Modern Workplace 365

"A gmahde Wiesn“ für die IT-Industrie? Nicht ganz



Dr. Rudolf Aunkofer ist Direktor am Institut für Information & Supply Chain Management (iSCM) der Hochschulie für angewandtes Management in Ismaning bei München.
In der Diskussion um den „Arbeitsplatz der Zukunft“ ist technologisch sehr viel möglich. Aufgrund von Lockdown & Home Office wurde in ungeahnt kurzer Zeit bereits vieles umgesetzt.
Hohe Desk-Sharing Quoten reduzieren den Bedarf an Office-Fläche - auch ein Aspekt, den viele Arbeitgeber bei der Gestaltung des "Modern Workplace" beachten.
Hohe Desk-Sharing Quoten reduzieren den Bedarf an Office-Fläche - auch ein Aspekt, den viele Arbeitgeber bei der Gestaltung des "Modern Workplace" beachten.
Foto: Dean Drobot - shutterstock.com

Geeignete Organisationsstrukturen sowie Akzeptanz bei Mitarbeiter und Management sind allerdings die zentralen Faktoren für den Erfolg innovativer Arbeitsplatzkonzepte.

4 Gründe, die Kunden überzeugen

Die Thematik „Modern Workplace“ lässt sich vereinfacht in zwei grundlegende Aspekte unterteilen: (1) Technologische Machbarkeit und (2) Akzeptanz beim Menschen, dem konkreten Nutzer, also bei Mitarbeitern und Management. Die aktuelle Diskussion fokussiert zurecht auf den ersten Aspekt, da dieser für Hersteller wie Fachhandel das entscheidende – da kurzfristig fokussiert – und zentrale Verkaufsargument darstellt.

Die Argumentation ist in vielen Fällen pragmatisch und wirklich praxisorientiert, da der zu erwartende Nutzen klar und überzeugend kommuniziert werden kann:

  • zentral gesteuerte IT-Prozesse

  • einheitliche Sicherheitsstandards

  • flexibler & mobiler Zugriff auf IT-Ressourcen

  • transparente Kostensituation

Diese vier Nutzendimensionen bilden die Grundlage der heutigen Diskussion. Abhängig nach aktuellem Stand der IT-Infrastruktur beim jeweiligen Kunden erfahren sie eine unterschiedliche Gewichtung im Entscheidungsprozess. Ihre Relevanz für eine "moderne Arbeitswelt mit Potential" für heute und morgen wird mittlerweile ohne große Bedenken und Vorbehalte akzeptiert. Ausschlaggebend für die Investitionsentscheidung ist daher die Beurteilung des Migrationsaufwands und -prozesses bzgl. seiner Machbarkeit und seinem zeitlichen Horizont. Eine Reihe von, in der Vergangenheit regelmäßig vorgebrachten, Bedenken sind durch die pandemiebedingten Herausforderungen und dem Zwang, Home Office quasi über Nacht möglich zu machen, im New Normal wenig stichhaltig bzw. wurden von der Realität einfach überholt.

Die technologischen Voraussetzungen sind sowohl auf der Intrastrukturseite aufgrund ausreichender Vernetzung, mobiler Clients und cloud-basierten XaaS-Lösungen (Anything as a Service) wie auch auf der Anwenderseite mit gelerntem User Interface klassischer Software-Lösungen und deren Weiterentwicklung zu ortunabhängigen Communications- und Collaborations-Lösungen geschaffen.

In punkto Technik & Verkaufsargumentation ist die Migration zum Modern Workplace somit - um's mit einem sehr treffenden bayerischen Idiom zu beschreiben "a gmahde Wiesn", also eine leicht zu bewältigende Aufgabe, ein mühelos erreichbares Ziel, eine ausgemachte, sichere Sache …

Freiheiten fördern & Ängste reduzieren

Daher ist auf den zweiten Aspekt, den Faktor "Mensch" zu fokussieren. Der an 365 Tagen im Jahr gelebte Modern Workplace erfordert zwar eine Reihe technischer Voraussetzungen, ist aber - bei genauer Betrachtung - ein neues Arbeitskonzept mit gravierenden Auswirkungen auf den Organisationsgrad und die Organisationsstruktur und somit die Kultur von Unternehmen. Die technologischen Lösungen eröffnen Mitarbeitern die Möglichkeit, in eine virtuelle, digitale, hybride Arbeitswelt einzutauchen, in der unabhängig von Raum und Zeit eigenbestimmt gearbeitet werden kann.

Dr. Rudolf Aunkofer, Direktor am Institut für Information & Supply Chain Management (iSCM): "In punkto Technik & Verkaufsargumentation ist die Migration zum Modern Workplace - ums mit einem sehr treffenden bayerischen Idiom zu beschreiben 'a gmahde Wiesn', also eine leicht zu bewältigende Aufgabe."
Dr. Rudolf Aunkofer, Direktor am Institut für Information & Supply Chain Management (iSCM): "In punkto Technik & Verkaufsargumentation ist die Migration zum Modern Workplace - ums mit einem sehr treffenden bayerischen Idiom zu beschreiben 'a gmahde Wiesn', also eine leicht zu bewältigende Aufgabe."
Foto: iSCM Institute

Dies führt einerseits zu neuen Freiheiten, die Mitarbeiter in den letzten Monaten zu schätzen gelernt haben. Freiheiten, die nach der Beendigung der Lockdown-Situation sogar noch stärker ins Gewicht fallen werden: Zeitersparnis durch den Entfall des täglichen Weges von und zur Arbeit, flexible Arbeitszeiteinteilung untertags, Arbeitsunterbrechungen/Pausen, die auch privat genutzt werden können, u.a. Andererseits verursachen diese Freiheiten, da sie als gänzlich neuartig erlebt werden, auch eine Reihe von Befürchtungen und Ängsten, mit denen gelernt werden muss(te), umzugehen: Arbeits- und Privatleben gehen aufgrund des gleichen Ortes, an dem beides stattfindet, ineinander über. Das Trennen beider Welten muss einerseits neu gelernt werden.

Der in diesem Kontext oftmals hilfreiche Weg von der Arbeit nach Hause, der dies aufgrund geographischer wie zeitlicher Distanz erleichterte, fehlt. Selbstdisziplin in beide Richtungen - sich weder durch private Faktoren ablenken zu lassen, noch liegengebliebene Arbeiten oder Meetings wie selbstverständlich in ein ehemals eher privates Zeitfenster am Abend zu legen - muss neu gelernt wie praktiziert werden. So verwundert es nicht, dass das Spektrum der Kommentare zu diesem Thema in privaten oder beruflichen Diskussionen wie auch in Umfragen sich einem Pendel gleich von positiven wie negativen Meinungen bewegt - von hochzufrieden bis nahezu am Burnout.

Ein Umdenken im Management ist daher erforderlich. Der Organisationsgrad, d.h. wie ausgeprägt und strikt Regelungen vorhanden sind und wie diese im Arbeitsalltag gelebt werden, wie auch die interne Organisationsstruktur, d.h. wie die verschiedenen Prozesse ineinandergreifen, muss neu überdacht, konzeptioniert und den neuen Rahmenbedingungen angemessen implementiert werden. Was also bei Outsourcing-Projekten, bei der Übergabe von intern erbrachten Leistungen an Outsourcing-Partner längst Standard ist, ist nun auch intern bei dem Übergang von "Arbeiten im Office" zu "Remote Arbeiten" zu definieren.

Wenn sich Mitarbeiter nicht mehr am Schreibtisch oder im Büro gegenüber finden, wenn kurzes Treffen beim Mittagessen oder in der Kaffeepause, wenn zufälliges wie spontanes sich im Unternehmensgebäude begegnen, nicht stattfindet, sind neue "Spielregeln" erforderlich, die gewohnte Sicherheiten bieten, Ängste reduzieren und einer hybriden Arbeitswelt Rechnung tragen. Diese Arbeitswelt wird Bestandteil des New Normals bleiben - die Uhr ist nicht mehr zurückzudrehen!

Der Mensch macht den Unterschied

Motivierte Mitarbeiter sind dem folgend mit 52 Prozent der wichtigste Vorteil des Modern Workplace, gefolgt von Aspekten, die sich sowohl auf Arbeitsergebnis wie auch Motivation auswirken: effizientes & mobiles Arbeiten (49 bzw. 39 Prozent), Teamarbeit (ebenfalls 39 Prozent) und agiles Arbeiten (34 Prozent) bei gleichzeitig identischer Leistungsperformance der IT im Office und beim remote arbeiten (33 Prozent). Der Einsatz moderner IT-Technologien, die agile und flexible Arbeitsmöglichkeiten bieten, ist heute für Mitarbeiter genauso wichtig wie die ausgeglichene Work-Life-Balance, die durch diese Technologien ermöglicht wird.

Der Faktor "Mitarbeiterzufriedenheit" ist seit einem Jahr durch die Lockdown bedingten Herausforderungen zwar etwas in den Hintergrund gerückt, er wird allerdings aufgrund eines sich weiter verstärkenden Fachkräftemangels relativ rasch wieder als Herausforderung #1 für viele Unternehmen - Handwerk, Mittelstand, Großunternehmen wie auch Behörden - herauskristallisieren. "Mitarbeiterzufriedenheit" ist die Voraussetzung für Motivation, Engagement, Kreativität und emotionale Bindung an ein Unternehmen. Diese Bindung gewinnt in einer hybriden Arbeitswelt, mit Office & Remote Arbeiten entscheidend an Bedeutung, um Mitarbeiter langfristig im Unternehmen zu halten.

Hybrides Arbeiten mit Home Office macht das wechseln von Arbeitgebern deutlich einfacher als in der Vergangenheit, da der Arbeitsort nicht oder nur bedingt für zwei bis drei Tage pro Woche gewechselt werden muss. Die Entscheidung für einen neuen Arbeitgeber kann somit öfters als in der Vergangenheit ohne einen Wohnortwechsel stattfinden.

Modern Workplace = Mitarbeiterbindung

Für junge Menschen, für Nachwuchs(führungs)kräfte, die ihren Arbeitseinstieg direkt in eine hybride Arbeitswelt erleben, wird dies sogar noch bei weitem stärker der Fall sein. Ihr Arbeitsmittelpunkt kann - bewusst gewählt - ihr Home Office sein, verbunden mit einem gelegentlichen Pendeln zum realen Office, wie es in den USA bei vielen Unternehmen bereits seit längerem üblich ist. Hohe Desk-Sharing Quoten reduzieren den Bedarf an Office-Fläche und helfen Unternehmen Office-Kosten signifikant zu reduzieren, was dieses Arbeitskonzept auch für das Management interessant macht. Die sich abschließend ergebende Fragestellung ist somit nicht "ob" sondern "wann", "wie schnell", "in welcher Form" ein Modern Workplace erforderlich ist!

Der Modern Workplace kann durch seinen starken Einfluss auf die Mitarbeitermotivation ein entscheidender Wettbewerbsvorteil im Rennen um talentierte, gut ausgebildete Mitarbeiter sein.
Der Modern Workplace kann durch seinen starken Einfluss auf die Mitarbeitermotivation ein entscheidender Wettbewerbsvorteil im Rennen um talentierte, gut ausgebildete Mitarbeiter sein.
Foto: iSCM Institute

Der Modern Workplace ist durch seinen starken Einfluss auf die Mitarbeitermotivation 365 Tage im Jahr ein entscheidender Wettbewerbsvorteil im Rennen um talentierte, gut ausgebildete Mitarbeiter. Gerade in flexiblen, digital vernetzten Liefer- und Wertschöpfungsnetzwerken machen motivierte, sich mit dem Unternehmen identifizierende Mitarbeiter mit der Qualität ihrer Entscheidungen den Unterschied. Ein Wettbewerbsfaktor, den es in einem Hochlohnland wie Deutschland zu nutzen gilt, daher gilt es, die Chance Modern Workplace zu nutzen - 365 Tage im Jahr!

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