wird es eine Veräppelung. Fangen Sie an, Ihren Mitarbeitern Stück für Stück mehr Verantwortung, aber auch Freiräume zu geben.

Das fällt gerade am Anfang schwer, zahlt sich aber vielfach aus. Reißen Sie nicht alles an sich, aber behalten Sie trotzdem den gesamten Überblick. Bilden Sie Ihre Mitarbeiter fort. Auch das zeigt Ihre Wertschätzung den Mitarbeitern gegenüber, was sich schnell auszahlt, und außerdem lässt es Sie besser schlafen.

Grundlage für Glücksmomente

Wenn Sie diese letzten Gedanken berücksichtigen, legen Sie die Grundlage dafür, dass Ihre Mitarbeiter im eigenen Tun aufgehen. So werden Ihre Mitarbeiter zufrieden mit ihrer Arbeit. Und wer zufrieden mit seinem Job ist, hat keinen Grund mehr, Stellenanzeigen zu lesen. Er wird auch wesentlich seltener sein Unternehmen bestehlen oder es in irgendeiner anderen Art und Weise sabotieren. Und dadurch wird auch die Effektivität steigen. Eigentlich ist es ganz einfach.

Zur Startseite