Absatzfinanzierung für den Channel: Kontroverse Standpunkte erschweren das Alltagsgeschäft

18.09.2003
Die Lage in der IT-Branche spitzt sich zu: Eine vernünftige Projektfinanzierung auf die Beine zu stellen ist weder für die Lieferanten noch für die Partner ein Zuckerschlecken. Banken und Kreditversicherer mauern zunehmend; das Risiko der Absatzfinanzierung geht mehr und mehr auf Hersteller und Distributoren über. Dennoch kann von einer reibungslosen Zusammenarbeit zwischen Handel und Lieferanten keine Rede sein. Zu diesen Themen diskutierten im Rahmen der Actebis Open Vertreter von Banken, aus der Distribution sowie der Industrie und von der Partnerfront.

Herr Stratmann, wie sieht die Lage bei Ihnen als Systemhaus aus - welche Probleme machen Ihnen am meisten zu schaffen?

Stratmann: Die Schwierigkeiten kommen von zwei Seiten: Einerseits arbeiten wir mit Endkunden zusammen, deren Zahlungsverhalten zum Teil einfach mangelhaft ist. Gerade die öffentliche Hand verlängert ihre Zahlungsziele gerne mal bis zu sechs Monaten - und das ist kein Witz. Andererseits sind wir bei unseren Lieferanten aus Distribution und Industrie natürlich verpflichtet, pünktlich zu bezahlen. Sonst bekommen wir keine Ware mehr. Das heißt, wir greifen in die eigene Tasche, um das so entstandene Loch auszufüllen. Der Händler ist in dieser Wertschöpfungskette mittendrin und muss sehen, wie er klarkommt.

Geben wir die Frage an die Bankenvertreter hier am Tisch weiter. Der deutsche Mittelstand erhebt gegen die Bankenlandschaft schwere Vorwürfe: dass die restriktive Politik der Kreditvergabe Wachstum blockiere. Ziehen Sie sich diesen Schuh an, oder glauben Sie, die Vorwürfe seien ungerecht?

Beinecke: Wir als Genossenschaftsbank verstehen uns als Kreditinstitut für den Mittelstand. Wir wollen in der Region für die Unternehmen ein Partner sein. Dennoch müssen wir in Deutschland den Rating-Prozess - Stichwort: Basel II - in der Kreditwirtschaft noch umsetzen. Wir befinden uns hier alle in einer Umbruchphase. Das andere Problem ist, dass deutsche Unternehmen nicht ausreichend mit Eigenkapital versorgt sind, was natürlich mit unseren Steuergesetzen zusammenhängt. Ich verweise auf andere europäische Länder, wo die Eigenkapitalausstattung wesentlich besser aussieht. Das sind Fakten, mit denen die Banken bei der Kreditvergabe konfrontiert sind.

Herr Jung, wie beurteilen Sie die Situation?

Jung: Ich kann mir den Schuh nicht anziehen: Die Heller Bank hat zwar Bankenstatus, konzent-riert sich aber rein auf das Factoring-Geschäft. Das heißt, wir stoßen genau in die Lücke, die hier bereits von Herrn Stratmann angesprochen wurde, und finanzieren die Außenstände bei immer länger werdenden Zahlungszielen vor. Und wir haben nicht die gleichen Probleme wie die Geschäftsbanken, was das Rating betrifft, denn unsere Kunden sind die einzelnen Schuldner, nicht der Lieferant. Aufgrund der zunehmend problematischen wirtschaftlichen Gesamtlage boomt unser Geschäft seit drei Jahren.

Herr Rossen, wie beurteilen Sie als Vertreter von Creditreform die Zahlungsmoral der Unternehmen beziehungsweise die steigenden Forderungsausfälle?

Rossen: Deutschland ist in Europa die größte Volkswirtschaft, aber auch Spitzenreiter bei den Insolvenzen. Im vergangenen Jahr hatten wir in Deutschland 38.000 Firmenpleiten, und diese Zahl haben wir bereits im ersten Halbjahr 2003 erreicht. Und die Tendenz ist weiter steigend. Ein Grund dafür ist sicher, dass die Zahlungsziele bis zum letzten Punkt ausgedehnt werden. Im Durchschnitt - quer durch alle Branchen - liegen wir mittlerweile bei 60 Tagen.

Herr Wysuwa, wann fangen für Sie die Probleme an?

Wysuwa: Wenn es um einen größeren Auftrag oder ein Projekt geht, bei dem die Kreditlinien überschritten werden. Dann steigen die Risiken, die Hersteller, Distributoren und Hausbank oder auch der Endkunde dann tragen. Und das kann für böses Blut sorgen. Hier ist von Seiten der Partner, der beteiligten Systemhäuser, sehr viel mehr Offenheit gefordert. Und zwar Offenheit, was wichtige Informationen angeht. Wenn ich erst im letzten Moment einen Anruf bekomme, wenn der Auftrag zu platzen droht, weil die Kreditlinie nicht ausreicht, ist es oft schon zu spät. Dann kämpfen wir mit dem Benzinkanister gegen einen Waldbrand. Daher erwarte ich, dass ein solcher Auftrag frühzeitig an uns kommuniziert wird. Denn wir sind keine Hausbank, sondern Hersteller. Und über diese Themen müssen wir anfangen ganz offen zu reden: Projektfinanzierung von Seiten des Herstellers, punktuelle Erhöhung der Zahlungsziele, Forderungsabtretung und so weiter.

Stratmann: Zum Thema Zahlungsmoral und Herstellerunterstützung möchte ich ein Beispiel aus der Praxis bringen: Der öffentliche Dienst ist eine spezielle Klientel, weil dieser Auftraggeber seine Rechnungen erst bezahlt, wenn die Betriebsbereitschaft hergestellt ist. Manchmal kann es aber sechs Monate dauern, bis ein solcher Auftrag abgeschlossen ist - aufgrund von Fehlern in der IT-Umgebung, die mit unseren Leis-tungen gar nichts zu tun haben. In einen solchen Fall müssen wir in eine Wahnsinnsvorleistung gehen. Und so was interessiert den Hersteller nicht, den Distributor nicht, und die Hausbank steigt dann auch aus.

Herr Wysuwa, was sagen Sie zu dem Vorwurf?

Wysuwa: Meine Definition von Vertrauen bezog sich auf den Informationsaustausch zwischen Händler und Hersteller. In dem Augenblick, wenn ein Geschäft nicht mehr rund läuft, geht es darum zu belegen, warum ich einen Vertrauensbonus beim Lieferanten verdient habe. Der Klassiker im Alltag ist doch: Eine Kreditlinie wird von einem Kreditversicherer zurechtgestutzt, und zeitgleich prallt genau dann ein mittelgroßes Projekt auf, das abgewickelt werden soll. Jetzt stellen Sie sich mal die Situation vor: Der zuständige Sachbearbeiter muss Knall auf Fall entscheiden: ja oder nein. Und das, obwohl der Kreditversicherer sagt, es stimmt was nicht, und gleichzeitig wird die Kreditlinie bis zum Anschlag ausgenutzt. Wenn unserem Mitarbeiter aber keine Zahlen von Ihnen vorliegen, weiß er auch nicht, ob der Kreditversicherer Recht hat oder der involvierte Partner. Und hier kann eine gute Zusammenarbeit beziehungsweise eine offene Kommunikation zwischen Herstellern und Händlern eine Menge bewirken. Das meinte ich mit Vertrauen.

Beinecke: Man kann viele Probleme im Alltagsgeschäft umschiffen, wenn man dieses Informationsdefizit ausräumt. Und das ist auch das Thema von Basel II und des daraus resultierenden Ratings: Gutes Rating gibt es nur dann, wenn man seine Geschäftspartner zeitnah informiert. Das trifft auch auf die Banken zu. Wenn wir so weit sind, dass mit Rating-Ergebnissen allgemein gearbeitet wird, dann dienen sie allen Beteiligten als sehr gute Orientierung, und gewisse Finanzierungsprobleme erledigen sich von selbst.

Nieder: Kurz zu Basel II: Laut den Rating-Kriterien gibt es gute Schuldner mit der entsprechenden Eigenkapitalausstattung und passender Rentabilität, die Kredite zu guten Konditionen bewilligt bekommen. Dann gibt es die so genannten schlechten Schuldner, die entweder Kredite zu höheren Zinsen oder gar keine bekommen. Und damit entsteht im deutschen Markt das Risiko, dass zum Beispiel unsere Partner aus dem SMB-Bereich sukzessive aus dem Geschäft gedrängt werden, weil sie kaum eine Möglichkeit der Finanzierung haben. Und hier möchte ich die Banken mal auffordern, ihre eigene Risikobereitschaft zu überprüfen, um auch kleineren und mittleren Unternehmen das Überleben zu ermöglichen.

Herr Wysuwa, warum ist für FSC die Offenheit der Partner so wichtig - haben Sie ein konkretes Beispiel aus der Praxis?

Wysuwa: Ich kann ja mal Zahlen nennen: Wir haben intern bei FSC recherchiert, dass wir rund 70 Prozent der Problemfälle mit einem zeitnahen Informationsmanagement von Seiten unserer Partner einfach vom Tisch bekämen. Ich bin davon überzeugt, dass auch Systemhäuser - in Kombination mit den Möglichkeiten der Hersteller und Distributoren - lernen müssen, ihre Fähigkeiten und ihr Potenzial nach außen zu verkaufen. Dazu zähle ich zum Beispiel: Know-how des Händlers, seine Innovationskraft oder Kundenbindungspotenzial.

Herr Risse, auch die Actebis-Gruppe übernimmt zunehmend Risiken für Partner - gerade aus dem SMB-Segment. Schließen Sie sich der Kritik von Herrn Wysuwa an?

Risse: Herr Wysuwa hat Recht, aber ich würde das nicht als Kritik verstehen. Die Basis für jedes Kreditgeschäft ist nun mal Vertrauen. Aber Vertrauen entsteht nicht durch die letzten drei Jahresbilanzen, die auf den Tisch gelegt werden, sondern muss gelebt werden. Wichtig ist für uns alle der Informationsaustausch. Man kann nicht innerhalb von 24 Stunden Aufträge von Neukunden ausliefern, die die Kreditlinien überschreiten. Die Basis dafür entsteht erst in einer kontinuierlichen Geschäftsbeziehung.

Wie sieht es bei Ihnen mit Forderungsausfällen aus?

Risse: Im vergangenen Jahr hatten wir insgesamt ein unversichertes Forderungsvolumen von 30 Millionen Euro, das wir 2002 knapp sieben Mal gedreht haben. Dieser Betrag war nicht durch Bankbürgschaften, Garan-tien oder Kreditversicherer abgesichert. Und dabei haben wir nur positive Erfahrungen gemacht, denn wir hatten keinen einzigen Forderungsausfall. Allerdings muss die Vorbereitung entsprechend sein. Das heißt, bereits jetzt im Sommer müssen Gespräche mit den Partnern geführt werden, wie sie ihr Jahresendgeschäft beziehungsweise das erste Quartal 2004 einschätzen. Erst dann können wir auch den Kreditbedarf unserer Partner - zum Beispiel aus dem SMB-Segment - für die Saison abschätzen.

Herr Wisst, wie gehen Sie im Alltagsgeschäft vor?

Wisst: Man muss heute auch die Planung des Kunden und damit das mögliche Potenzial analysieren. Nur externe Quellen, wie zum Beispiel Creditreform, reichen heute nicht mehr aus. Ich muss mit dem Händler reden und Fragen stellen: Wie viele Projekte stehen an, was hat er noch in der Pipeline? Welche Größe haben seine Kunden, wie setzt sich seine Kundenbasis zusammen? Wie sind die Forderungen aufgebaut? Die Antworten bekommt man nur in persönlichen Gesprächen. Und wenn wir wissen, dass der Partner bei bestimmten Endkunden längere Zahlungsziele als 30 Tage braucht, können wir ihm da auch entgegenkommen. Zwar können wir das nicht immer komplett kostenlos machen, wir müssen uns ja auch finanzieren, aber wir haben mehr Spielraum als unsere Partner.

Herr Stratmann, wie gehen Sie mit Lieferanten wie Actebis, FSC oder Peacock um? Rufen Sie alle drei Monate an und berichten über Ihren jeweiligen Quartalsabschluss und Ihren Forecast für das neue Quartal?

Stratmann: Nein, das machen wir nur mit unseren Banken. Sie bekommen alle drei Monate unsere Zahlen. Ich kenne auch kaum Beispiele von Kollegen, wo das problemlos und kontinuierlich so läuft. Außerdem führen wir auch Gespräche, um das Vertrauen in unser Unternehmen zu stärken. Allerdings habe ich hier das Gefühl, dass Hersteller und Distributoren meinen, die Händler hätten ihr Geschäft nicht im Griff.

Nieder: Ich glaube, hier am Tisch diskutieren wir nicht mit den typischen Fachhändlern, mit denen wir es tagtäglich zu tun haben. Denn da kann es durchaus vorkommen, dass der Partner mit einem Auftrag droht, gleichzeitig aber die Selbstauskunft verweigert. Wir haben ja alle nicht das Problem, dass wir viel weniger verkaufen, sondern dass wir alle weniger Marge machen. Und dadurch werden auch die Risiken für alle Marktteilnehmer größer. Die Bereitschaft, größere geschäftliche Risiken einzugehen, sinkt dadurch automatisch. Insofern möchte ich mich Herrn Wysuwa anschließen, dass es nur darauf ankommt, wie schnell, wie intensiv und wie vollständig wir miteinander reden. Dann kann man auch Projekte effizient durchsetzen.

Wysuwa: Ein wichtiger Punkt noch: Entscheidend ist auch, wie gut das Cash-Collect-Management beim Partner ist. Natürlich darf der Händler nicht in der Sandwichposition sein, sondern die gesamte Wertschöpfungskette muss ein Interesse daran haben, dass offene Forderungen des Partners auch beglichen werden. Und Herr Stratmann, es gibt durchaus Endkunden, die man mit den beteiligten Lieferanten im Rücken dazu bewegen kann, auch mal pünktlich zu zahlen.

Risse: Als Distributor sehen wir uns an dieser Stelle, was den Forderungsbestand angeht, als Prob-lemlöser. Denn die Außenstände eines Partners haben natürlich als Wertschöpfungsfaktor und in puncto Refinanzierung eine besondere Bedeutung.

Herr Rossen, wie treibt man als Systemhaus am besten seinen Forderungsbestand beim Endkunden ein?

Rossen: Wenn man selbst nicht die Ressourcen hat, wird es vielleicht in der Distributionslandschaft dafür Dienstleistungen geben, die man für sein Kreditmanagement in Anspruch nehmen kann. Über solche Wertschöpfungsketten sollte man mal nachdenken: Mit dem Ziel, das Forderungsbetreibungswesen dann wesentlich effektiver für alle Beteiligten zu gestalten.

Herr Stratmann, wie überprüfen Sie beispielsweise die Bonität Ihrer Endkunden?

Stratmann: Wir machen das einzig Richtige und arbeiten hier mit den Kreditversicherern zusammen. Und in diesem Zusammenhang möchte ich mal darauf hinweisen, dass unsere Endkunden uns niemals ihre Zahlen vorlegen würden. Ich kann nicht zum Kunden kommen und sagen: "Hallo, kann ich mal eure Bilanz sehen?" Das ist in der Praxis nicht drin. Unsere Partner sind hier die Kreditversicherer, und zu denen sagen wir: "Hallo, wie sieht’s mit dem und dem Kunden aus?" Das sind Profis, und sie kümmern sich darum. Außerdem sind wir damit gleichzeitig rückversichert. Dann weiß ich nämlich, wenn was schief geht, bekomme ich einen großen Teil des Geldes wieder.

Aber auch in der Zusammenarbeit mit den Kreditversicherern läuft ja nicht mehr alles so reibungslos wie früher. Schließlich haben sie die IT-Branche als Risikogruppe definiert. Wie wirkt sich das bei Ihnen im Alltagsgeschäft aus?

Stratmann: Die Bewilligungen gehen nicht mehr so kurzfristig über die Bühne wie früher. Das heißt, wir müssen abwarten und das auch dem Endkunden mitteilen, sonst wird das Risiko - gerade bei Neukunden - zu groß. Das kostet zwar viel Geld, ist aber für uns der einzig richtige Weg. Denn wenn was nicht klappt, hängt der Händler mittendrin.

Herr Rossen, wir haben ja bereits gehört, dass Herr Stratmann seine Bilanzen beziehungsweise Pläne durchaus mit seiner Bank und Kreditversicherung durchspricht. Wie schätzen Sie die Offenheit mittelständischer Unternehmer ein, wenn es um die eigenen Zahlen oder das eigene Vermögen geht?

Rossen: Aus eigener Erfahrung - die Bereitschaft ist flächendeckend nicht vorhanden. Aber diese Mentalität ändert sich langsam, denn Informationen sind mittlerweile notwendige Schmiermittel für Geschäftsprozesse. Transparenz wird immer wichtiger. Ich nenne mal ein paar Zahlen aus der Kreditversicherungsbranche: Wenn ein Unternehmen eine Schadensquote zwischen 30 und 70 Prozent hat, dann werden die Prämien für diese Firma um 40 bis 80 Prozent erhöht. Und wenn sich die Schadensquote auf 100 Prozent erhöht, kann man gleich mit einer Verdopplung seiner Prämie rechnen. Denn dann wird das zu einem Verlustspiel für die Kreditversicherung. Und bald darauf wird die Versicherung ganz gekündigt. Dieser Spirale können Unternehmer nur durch Absicherung aufgrund von Transparenz ihrer Geschäftspartner entrinnen.

Stratmann: Mit der Bank zu reden, Zahlen offen zu legen oder eventuelle Projekte anzukündigen macht für mich Sinn. Mit Herstellern oder Distributoren kann ich aber erst reden, wenn ich das Projekt endgültig in der Tasche habe. 20 Jahre Erfahrung haben mir gezeigt, dass es keinen einzigen Hersteller gibt, auf den man sich diesbezüglich verlassen kann.

Risse: Es geht uns ja auch nicht darum, die Bilanzen von 10.000 Kunden auszuwerten. Das können wir personell gar nicht stemmen. Der erste Weg sollte daher immer zur Bank führen. Und es kann auch nicht schaden, den Kreditversicherern mehr Offenheit entgegenzubringen. Distribution und Hersteller kommen ja erst ins Spiel, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Herr Wysuwa, das Misstrauen der Partner gegenüber ihren Lieferanten ist groß. Ist das begründet?

Wysuwa: Ich möchte hier mal klarstellen: Ich will keine Bilanzen lesen. Ich bin absolut zufrieden, wenn einfach bestellt, geliefert und gezahlt wird. Denn das ist mein Kerngeschäft. Zweitens kostet der Besuch beim Notarzt immer mehr Geld als der Besuch beim Hausarzt. Als Hersteller sind wir der Notarzt. Wir sind keine Bank und auch kein Berater für das Controlling. Wir können nur im Einzelfall, bei einem definierten Projekt, einspringen. Und das Tagesgeschäft zeigt nun mal, dass bei vielen Partnern der gute Draht zu ihrer Bank heute nicht mehr reicht, wenn es darum geht, ein Projekt zu finanzieren. Und wenn wir uns dann als Hersteller nicht engagieren, unterstütze ich weder das Partnergeschäft noch unser Geschäft und habe morgen in ComputerPartner eine Schlagzeile, die lautet: "FSC lässt seine Partner im Regen stehen." Das sind die Gründe, warum wir einen Konsens finden müssen, wie wir künftig zusammenarbeiten.

Nieder: Das andere Problem ist die nicht vorhandene Loyalität in unserem Alltagsgeschäft: In der IT-Branche diktiert oft der Preisdruck, wo man seine Ware einkauft. Und das stellt uns vor das Problem, unsere Risiken im Kredit-Controlling vernünftig abzuwägen. Denn das kann ein Unternehmen nur aufgrund einer stabilen Geschäftsbeziehung leisten. Und zum Thema Offenheit muss ich sagen, wenn wir miteinander Geschäfte in bestimmten Höhen machen wollen, müssen wir uns an einen Tisch setzen und auch über Zahlen reden.

Stratmann: Ich sehe das Problem nicht. Schließlich können Sie - genau wie wir auch - auf die Kreditversicherer zurückgreifen. Die kennen unsere Zahlen, mit denen reden wir einmal im Jahr, präsentieren die Bilanz, führen sie im Unternehmen herum - das ist das ganz normale Procedere.

Risse: Das ist ja genau, was Herr Nieder meint. Warum ist diese Offenheit ausschließlich auf Banken und Kreditversicherer reduziert? Warum führt man ein solches Gespräch nicht auch mal mit seinem Lieferanten aus der Distribution? Denn wenn wir die Kreditlinie eines Partners auf eigenes Risiko erhöhen, sind wir in der Rolle des Kreditgebers und haben damit ein ähnliches Informationsbedürfnis wie die Kreditinstitute.

Herr Stratmann, was würden Sie sich konkret von Ihren Lieferanten zum Punkt Absatzfinanzierung wünschen?

Stratmann: Im Großen und Ganzen kommen wir klar. Das größte Problem ist für uns die Länge der Zahlungseingänge. Aber wer kann da helfen? Ich weiß es nicht.

Jung: Zum Beipiel Factoring. Kurz noch mal dazu, was hier von der Hersteller- und Distributorenseite gesagt wurde: FSC oder Actebis stehen aufgrund ihrer jeweiligen Konzernzugehörigkeit - mit allen Instrumenten, die im Hintergrund dazugehören - ganz andere Mittel zur Verfügung als einem durchschnittlichen mittelständischen Unternehmen. Dazu gehören der Umgang mit den Kreditversicherern, das Managen von Forderungsausfällen wie Zahlungsziele bestimmen und beim Kunden durchsetzen. Auch was das Prüfen der Kreditwürdigkeit angeht, verfügen Sie über ganz andere Ressourcen als wiederum ein Mittelständler. Und genau deswegen ist Factoring nicht unbedingt eine Lösung für Großkonzerne, wie sie auch hier am Tisch vertreten sind, aber für den Mittelstand.

Welche Rolle wird Factoring langfristig spielen, oder ist es nur eine Modeerscheinung?

Jung: Factoring wird in den kommenden Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das belegen auch unsere Zahlen: Wir verzeichnen derzeit ein Wachstum im hohen zweistelligen Bereich. Das heißt, Factoring nimmt im Gesamtmarkt immer mehr zu. Nicht umsonst drängen immer mehr ausländische Anbieter auf den deutschen Markt.

Herr Rossen, Sie haben das Schlusswort: Wie sieht Ihre Prog-nose für das Gesamtjahr aus - geht’s wieder aufwärts oder weiter abwärts?

Rossen: Der Trend bei der Insolvenzentwicklung wird sicher ungebrochen so weitergehen. Und damit steigen natürlich auch die Forderungsausfälle. Davon wird die IT-Branche genauso betroffen sein wie andere Branchen auch. In kann dazu nur die Parole ausgeben: Augen auf, Vorsicht, so viele Informationen über Geschäftspartner einholen wie möglich, selber für mehr Transparenz sorgen, was das eigene Unternehmen angeht, und Kreditgeschäftsprozesse - so gut es eben geht - absichern.

Facts & Figures

Der hier abgedruckte Roundtable unter dem Titel "Absatzfinanzierung für den Channel - Hersteller und Distributoren in der Verantwortung" fand im Rahmen der "Actebis Open" in Soest statt. An der Gesprächsrunde nahmen folgende Personen teil:

- Klaus Joachim Beinecke, Prokurist der Volksbank Hellweg eG

- Manfred Jung, Prokurist der Heller Bank AG

- Jörg Nieder, Geschäftsführer der Peacock GmbH & Co. KG

- Reinhard Risse, Geschäftsführer der Actebis Computer Deutschland GmbH

- Jörg Rossen, Abteilungsleiter Risikomanagement Verband der Vereine Creditreform e. V.

- Volker Stratmann, Geschäftsführer der Stratmann Datentechnik GmbH

- Stefan Wisst, Leiter Finanzen und Kundenservice bei der Actebis Computer Deutschland GmbH

- Hans-Dieter Wysuwa, Director SMB & Channels Germany bei der Fujitsu Siemens Computers GmbH

- Moderation: Cornelia Hefer, leitende Redakteurin ComputerPartner

Zur Startseite