Workstation-Markt: Der Kampf zwischen Unix und NT geht in die nächste Runde

05.08.1998

MÜNCHEN: Der deutsche Workstation-Markt ist im vergangenen Jahr mächtig durcheinander geraten. Während die Auslieferungen bei den traditionellen Workstations erstmals rückläufig waren, ging der Siegeszug der Intel-basierten Workstations unter Windows NT weiter. Doch bange machen gilt für die Unix-Boliden nicht: Sun und Silicon Graphics sind noch lange nicht schachmatt und haben bereits zum Gegenschlag ausgeholt.D ie gute Botschaft gleich vorweg: "Unix und NT werden im Workstation-Markt auch weiterhin beide ihre Berechtigung haben", stellt Uwe Stein, Leiter Absatzmarketing der Workstation 2000 Computer GmbH, fest. "Der Markt fordert beide Plattformen", glaubt Manfred Willem, Marketingmanager Technical Computing bei Hewlett-Packard in Böblingen. Und auch die IDC-Marktauguren legen sich darauf fest, daß das längst totgesagte Unix-Betriebssystem nicht vom Markt verschwinden wird. Allerdings würden Unix-Workstations ab dem Jahr 2000 nur noch High-end-Nischen abdecken, so die Prophezeiung der Gartner Group.

Doch trotz der weiter bestehenden Marktberechtigung von Unix sind die enormen Erfolge der Wintel-Fraktion nicht von der Hand zu weisen. So wurden in Deutschland im vergangenen Jahr laut Dataquest rund 20.500 Maschinen verkauft. Im Vergleich zum Vorjahr (5.200) bedeutet das eine Steigerung um fast 300 Prozent. Dagegen ging der Verkauf der Risc-basierten Workstations um zwîlf Prozent von etwa 51.000 auf 45.000 Maschinen zurück. Nimmt man beide Plattformen zusammen, ergibt sich ein Plus von 16 Prozent auf 65.500 verkaufter Workstations in Deutschland.

Eine ähnliche Entwicklung beobachtete IDC auch weltweit. Während 1996 rund 1,43 Millionen Workstations ausgeliefert wurden, waren es im vergangenen Jahr etwa 1,95 Millionen Workstations und damit 36,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Am meisten von diesen Steigerungsraten profitieren konnte Hewlett-Packard, die zum ersten Mal den langjährigen Marktführer Sun Microsystems vom obersten Treppchen schubste: Während HP 1997 rund 330.000 und damit etwa 100.000 Workstations mehr als im Vorjahr ausgeliefert hat, gingen die Verkäufe bei Sun leicht von 295.000 auf etwa 285.000 zurück. Auch bei den Personal Workstations plaziert sich HP laut IDC weltweit ganz vorn.

Workstation-Hersteller im Unix-Umfeld agierten nur mäßig

Treibende Kraft im Workstation-Markt war im vergangenen Jahr also ganz klar Windows NT. Trotzdem machen die Marktforscher von IDC diesen Aspekt als nur einen Grund für die Verkaufseinbußen bei Unix-Systemen aus. Ein übriges habe das mäßige Agieren der großen Unix-basierten Workstation-Anbieter am Markt bewirkt: So hatte Sun nach Meinung von IDC über das ganze Jahr hinweg kein wettbewerbsfähiges Ultra-Sparc-basiertes Einstiegssystem. Trotz der Erfolge habe HP Abstimmungsprobleme mit seinen PA 8x00-Rechnern gehabt. Silicon Graphics (SGI) kam erneut nicht mit der Fertigung nach, und die im Mainstream-Markt positionierte Grafikworkstation der Impact-Reihe habe ihren technologischen Zenit längst überschritten. Und schließlich hätten auch IBMs Probleme mit dem PowerPC angedauert - alles Schwierigkeiten, die zu Lasten der Verkaufszahlen gegangen sind.

Erschwerend für die Unix-Gemeinde kam der Eintritt von weiteren PC-Herstellern in den NT-basierenden Workstation-Markt hinzu. So konnten beispielsweise IBM und Dell in Deutschland im vergangenen Jahr auf Anhieb Platz fünf und sechs belegen und rangieren damit noch vor Digital Equipment. Vor allem Dell sorgte mit der Ankündigung, in das boomende Geschäft mit NT-Workstations einzusteigen, für Aufregung. "Die enormen Wachstumspotentiale haben uns bewogen, in diesen Markt einzusteigen", kommentiert Heiner Bruns, Product Manager bei Dell Computer in Langen, den Schritt des Direktanbieters. Die Strategie der texanischen Company von Firmengründer Michael Dell: günstige Preise und natürlich der Direktverkauf. Begründet Bruns: "Das direkte Geschäftsmodell ist für den Workstation-Markt wie maßgeschneidert. Jedes Gerät wird auftragsbezogen gefertigt, was unsere Lagerhaltungskosten minimiert."

Glaubt man den Zahlen der Marktforscher, scheint sich für Dell der Einstieg in den Workstation-Markt bereits jetzt gelohnt zu haben. Immerhin belegen die Texaner laut IDC weltweit hinter HP, Sun, Compaq und IBM Platz fünf - zumindest was die ausgelieferten Stückzahlen betrifft. Wertmäßig allerdings liegt Dell auf Rang sieben. Erfreulich für Dell: Branchenbeobachter bescheinigen dem aggressiven PC-Hersteller auch im Workstation-Geschäft gute Chancen. So meint etwa Dataquest-Analystin Karen Benson: "Bereits im PC-Geschäft arbeitet Dell vor allem mit Großkunden zusammen. über 80 Prozent dieser Accounts sind Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Diese Basis läßt sich natürlich hervorragend als Ansprechbasis für Marketingmaßnahmen nutzen." Und die IDC-Marktforscher Uwe Kaiser und Thomas Copeland fügen hinzu: "Mit einem Straßenpreis, der etwa 20 bis 40 Prozent unter dem der Konkurrenz liegt, ist die Workstation 400 von Dell sehr attraktiv für die gegenwärtigen Windows NT-Benutzer in Bereichen wie Finanzdienstleistungen."

Doch nicht nur Dell macht mit dem Hype um NT-Workstations gute Geschäfte. Auch Hewlett-Packard, Siemens Nixdorf, Compaq, IBM und Digital Equipment glänzen mit hohen Zuwachsraten in diesem Marktbereich. Gut dran sind in erster Linie HP, IBM und DEC, die sowohl im NT- als auch im Unix-Umfeld Workstations anbieten. So lobt beispielsweise IDC die umfassende Unix-Erfahrung von HP im Workstation-Segment. Das Unternehmen habe sehr gute Kontakte zur technischen Kundenbasis aufgebaut und genieße zudem im Servicebereich hohes Ansehen bei den Kunden. Allerdings, so schränken Branchenbeobachter ein, könne die Zweigleisigkeit auch zu Unsicherheiten unter der Kundschaft führen.

HP-Manager Willem sieht das ganz anders: "Wir sind in der glücklichen Lage, dem Markt sowohl Unix- als auch NT-basierte Maschinen und zudem noch Integrationsberatung anbieten zu können. Ich bin der Meinung, daß wir mit nur einer Plattform schlecht beraten wären", ist er überzeugt. Und fügt mit Seitenblick auf seine Wettbewerber hinzu: "Wir müssen keinen Glaubenskrieg führen."

Sun Microsystems bleibt eisern bei seinen Leisten

Den führen dafür aber Compaq auf der NT- und Sun Microsystems auf der Unix-Seite. Und obwohl Compaq mit ihren Wintel-Maschinen im Workstation-Markt durchaus ein Wörtchen mitreden kann, haben die Texaner ein großes Problem: Die Compaq-Maschinen werden von Marktkennern lediglich als "High-end-PCs" ohne jegliche Serviceleistung gesehen. Betont Workstation 2000-Marketier Stein: "NT-Workstations ohne ein erweitertes Dienstleistungsspektrum werden im Markt wenig Erfolg haben." Erst Service und Support macht den Mehrwert rund um eine Unix-Workstation aus.

Den Religionskrieg auf der anderen Seite ficht - mittlerweile allein - Sun Microsystems aus. Laut Produktmarketing Manager Michael Schroeder soll es dabei auch bleiben. "Zweigleisigkeit kommt für uns nicht in Frage. Wir bleiben Unix treu", gibt er sich selbstbewußt. Damit dürfte der Workstation-Anbieter gut fahren. "Obwohl wir ganz klar den Trend in Richtung Windows NT spüren, hat auch Sun weiterhin Erfolg", so Steins Beobachtung. "Gerade dieses eindeutige Bekenntnis zu Unix finden viele Käufer gut, weil sie damit wissen, woran sie sind", meint er.

Um sich nicht nur auf die weitere Berechtigung für Unix zu verlassen, hat Sun seit gut einem Jahr den Kampf gegen die Konkurrenz wieder aufgenommen. Vor allem die Ultra 2-Modelle bringen das Unternehmen wieder in eine gute Position im High-end-Segment, glauben zumindest die IDC-Marktauguren. Anfang dieses Jahres schließlich parierte Sun den Angriff der NT-Anbieter: Mit den Ultra 5- und Ultra 10-Workstations, die unter 3.000 beziehungsweise 7.000 Dollar kosten, will das Unternehmen verlorengegangenen Boden wiedergutmachen. Laut Schroeder ist man dabei auch auf dem richtigen Weg: "Die Akzeptanz am Markt bezüglich der neuen Modelle ist sehr hoch", weiß er. Inwieweit die beiden "Personal Workstations" wirklich im Markt ankommen, muß noch abgewartet werden. Workstation 2000-Manager Stein jedenfalls hat schon Einsatzmöglichkeiten für beide Maschinen ausgemacht: "Die Ultra 5 und Ultra 10 sind im Fullfilment und bei Upgrades sinnvoll."

Auch der zweite traditionelle Unix-Anbieter SGI hat sich mittlerweile etwas einfallen lassen, um sich die Wintel-Konkurrenz vom Hals zu halten (siehe dazu auch Kasten "SGI setzt künftig auf Intel-Chips" auf Seite 88). Vor einem halben Jahr kündigte SGIs EX-C Edward McCracken eine Baureihe von Intel-basierten Workstations unter Windows NT an. Microsoft und Intel seien "die Luft und das Wasser" der Computerindustrie geworden, sagte McCracken damals vor Analysten. Diese Tatsache habe man zu akzeptieren. Und Gary Lauer, Vertriebs- und Marketingchef bei Silicon Graphics, fügte hinzu: "Wir wollen bei technisch eingesetzten Rechnern weiter Nummer eins bleiben und bei Workstations werden. Dazu müssen wir auch NT-Maschinen anbieten."

Der Preis spielt im Workstation-Geschäft nicht die erste Geige

Neben dem Wettlauf zwischen Unix und NT nimmt aber auch der Preiskampf immer größere Formen an. Sowohl im High-end- als auch im Low-end-Segement gehen die Preise immer weiter in den Keller. Erst kürzlich kappte HP, bis dato nicht als Preisbrecher der Branche bekannt, die Preise für die Modelle der Visualize-Unix-Reihe um bis zu 41 Prozent. Andere Hersteller hatten bereits zuvor Preiskürzungen angekündigt oder zogen schnell nach. Das Ergebnis: "Unix und auch die Anwendungen, die darauf laufen, sind heute nicht mehr teurer als NT-Systeme und deren Anwendungen", so Sun-Marketier Schroeder.

Einfluß auf die Kaufentscheidung der Anwender haben die Preise ohnehin nur bedingt, glaubt HP-Manager Willem. "Die Preisermäßigungen können zwar den Kampf im Workstation-Markt forcieren. Wenn aber bei Unternehmen eine strategische Entscheidung ansteht, spielt der Preis eine untergeordnete Rolle." Dell-Manager Bruns stimmt dem zu: "Der Preis allein ist nicht entscheidend. Der Kernfaktor im Workstation-Markt ist vielmehr das Preis-Leistungs-Verhältnis." Und Schroeder von Sun meint dazu: "Der Preisverfall wird nicht so dramatisch ausfallen, wie beispielsweise im Home-PC-Geschäft. Vielmehr ändert sich das Preisniveau mit jeder neuen Produkt- beziehungsweise Prozessorgeneration."

Dagegen sieht Stein diesen Aspekt mit einem lachenden und einem weinenden Auge: "Durch die Preissenkungen werden Kaufentscheidungen beschleunigt und damit die Verbreitung von Workstations vorangetrieben", erklärt der Workstation 2000-Manager. Allerdings werde für die Händler die Marge damit immer schmaler. Aus diesem Grund fordert er: "Der Value Added Reseller muß die Lösung in den Vordergrund schieben. Wenn er die vermarkten kann, dann kann er auch gutes Geld verdienen." Für Sun-Marketier Schroeder stellt sich die Sache genauso dar. Ein Fachhändler, der nur Boxen schiebt, kann seiner Meinung nach keinen Mehrwert anbieten. Betont Schroeder: "Der Partner muß sich überlegen, welche Kernkompetenz er hat und diese dann vermarkten."

Händler können mit Unix-Systemen weiterhin gut leben

N och drastischer formuliert Marketingfachmann Willem von HP die Aussichten für den Fachhandel: "In zwei bis drei Jahren wird es beim Verkauf der reinen Hardware kaum noch Margen geben. Was dann zählt, sind Dienstleistungen." Im Klartext heißt das: Durch die komplexen, vernetzten Strukturen vor allem der Unix-Workstations haben Händler ohne ein entsprechendes Know-how in diesem Markt keine Chance. Aus diesem Grund biete HP seinen Vertriebspartnern weitreichende Unterstützung an, wie vor allem den Aufbau von Dienstleistungswissen durch Trainings und Schulungen.

Know-how wird also für den Handel immer wichtiger, zumal in Zukunft nicht nur das Geschäft mit den Unix-Workstations beratungsintensiv sein wird. Auch Wintel-Maschinen sind durch die NT-Cluster-Technologie "Wolfpack" mittlerweile erklärungsbedürftig. Doch wie auch immer: Am Ende jeder Diskussion steht wieder der Kampf zwischen NT und Unix, der wohl auch im Workstation-Markt noch einige Zeit Fortbestand haben wird.

Marketing-Manager Stein von Workstation 2000 hat für die Diskussion allerdings nur bedingt Verständnis: "Eigentlich spielt doch die Plattform eher eine untergeordnete Rolle. Der Kunde entscheidet sich doch vielmehr für ein System aufgrund seiner speziellen Anforderung", so Stein. Und fügt er hinzu: "Wir sagen unseren Händlern: Laß dir den Kunden, der Windows-NT haben möchte, nicht entgehen, aber verlaß auch nicht den Unix-Zug." (sn)

Im Oktober 1996 stieg Compaq Computer in den Workstation-Markt ein. Die Professional Workstation 5000 war das erste Modell für das boomende Geschäft.

Aus der Familie der PC-Workstations von Hewlett-Packard stammt die HP Kajak XA.

Michael Schroeder, Produktmarketing Manager bei Sun Microsystems: "Zweigleisigkeit kommt für uns nicht in Frage. Wir bleiben Unix treu."

Seit knapp einem Jahr verkauft Dell seine Workstation 400 am Markt. Der Erfolg kann sich sehen lassen: Weltweit rangieren die Texaner schon auf Platz fünf.

Manfred Willem, Marketingmanager Technical Computing bei Hewlett-Packard: "Wir sind in der glücklichen Lage, sowohl Unix- als auch NT-basierte Workstations anbieten zu können."

Die mit zwei Prozessoren ausgestattete Ultra 60 ist die leistungsstärkste Workstation im Produktportfolio von Sun.

Erst kürzlich vorgestellt, soll die Sun Ultra 5 (rechts) die Leistung einer Unix-Workstation zum Preis eines PCs liefert.

Im vergangenen Jahr hat Hewlett-Packard zum ersten Mal stückzahlenmäßig Sun Microsystems vom weltweiten Thron der Workstation-Hersteller gestoßen. Wertmäßig jedoch muß HP hinter Sun weiter zurückstehen. Dell als Newcomer belegt immerhin schon Platz fünf.

Die Verkäufe von Risc-Workstations sind in Deutschland im vergangenen Jahr zum ersten Mal rückläufig gewesen. Dafür legten die Wintel-Maschinen nach Stückzahlen um knapp 300 Prozent zu. Wertmäßig ergibt sich allerdings nicht so ein rosiges Bild - ein Zeichen für den heftigen Preiskampf, der auch in diesem Jahr seineFort-

setzung findet.

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