Wie der PC das Wohnzimmer erobern will

02.10.2003
Seit Jahren reden Branchenkenner vom Home-Entertainment-PC. Bislang ist der Funke beim Endkunden noch nicht übergesprungen, doch das soll sich schon bald ändern. Mit dem Windows XP Media Center versucht Microsoft mit Unterstützung namhafter Hardwarehersteller einen neuen Multimedia-Standard zu etablieren und Sony bei dessen Alleingang Paroli zu bieten.

Anfang dieser Woche stellte Microsoft die deutsche Version von Windows XP Media Center vor. Das soll nicht einfach nur ein neues Betriebssystem sein, es soll vielmehr eine vollkommen neue Ära des digitalen Entertainments einläuten. Gemeinsam mit namhaften Hardwareherstellern wie Actebis, FSC, HP, Toshiba, Tarox, Medion, Gericom, Packard Bell, 4MBO oder Vobis wollen die Redmonder nämlich dem PC (beziehungsweise dem Notebook) den Eintritt ins Wohnzimmer ermög-lichen und ihn zum "Lebens- und Entertainment-Mittelpunkt" machen. Geht es nach dem Willen des Softwaregiganten, ersetzt der Computer DVD-Player, Videorekorder, Stereoanlage, Diaprojektor und sogar das Fotoalbum. (Lesen Sie dazu den Kasten auf Seite 30.)

Diese Idee hatte auch Sony, und zwar schon vor etwa fünf Jahren. Der japanische Konzern nennt seine Software Vaio Media, und er hat auf den ersten Blick den enormen Vorteil, das gesamte Spektrum von Software, Hardware, Peripherie bis hin zu Content aus einer Hand zu bieten. Seit 1998 schon wird jedes Geräte der Vaio-Familie zusätzlich zum Betriebssystem mit dieser Software ausgestattet. Damit sollen die PC-Besitzer komfortabel und einfach ihre zusätzlichen digitalen Geräte wie Videokameras, Digitalkameras oder MP3-Player anschließen und die selbst zusammengestellten Bilder, Filme und Musik bearbeiten, archivieren und nutzen.

Klingt gut, hat aber einen Haken: Sonys Vorstoß ist eine Insellösung. Beste Harmonie aller Komponenten ist nur dann gegeben, wenn diese alle von Sony sind. Deshalb sehen einige Branchenkenner für die Microsoft-Variante bessere Zukunftschancen, wie etwa Intels DeutschlandGeschäftsführer Jürgen Thiel. Seiner Ansicht nach könnte der Media-Center-Standard mit entsprechender Verbreitung und Unterstützung zahlreicher Hardwarehersteller letzten Endes Einzellösungen wie die von Sony ablösen.

Aber eigentlich ist es sowohl ihm als auch den Verantwortlichen des Konkurrenten AMD egal, welcher Herstellernamen auf den Home-Entertainment-Geräten steht, Hauptsache, ihr eigener Chip arbeitet darin. Denn beide Unternehmen versuchen, ein großes Stück des neuen Marktkuchens für sich zu beanspruchen. Neben einem gefälligen Design und einfacher Handhabung müssen Computer ihre Wohnzimmertauglichkeit vor allem durch schnelle Verfügbarkeit (also kein ewig langes Booten) und geräuschloses Arbeiten beweisen. Beide Firmen sehen sich durch ihre aktuellen Chipsätze für diese Aufgabe gerüstet. Und lukrativ scheint der Home-Entertainment-Markt auch zu sein.

So rechnete Bill Leszinske, Intels weltweiter Marketing Director Micro Drives, während der diesjährigen Computex vor, dass im nächsten Jahr weltweit neun Millionen digitale Geräte und rund 38 Millionen Wireless Notebooks verkauft werden. Das Unternehmen geht ebenfalls davon aus, dass dann 32 Millionen Haushalte kabellos vernetzt sein würden. Und das könnte in nächster Zukunft eine erhöhte Nachfrage nach PCs bedeuten.

Deutschland tickt anders als der Rest der Welt

Doch was für die Welt gilt, muss nicht immer auch für Deutschland gelten. So beurteilt Thiel die künftige Situation hier zu Lande etwas skeptischer als manch anderer aus der Branche. Seiner Ansicht nach wird wohl nicht jeder potenzielle Kunde Geräte nach dem Digital-Home-Konzept im nächsten Jahr ins Wohnzimmer stellen. Erst ab 2005 hofft er auf ein signifikantes Neugeschäft, ohne jedoch genauere Prognosen über das angestrebte Volumen des neuen Geschäftsfeldes abzugeben.

Selbst die PC-Anbieter, die Windows XP Media Center grundsätzlich befürworten und unterstützen, zeigen nicht durchgehend Euphorie. So stellten nur wenige Hardwarehersteller pünktlich zum deutschen Media-Center-Start entsprechende PCs vor. Zu den prominentesten "Bekennern" gehören Toshiba und FSC.

Letzterer hat ja auch schon einschlägige Erfahrungen mit seinem Activy-Programm und versucht nun, dieses in Kombination mit dem Scaleo Media Center im Doppelpack an den Mann zu bringen. Während das Activy Media Center, das über einen integrierten digitalen Videorekorder verfügt (optional auch einen DVD-Brenner), seinen Platz im Wohnzimmer einnehmen soll, hat FSC dem Scaleo in dieser Kombination eher die Rolle des Arbeitstiers zugedacht. Er bearbeitet im Hintergrund (etwa dem Arbeitszimmer) die Unterhaltungsdaten wie Musik, Bilder oder Videos und leitet die fertigen Daten an den attraktiven Bruder im Wohnzimmer weiter, damit man diese dann im gewohnten Umfeld auf dem Fernseher ansieht. Das kann entweder per Kabel oder wire-less geschehen.

Aber auch die Solo-Nutzung des Scaleo als Media-Center ist möglich. Alternativ zu den klassischen Privatanwendern richtet sich die Werbung für den Scaleo auch an den kleinen Businesskunden. Da der PC aber auch wie ein PC aussieht, werden wohl nur Technik-begeisterte Kunden das Gerät prominent im Wohnzimmer platzieren.

Das ist wohl der Hauptgrund für viele andere Hardwarehersteller, erst einmal abzuwarten, wie der deutsche Markt reagiert. Selbst Hersteller wie HP, die in den USA seit längerem drei verschiedene Media-Center-PC-Modelle anbieten, zögern hier zu Lande, massiv vorzupreschen. Andere, wie Acer oder Benq beispielsweise, haben ihre Produktionsstätten in Asien nach eigenen Angaben bereits umgestellt, sodass sie weltweit verschiedene, wohnzimmeradäquate Formfaktoren bieten können. Eines der Acer-Modelle sieht beispielsweise wie ein schicker Videorekorder aus. Genau gesehen bezieht sich jedoch das "weltweit" auf alle Länder mit Ausnahme von Deutschland, denn auch diese beiden halten sich hier zu Lande noch sehr bedeckt.

Vobis wird Anfang Dezember mit einem eigenen Media-Center-Modell auf den Markt kommen. Bis dahin wollen die Aachener nach Aussage von Jürgen Rakow, Vorstandsvorsitzender, beobachten, wie der Markt reagiert, wie hoch die Bereitschaft für diese Wohnzimmer-PC-Investition ist, damit Vobis sein Angebot nicht nur in der Ausstattung, sondern vor allem preislich genau richtig positionieren kann.

Und genau damit hat Rakow den wichtigsten Hemmschuh für einen ordentlichen Markteintritt benannt. Die deutschen Verbraucher sind weltweit dafür bekannt, möglichst neueste Technologie, aber zum minimalen Preis zu verlangen. Nur der optimale Preispunkt verhindert, dass die Geräte wie Blei in den Regalen liegen bleiben. Die Krux ist nur, dass das Windows XP Media Center viele schöne Features (zum Beispiel digitales Videorecording, DVD-Brennen, HiFi-Sound, Videoschnitt- und -Bearbeitung) anbietet, die aber für den jeweiligen Hardwarehersteller zur Kosten-falle werden können. So muss ein Home-Entertainment-PC über ausreichend Festplattenkapazität verfügen, großen Arbeitsspeicher, beste Soundqualität, schnelle Internetverbindung, mindestens einen DVD-Player - besser noch DVD-Brenner - und Anschlussmöglichkeiten für alle potenziellen Peripheriegeräte zur Verfügung stellen. Das geht ins Geld, nicht zu reden von den Anforderungen nach geringer Geräuschbelästigung, etwa durch neueste CPU-Technologie, leiser Kühlung oder lärmdämmenden Gehäusen, sowie nach einem attraktiven und möglichst kleinen Formfaktor.

Und dann kommen noch die Lizenzgebühren für das neue Betriebssystem. Diese sollen nach Aussage verschiedener Branchenkenner "deutlich" über den üblichen Sätzen liegen. Die Anbieter müssen jetzt einen Spagat zwischen attraktiver Ausstattung und akzeptablem Profit machen.

Demnach werden sich die Endverbraucherpreise wohl oder übel im gehobenen Bereich einpendeln müssen. Sony macht es vor. Der Vaio PCV-RZ314 geht für 2.199 Euro über den Ladentisch. Dafür gibt es laut Eigenwerbung "fast schon eine Workstation mit reichlich Multimedia-Features". Zur Standardausstattung gehören ein P4-3.0-GHz-Prozessor mit schnellem Frontside-Bus (800 MHz), eine Nvidia-Grafikkarte mit 128 MB Video-RAM, TV-Tuner, DVD-Brenner, 120 GB Festplattenspeicher, 512 MB Arbeitsspeicher, Ethernet oder Wireless LAN nebst Sonys Softwarepaket.

Das Kombigerät PCV-W1 schlägt sogar mit 2.300 Euro zu Buche. Dieser Desktop kann als PC, Fernseher oder Audioanlage genutzt werden. Sony-intern spricht man von einem Konvergenzgerät, das in kleineren Wohnungen ein Zuhause finden soll. Dank des 17,5-zölligen Wide-Screen-LCDs kann es auch ohne Verbindung zum vorhandenen Fernseher als TV-Gerät genutzt werden. Man muss nur die Tastatur zusammenklappen, und das Gerät wechselt automatisch in den TV-Modus. Ideal für kleinere Wohnungen.

Der Handel wird zum Dreh- und Angelpunkt

Die Hersteller wollen also mit ihren diversen Ansätzen dem Privatkunden ein einfach zu bedienendes Allround-Gerät bieten. Doch vor dem vergnüglichen Video-, Fernseh- oder Musikabend steht der Horror der Installation und der korrekten Verbindung der verschiedenen Komponenten. Und genau hier liegt die große Chance des Fachhandels, genauer gesagt die Chance des IT-Fachhandels. Selbst Sony hat erkannt, dass weder Massenmärkte wie Media-Markt noch die UE-Händler ausreichend Know-how bei der Beratung, geschweige denn bei der Installation haben. Der japanische Konzern will deshalb verstärkt IT-Fachhandelspartner gewinnen, die sich um die Vernetzung kümmern. Und bei den IT-Herstellern - glaubt man ihren Beteuerungen - ist der IT-Channel ja sowieso schon im Boot.

www.microsoft.de

www.sony.de

ComputerPartner-Meinung

Erst wenn die PCs preislich attraktiv und im formschönen Faktor angeboten werden, wenn kein Kabelsalat das Wohlgefühl der Verbraucher stört, hat der Computer auch im Wohnzimmer eine reelle Chance. Das wird jedoch noch dauern. Und das ist gut - gut für den IT-Fachhändler. Diese Zeit sollte er nutzen, sich mit den Bedürfnissen der Endkunden (wieder) vertraut zu machen, sein Beratungsteam auf Vordermann und seine Techniker auf den neuesten Stand der Technik bringen. Denn dann geht ohne ihn nichts mehr in diesem Geschäftsbereich. (go)

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