Blitzstarts und Blamagen

18.01.2001
Viele IT-Unternehmen verschoben ihren Börsengang. Sobald das Börsenklima besser wird, wollen sie wieder antreten. Bis April vorigen Jahres war mit ITNeuemissionen viel Geld zu verdienen. Danach wurde es zunehmend schwieriger.

Das vorerst letzte gute Geschäft machten Aktienzeichner mit Caatoosee, die Ende September zu 21 Euro pro Aktie herauskamen. Der Kurs stieg auf 66 Euro. Ende Dezember stand er bei 46 Euro. Die SAP-SI-Papiere liefen anfangs ebenfalls sehr gut — von 19 auf 53 Euro. Zeitweise kosteten sie nur mehr 17 Euro. Der Kurs der Winter AG (Smartcards) hielt sich zunächst passabel. Die Heiler-Aktien (Soft-ware) wären in einem halbwegs günstigen Börsenklima wahrscheinlich besser gelaufen. Bei Orbis, Brainpower (beide Software) und Syzygy (E-Business) gingen die Anfangsgewinne schneller flöten.

Ärger gab es mit einigen Absagen wie der mit ursprünglich großen Chancen angekündigten Blaxxun Interactive, die Software für die Realisierung virtueller Welten im Internet entwickelt. Die Gesellschaft will erneut antreten und verspricht sich einige Resonanz, sobald die Börsenlage besser wird. Blaxxun stammt aus dem umfangreichen Startup-Portfolio der be-kannten US-Internet-Beteiligungsgesellschaft CMGI. Die Aktien notierten Anfang des Jahres auf 163, derzeit bei zehn Dollar. Zur Internet-Hochphase vor den Börsengängen wurde das CMGI-Portefeuille auf 14 Milliarden Dollar Wert geschätzt, derzeit liegen die meisten Anteile sozusagen auf Eis.

Die deutsche United Internet, früher 1&1, stürzte von 50 auf 5 Euro ab. Zu ihr gehört der mehrfach vergeblich aufgerufene E-Mail-Dienst GMX. Die ehemaligen Wundertüten sind nur mehr Bruchteile des Wertes von vor sechs Monaten wert.

Im ersten Quartal vorigen Jahres lief alles so, wie Anleger es sich wünschen: Am 3. Februar kam beispielsweise die Abit AG, Hersteller von Inkasso-Software, zu 27 Euro pro Aktie heraus. Der erste Börsenkurs war 59 Euro, ein paar Wochen später stand er bei 224 Euro. Aktuell notiert das Papier um zehn Euro, und zwischenzeitlich war zu lesen, dass für das Produkt kein ausreichender Markt vorhanden sei. Inzwischen sind praktisch alle neuen Spezial-Softwerker abgestürzt, so zum Beispiel der Software-Vertrieb Softline, DCI Software, Telesens oder auch Atoss und Intraware.

Mit der Teamwork AG gab es den dritten Insolvenzfall am Neuen Markt, nach Infomatec und Gigabell. Schwer hatten es dieses Jahr auch die Computer-Systemhäuser. M+S Elektronik kamen Ende Februar zu 16 und zogen auf 25 Euro an, jetzt stehen sie bei sechs Euro. Bechtle gingen zu 29 an die Börse und fielen kürzlich unter zehn Euro.

Seit der Vorstand beschlossen hat, Aktien zurückzukaufen, sind die Kurse ein wenig stabiler. Die Deutsche Bank brachte unter anderem Lycos Europe zu 23 Euro pro Aktie heraus, was sich später als überteuert erwies (Kurs aktuell um vier Euro).

Zu den wenigen verbliebenen Gewinnern des ersten und Anfang des zweiten Quartals gehören Chip-Fabrikant Infineon, Biodata (IT-Sicherheit) und Kontron. Als die T-Online-Aktien Ende April kamen - der größte Börsengang am Neuen Markt im vergangenen Jahr -, war die Situation schon ziemlich kritisch. Trotzdem zog der Kurs von 27 auf 47 Euro an, zwischenzeitlich war er zuletzt bis auf zwölf Euro abgesackt.

Im vierten Quartal machte die schwache Tendenz an den Wachstumsbörsen Nasdaq und Neuer Markt praktisch allen Aktionären einen Strich durch die Rechnung. Und im Dezember kam die IPOTätigkeit (IPO = Initial Public Offering = Neuemission) praktisch zum Stillstand. Das Interesse der Aktien-Kundschaft war gleich null, und die Banken wollten sich weitere Blamagen ersparen. Doch zeigen die Beispiele wenigstens, dass für IT-Platzierungen selbst in wackligen Börsenzeiten Chancen bestehen.

Zur Zeit haben die Unternehmen Angst, nach der Erstnotierung unter ihren Ausgabepreis zu fallen. Vor allem wenn die Börse insgesamt schwächelt und sie selbst nicht viel gegen einen Kurssturz tun können. Bisher wurden noch bei jedem Going Public günstige Zahlen und Perspektiven präsentiert oder versprochen. Die Anleger konnten nicht wissen, was ihnen mit den zahlreichen Nieten blühte. "Dramatisch versagt", so Intershop-Chef Stefan Schambach, hätten die Banken. Sie müssten schärfere Kriterien anlegen. Die geloben ihrerseits genaueres Hinschauen.

Das bedeutet: Spätestens nach zwei bis drei Jahren sollen bei den Jungen Gewinne fließen. Bisher war es kein Problem, wenn die IT-Firmenchefs schwarze Zahlen erst nach fünf Jahren einplanten. Grundsätzlich sei jedoch festzuhalten, erklären die Geldinstitute, dass die Bank nicht für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens verantwortlich sei und der Neue Markt weiter eine Veranstaltung mit erheblichem Risikopotenzial bleibe.

Dieses Jahr soll das Klima für IPOs wieder besser werden. An die 300 IT-Neulinge stehen in den Startlöchern, ein Zehntel davon in Deutschland. Angeblich mit gutem Erfolg: Das Thema Börsengang, meinen die Banken, sei immer noch stark in den Köpfen der Anleger verankert. Erstaunlich optimistisch mit bis zu 6.000 oder gar derzeit utopischen 8.000 Punkten beim Nemax-All-Share-Index (Mitte Januar um 2.300) sind einzelne Prognosen für den Neuen Markt. Begründung: Die Gewinnerwar-tungen hätten ins Positive gedreht. (kk)

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