Das Arbeiten von zu Hause aus bietet interessante Perspektiven

12.02.1999
HALLBERGMOOS: Die Zahl der Telearbeiter wächst auch in Deutschland. Welche Chancen sich dadurch für den IT-Handel eröffnen, legt Ulrich Pesch, Vorstandsmitglied im Verband Telearbeit Deutschland eV, dar.

Immer wieder melden sich die Kritiker mit Skepsis an der Ernsthaftigkeit der Telearbeit und mit den mittlerweile stereotypen Bemerkungen zur Vereinsamung telearbeitender Menschen zu Wort. Telearbeit sei ja gar nicht so weit verbreitet, und außerdem ginge es hier sowieso nur um neuen Wein in alten Schläuchen. Das heißt zum Beispiel: Wer bisher im Außendienst mit Handy und Notebook unterwegs war, den integriere man jetzt einfach in die Statistiken zur Verbreitung von Telearbeit, um den Trend künstlich zu unterstützen.

Es ist tatsächlich so: Viele Menschen, die seit Jahren einer Arbeit unter einem anderen "Deckmantel" nachgehen, lassen sich heute als Telearbeiter bezeichnen. Telearbeit ist daher nicht so sehr eine Definition, sondern eher ein Oberbegriff für unterschiedliche Tätigkeiten, die unter dieser Bezeichnung ein Zuhause gefunden haben. Schnitt- oder Teilmengen sind die Tätigkeiten selbst: Außendienstler, Servicetechniker, Angestellte, die alternierend im Büro und zu Hause arbeiten, Selbständige, Freiberufler und Ein-Mann-Firmen, die mit Hilfe modernster Informations- und Kommunikationsmittel und -techniken ihre Aufträge erledigen, vielbeschäftigte, nomadisierende Manager, die mehr unterwegs als im Büro managen und delegieren, Mitarbeiter, die von zu Hause aus die Bestellannahme abwickeln und vielleicht noch die, die in den Telezentren und Satellitenbüros einem Arbeitgeber, der seinen Standort meist in Ballungszentren hat, zuarbeiten.

Telearbeit ist längst den Kinderschuhen entwachsen und mehr als ein Trend geworden. Denn Unternehmen - übrigens jeder Größe und jeder Branche - müssen ihre internen Strukturen im Zuge der "Internetisierung" der Welt nicht nur überdenken, sondern tatsächlich verändern, wenn sie nicht durch deren Dynamik und die damit einhergehenden Konsequenzen überrollt werden wollen.

Zu Beginn der 80er Jahre tauchte der Begriff Telearbeit vereinzelt in Deutschland auf, verlor aber aufgrund der damals nur rudimentär vorhandenen Technik, die unbedingt für eine reibungslose Abwicklung der Telearbeit oder Telekooperation erforderlich ist, rasch an Bedeutung. Hinzu kam die eher noch lokale Bedeutung der Märkte. Erst durch die Bereitstellung relativ preisgünstiger und einfacher zu bedienender Hard- und Software, die Liberalisierung der Telekommunikationswelt, das Internet und schließlich, in wirtschaftlicher Hinsicht, die Aufweichung nationaler Grenzen, erweiterten sich schlagartig die Handlungsspielräume auf den gesamten Globus. Der Begriff "Globalisierung" kennzeichnet deshalb wohl auch am treffendsten das zu Ende gehende Jahrzehnt.

Seit Mitte der 90er Jahre setzte sich verstärkt die Erkenntnis über die sich verändernden Stukturen durch. Dies zeigen auch die Zahlen zum Telearbeitsmarkt, die nichts anderes als den oft beschworenen Paradigmenwechsel widerspiegeln. Während 1994 in der europaweiten Befragung des auf neue Arbeitsformen spezialisierten Consulters Empirica etwa 140.000 Telearbeiter in Deutschland gezählt wurden, sprach die Fraunhofer-Studie Ende 97 von knapp 900.000 heimischen Telearbeitern. Zwei Jahre zuvor prognostizierte der Bericht an den europäischen Rat des damaligen EU-Kommissars Bangemann noch zehn Millionen Telearbeiter in Europa bis zum Jahr 2000.

Und vor ein paar Wochen veröffentlichte Empirica erneut die aktuellsten Zahlen im Rahmen der Ergebnisse einer EU-weiten Untersuchung: Knapp neun Millionen Telearbeiter gebe es derweil in der Europäischen Union, mehr als zwei Millionen davon alleine in Deutschland. Gemessen am Wirtschaftsraum USA, in dem gegenwärtig knapp 20 Millionen Menschen - bei einer jährlichen Steigerungsrate von rund 15 Prozent - als Telecommuter tätig sind, relativiert sich diese Zahl wieder etwas. Aber Europa holt auf und wird die Anzahl der Telearbeiter in den nächsten zehn Jahren vervielfachen.

TELEARBEIT AUF DER ERFOLGSWELLE?

Telearbeit reduziert tatsächlich Kosten, führt zu einer Entlastung der Umwelt durch weniger gefahrene Straßenkilometer und - das ist wohl eines entscheidendsten Argumente für Telearbeit - sie erhöht die Produktivität eines Mitarbeiters um zirka 20 Prozent. Noch höhere Werte - bis zu 65 Prozent - kursieren in Fachkreisen. Und die Krankenstände bei den telearbeitenden Mitarbeitern - auch das ist mittlerweile erwiesen - sinken, was auf die höhere Motivation durch die Schaffung größerer Freiräume für die Mitarbeiter zurückgeführt wird. Doch nicht jeder ist für Telearbeit geeignet - weder der Chef noch der ihm Untergebene. Telearbeit verlangt ein Überdenken liebgewonnener Strukturen, denn die Tätigkeit des Mitarbeiters kann nur noch teilweise direkt kontrolliert werden, und es gehört viel Selbstdisziplin dazu, die neugewonnenen Freiräume nicht zu Spiel- und Gammelplätzen verkommen zu lassen.

Deshalb hat sich in der Praxis die Führung mit Zielvereinbarungen, das Management by Objectives, als probates Werkzeug für Telearbeit bestens bewährt. Grob gesagt heißt das, der telearbeitende Mitarbeiter erhält eine Aufgabe, die er innerhalb eines vorgegebenen Zielrahmens, zum Beispiel Zeit, Menge, Qualität oder alles zusammen, bewerkstelligen muß. Die klassische und wenig aussagefähige Zeiterfassung zur Leistungskontrolle der Mitarbeiter gehört deshalb der Vergangenheit an.

Das betonte auch der diesjährige VTD-Preisträger und Projektleiter Telearbeit bei IBM Deutschland, Werner Zorn, anläßlich seiner Auszeichnung als Telearbeitspionier durch den Verband Telearbeit Deutschland auf der vergangenen Systems. Bei IBM Deutschland, wo heute zirka 5.000 Mitarbeiter telearbeiten, wurde deshalb Anfang des Jahres die Zeiterfassung komplett abgeschafft.

DER IT-HANDEL WIRD PROFITIEREN

Die Einführung von Telearbeit ist je nach Umfang häufig zunächst mit nicht unerheblichen Investitionen verbunden. Dabei geht es unter anderem um die Beschaffung von ITK-Technologie wie ISDN-Equipment, Modems, Telefone, PCs, Router und andere Netzwerkinfrastruktur, geeignete Office-, Datenbank- und Workgroup-Software, Data-Security, Multifunktionsgeräte, aber auch um Büroeinrichtung, also Schränke, Schreibtische, Lampen, Stühle und so weiter. Immer mehr Hersteller haben die Zeichen der Zeit erkannt und sprechen diese Zielgruppe mit speziell auf den Soho- und Telearbeitsmarkt abgestimmten Produkten und Dienstleistungen an. Und das eröffnet dem IT-Handel sowie den Systemintegratoren neue Märkte und - wenn das Portfolio gut darauf abgestimmt ist - zufriedene, treue Kunden. Gut beraten ist dabei der IT-Handel, wenn er mit auf die neuen Arbeitsformen spezialisierten Consulting-Unternehmen kooperiert. Denn der Informationsbedarf in den deutschen Unternehmen ist nach wie vor immens, Lösungen aus einer Hand sind gefragt.

HANDELSUNTERNEHMEN, DIE AUF TELEARBEIT SETZEN

Wenn die Einführung von Telearbeit einmal beschlossene Sache ist, ist auch der Hunger nach Hard- und Software ungebremst. Selbst für Distributoren, Systemintegratoren, VARs und IT-Händler ist diese Arbeitsform eine kostensparende Alternative zur konventionellen Betriebsorganisation. Das beweisen bereits eine Reihe von Handelshäusern und Händlern. So zum Beispiel Conrad Electronic, der seine Bestellannahme teilweise als Telearbeit auslagerte. Bei dem Elektronik-Fachhändler sind derzeit 90 Telearbeiter beschäftigt, von denen sogar ein Drittel in Vollzeit telearbeitet. Die meisten der Vollzeit-Telearbeiter (25) sind in der technischen Kundenhotline beschäftigt. Die zu Hause tätigen Mitarbeiter, mit modernstem Kommunikationsequipment durch Conrad ausgestattet, nehmen so beispielsweise Bestellungen entgegen oder bearbeiten Reklamationen in einer Art verteilter Inbound-Call-Center. Auf die Frage nach ihren Erfahrungen mit den telearbeitenden Mitarbeitern hält sich das Unternehmen allerdings bedeckt, und von Seiten der zuständigen Pressevertreterin herrschte trotz wiederholter Anfragen leider absolute Funkstille.

Auch der auf den Vertrieb von Videokonferenzsystemen, Projektoren und Groupware-Software spezialisierte IT-Händler IPC AG in Freiburg widmet sich seit Jahren dem Thema Telearbeit. Und das gleich auf mehreren Ebenen: Neben dem Vertrieb von telearbeitsrelevanter Hard- und Software bietet das Unternehmen gleichzeitig Schulungen für telearbeitende Mitarbeiter unterschiedlicher Hierarchien an. Jan Peschka, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der IPC AG, setzt die Telearbeiter in vielen Bereichen ein: "Unsere telearbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden gegenwärtig vor allem in den Bereichen Telesupport, Hotline, Telecoaching für Videokonferenz-Erstanwender, Entwicklung und Akquise eingesetzt. In Bezug auf Telearbeit sind unsere Erfahrungen in den genannten Tätigkeitsbereichen sehr gut. Soweit Telearbeiter von zu Hause aus tätig sind, werden die Reaktionszeiten beträchtlich erhöht."

Die Telekom, ebenfalls für ihre herausragenden Leistungen zur Förderung der Telearbeit mit dem diesjährigen VTD-Award ausgezeichnet, richtete mittlerweile rund 250 alternierende und etwa 1.000 mobile Telearbeitsplätze ein. In einem kleinen Call-Center-Verbund führen Telearbeiterinnen die telefonische Verkaufsabwicklung der Telekom-eigenen Produkte durch - für die Kunden unbemerkt zu einem Teil der Arbeitszeit am heimischen Arbeitsplatz.

Laut Eito-Report wächst der Markt von für Telearbeit geeigneter Hardware, also von portablen PCs, LAN-Hardware, mobilen Kommunikationsprodukten und Datenübertragungs-Infrastruktur zirka 15 Prozent in diesem und im nächstem Jahr. Und diese Tendenz wird aller Erwartung nach steigen. Da läßt sich leicht errechnen, welches Potential es für den IT-Handel alleine in diesem Bereich zu bewältigen gibt. (up)

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