Vorsicht Satire: Humor ist, wenn man trotzdem lacht

06.04.1999

MÜNCHEN: Hin und wieder trifft man noch einen an, bei den wirklich großen Firmen, bei Siemens zum Beispiel: den Pförtner. Auch ComputerPartner Stefan Rohr* ist ihm begegnet und hat seine Erfahrungen verewigt.Zu den freudigsten Erlebnissen eines berufsmäßig Reisenden gehört zweifelsohne die Begegnung mit einem Pförtner. Womöglich einem Exemplar mit besonders ausgeprägter Standesethik, das seinen Lebensinhalt in der Erfüllung der Aufgabe sieht, nie etwas anderes als Pförtner werden wollte und deshalb in der Schule auch wesentlich weniger aufgepaßt hat.

Wirklich gelernt hat der wahre Pförtner erst bei der Feuerwehr oder den Pionieren, in aller Regel Nützliches und teilweise Tiefsinniges für das hermetische Absichern des Verwaltungsgebäudes einer geheimnisumwitterten Keksfabrik oder der Produktionsstätte für Dichtungsringe und Nutengase. Hierfür bedient er sich rot-weißer Schlagbäume, Stacheldrähten sowie Elektropforten und hat von der allerhöchsten Ebene den Auftrag erhalten, jedem Eindringling auf besonders prägnante Weise spontan einen Eindruck über das in diesem Komplex vorherrschende Betriebsklima und die hier gelebten Umgangsformen zu vermitteln.

Eine der wenigen Amtsautoritäten

Ein Pförtner, der etwas auf sich hält, trägt eine farblich eher neutral wirkende Uniform. Im Design ist sein Erscheinungsbild deshalb an Technisches Hilfswerk oder Feldjäger angelehnt, in vereinzelten Fällen auch an die Heilsarmee. Prächtig glänzende Schlüssel auf einem Phantasiewappen allerdings haben den respektlosen Firmenpilger zu blenden und sollen diesem signalisieren: Hier handelt es sich um eine der wenigen Amtsautoritäten in einem zivilen Unternehmen. Herr über Einlaß und Zugangsberechtigung, Großmeister der Personenkontrolle, Wächter über den Schrankenknopf, Virtuose der Sicherheitsdrehtüre, Dompteur der Starkstromverkabelung, stellvertretender Feldmarschall der Wachtruppen des Nebenwerkes "Bullerbüh-III", Tarifgruppe .... na, das lassen wir jetzt aber lieber.

Der hohen Verantwortung bewußt, werden sämtliche Besucher scharfen Blickes und in schneidiger Tonierung verhört: "Zu wem wollen Sie ......? Sind Sie auch angemeldet? ... Ihr Name? ... Und: ... die Firma?" Hiernach erfolgt eine einfühlsame Information des Gastes über das gängige Einlaßreglement: "Dann den Personalausweis oder Führerschein her, zurück bei Rückgabe des unterzeichneten Besucherscheins, Gästeparkplatz zwei Kilometer die Straße entlang, ziehen Sie eine Parkmünze und merken Sie sich Ihre Parkplatznummer, danach kommen Sie wieder her. Auf unserem Gelände gilt die Straßenverkehrsordnung und ein Tempolimit von 15 Ka-Emm-Haa. Der nächste bitte ..."

Ein zweiter Pförtner, zuvor mit verschränkten Armen im Hintergrund stehend, schiebt einem wortlos einen hektographierten Zettel mit der Lageskizze der Werksanlage über den Tresen und zeigt mit dem Finger auf den Block mit den Besucherzetteln. Davor ein vergilbtes Hinweisschild: Erst parken, dann ausfüllen!

Gut: also zunächst den Wagen wegbringen. Okay, auf gehtÈs! Noch bei Sonnenschein und blauem Himmel das Pförtnerhaus betreten, regnet es auf einmal wie aus Eimern. Wo ist der Regenschirm? Verdammt, hat sich den die Putzfrau nicht schon vor Wochen ausgeliehen? Typisch! Aber hilft jetzt nichts! Schnell rein in den Wagen, vielleicht ist's ja nur ein Schauer.

Doch weit gefehlt. Es regnet sich nämlich gerade erst richtig ein. Die zwei Kilometer zurück vom Parkplatz zum schützenden Pförtnerhaus müssen im Laufschritt absolviert werden, fälschlicherweise hoffend, man werde so weniger naß. Der Aktenkoffer wiegt mit jedem Meter ein halbes Pfund mehr, und der Wind peitscht einem den Regen so richtig ins Gesicht, da weder Baum noch Mauer, nicht einmal ein Hügelchen sich schützend zur Verfügung stellen. Daß die auch solche Werke immer auf dem platten Land bauen müssen! Kommt doch der Verdacht auf, daß die entweder das Grundstück geschenkt bekommen haben oder in den nächsten hundertfünfzig Jahren keine Gewerbesteuer zahlen müssen.

Naß wie ein Waschlappen, keuchend und mit einem sich anbahnenden Wadenkrampf erreicht man das rettende Pförtnerhäuschen. Und dieses erscheint plötzlich wie das Paradies. Artig und erleichtert wird der Anmeldezettel ausgefüllt, abgegeben und ......

"... Sie haben die Parkplatznummer nicht eingetragen!" bellt der Pförtner. "Brauch ich nicht, ich weiß, wo ich stehe ...!" "Darum gehtÈs aber nicht! Wenn wir die Parkplatznummer nicht eintragen, ihr Wagen explodiert, rückwärts in ein anderes Fahrzeug rollt oder sonstwas, dann zahlt unsere Versicherung nicht. - Deshalb!" "Warum sollte mein Wagen plötzlich explodieren?" "Warum, Warum! Was meinen Sie, was ich früher bei der Werksfeuerwehr alles erlebt habe - und nur weil irgendwelche Bürohengste ihre Kippen nicht richtig ausgedrückt oder die Kaffeemaschine nicht ausgemacht haben - glauben Sie mir: Man kann gar nicht so krumm denken, wieÈs passiert. Und dann stehen Sie dumm da, schreien nach Hilfe. ... Hat Ihr Wagen zum Beispiel einen Feuerlöscher?" "Nee! Und selbst wenn, der würde dann doch mitexplodieren ...."

Pause.

"Sehen Sie. Und sowieso: Vorschrift ist Vorschrift. - Also: die Nummer ..." "Die weiß ich nicht. Habe ich mir nicht gemerkt. - Hören Sie: Ich nehme das Risiko auf mich, okay? - Falls mein Auto in die Luft geht, dann kümmere ich mich selbst um die Regulierung, fege auch alle Scherben zusammen - ja?" "Tut mir leid, ich bin verpflichtet ...."

Den letzten Teil des Satzes hört man schon gar nicht mehr. Wieder raus in den Regen, zwei Kilometer im Laufschritt hin, Nummer merken ("163") und die zwei Kilometer wieder zurück. Der Regen bahnt sich seinen Weg bereits vom Hemdkragen über das Sakko-Futter hin zur Unterhose. Der Aktenkoffer bringt es inzwischen auf stolze 90 Kilo. Patsch! Verdammte Sauerei! Die Pfütze war vorhin doch noch nicht da. Ein Auto rauscht heran. Ja warum eigentlich nicht: Daumen raus, wie in alten Zeiten. - Ssssssssss... ssssst!! Stimmt: auch damals hielten die Leute nie an ... Gleich darauf der nächste. Wieder der Daumen, wieder nichts. Dafür spritzt der freundliche Verkehrsteilnehmer eine Fontäne hoch. Und so einer bekommt dann wahrscheinlich auch noch die goldene ADAC-Nadel als "Kavalier der Straße". Rindviech! Jetzt ist nur noch die Innenseite des Aktenkoffers trokken.

200 Meter vor dem neuerlichen Erreichen des Pförtnerhäuschens erbarmt sich endlich ein anderer Besucher (der die Tortur schon hinter sich hat) und läßt einsteigen. Schnell wieder aus dem Wagen gesprungen, durch die Tür, steht man wieder vor dem Pförtner.

"Mein Gott, Sie sind ja naß wie eine Kanalratte! - Mensch hätten Sie was gesagt: wir haben hier Besucherschirme ..." Gut, daß man jetzt keine Waffe bei sich hat! Nach Luft schnappend wird die "163" herausgespuckt und mit einem Fuß auf den Boden getippt. Jetzt nur nicht die Fassung verlieren. Das Wasser tröpfelt auf den Boden und bildet eine sich schnell ausdehnende Pfütze auf dem Linoleumboden. Das Keuchen ist kaum zu überhören. Es müssen glatt ... warte mal ... ja, ganze sechs Kilometer im Gefechtslauf mit Gepäck gewesen sein.

"WohlÈn bißchen aus der Übung, was?" "Nein, ich habe Angina Pectoris!" "Tjaja - dieses Misterkältungswetter, Èn Grog heute Abend, dann früh in die Kiste und morgen ist alles wieder klar." "Lesen Sie den Besucherzettel oder fragen Sie Ihren Pförtner oder Schrankenwärter. Wäre es jetzt zuviel verlangt, wenn ich freundlichst um Einlaß ersuchen dürfte?"

Der Pförtner schielt auf die Uhr, nimmt den Telefonhörer in die Hand und wählt eine Nummer. "Herr Dr. Knerzenbeck ... hier Werkswacht, Roschinsky, .... ein Herr ... ääääh ..... Müllenhoff von der Firma ..... ääääähh .... ach Sie wissen Bescheid ? äääähh..... kann ich den Herrn durchlassen?"

Jetzt ist es endlich soweit. Man greift den Aktenkoffer, richtet die Krawatte noch einmal, fährt sich durchs nasse Haar (mein Gott, wie man bloß aussehen muß), aber egal: Ende gut, alles gut, und .... "... alles klar ..." sagt der Pförtner ins Telefon "... wiederhören." Aufgelegt.

Pech gehabt! Nächstes mal früher kommen

Jetzt also mit Tempo. Aktenkoffer in die Hand, kurz nachgedacht, wie war das noch, ach ja, Gebäude 3-C, zweite Etage links, Zimmer 230, Anmeldung bei Frau Loderhose. Und nun zur Drehtüre ..."Moment einmal! Nicht so wild mit die jungen Pferde! Herr Dr. Knerzenbeck läßt ausrichten, daß der Termin mit Ihnen um 13:30 Uhr war. Ist aber jetzt schon 14:17 Uhr. Man hat geglaubt, Sie würden gar nicht mehr kommen. Und jetzt gehtÈs nicht mehr, hat gleich den nächsten Termin. ... Pech gehabt! Nächstes Mal früher kommen. Sie wissen doch: fünf Minuten vor der Zeit ist des Soldaten Pünktlichkeit ... hahaha .... Sie sollÈn mal wieder anrufen ... sagt er."

Der Blick schweift aus dem Fenster. Der Regen ist in Hagel übergegangen, und der Wind peitscht die Körner nahezu waagerecht durch die Luft. Verzweiflung macht sich breit. Man erwägt, ob man dem Pförtner nicht einfach eine schmiert. So eine von diesen Ohrfeigen, die laut knallen und für ein paar Stunden einen wunderschönen Handabdruck hinterlassen. Der Gedanke berauscht, doch die Vernunft siegt.

Noch einmal vergewissert man sich, daß draußen tatsächlich der Weltuntergang begonnen hat. Die dunklen Wolken sorgen für modrige Finsternis. Flackernd springen die Straßenlaternen an und tauchen die Gegend in ein gelbfahles Licht, in dessen Kegel jetzt die Hagelkörner noch besser zu sehen sind. Sie haben mittlerweile die Form kleiner Teufel angenommen, mit Dreizack und Keule. Und da jetzt noch einmal auf eine Distanz von zwei Kilometern durch. Aber gottlob: Ein kleiner, rettender Gedanke schießt einem durch den Kopf.

"Dann möchte ich jetzt auf Ihr Schirmangebot zurückgreifen ...?" Der Pförtner schaut aus dem Fenster, sein Blick schweift zum Himmel, dann kurz von Nord nach Süd: "Tut mir leid, das geht nicht. Die sind ausschließlich für Besucher."

*Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p Management Consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Speyer/Hannover/München/ Zug(CH)

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