Dokumenten-Management-Systeme: Das Papier und der Markt sind geduldig

04.11.1997
MÜNCHEN: Anfang der Achtziger predigten die Hohepriester der EDV das papierlose Büro. Und wie das so ist mit Predigten: Keiner hat so richtig hingehört. Die Papierflut rollt nahezu ungebremst weiter und verursacht immer noch horrende Kosten. Computer Partner hat untersucht wie und unter welchen Voraussetzungen Dokument-Management-Systeme diese Kosten senken können.Sie erinnern sich vielleicht: Dem Amt für Parkverstöße in Chikago entgingen jedes Jahr tausende von Dollars, weil die Strafzettel mit folgender Begründung angefechtet werden konnten: Das Amt könne den Original-Strafzettel nicht mehr vorlegen und also hätte die Ordnungswidrigkeit niemals stattgefunden.

MÜNCHEN: Anfang der Achtziger predigten die Hohepriester der EDV das papierlose Büro. Und wie das so ist mit Predigten: Keiner hat so richtig hingehört. Die Papierflut rollt nahezu ungebremst weiter und verursacht immer noch horrende Kosten. Computer Partner hat untersucht wie und unter welchen Voraussetzungen Dokument-Management-Systeme diese Kosten senken können.Sie erinnern sich vielleicht: Dem Amt für Parkverstöße in Chikago entgingen jedes Jahr tausende von Dollars, weil die Strafzettel mit folgender Begründung angefechtet werden konnten: Das Amt könne den Original-Strafzettel nicht mehr vorlegen und also hätte die Ordnungswidrigkeit niemals stattgefunden.

In der Ex-Automobil- und Al-Bundy-Stadt bewirkte moderne Technologie ein kleines Wunder: Die Implementierung des Document Management Systems (DM-Systeme) ImagePlus von IBM verhalf dem starken Arm des Gesetzes wieder zu seiner vollen Kraft und Parksündern zu ihrer gerechten Strafe.

Wie Streusalz auf der Eislaufbahn hemmt der ständige Wechsel von Trägern für ein und dieselbe Information das Wirtschaftsleben. Klassisches Beispiel sind etwa Transportpapiere und Lieferscheine von LKW-Ladungen: Beim Hersteller werden diese elektronisch erstellt, auf mehr oder weniger übersichtliche und zahlreiche Formulare übertragen, von Zöllnern überprüft, beim Großhändler wieder fakturiert, erneut ausgedruckt und der Sendung an den Einzelhändler beigelegt, der dann wieder fakturiert - und seinem Kunden auch ein wenig Papier mit nach Hause gibt. Der wiederum trägt die Zahl in seine Steuererklärung ein, damit dem Finanzamt auch nicht die Arbeit ausgeht - dort sorgen fleißige Beamte dafür, daß die Steuererklärungen wieder in eine digitale Form kommen.

Wirtschaftlichkeits-Reserven

Das sieht nicht nur so aus wie eine gigantische ABM-Maßnahme, sondern entpuppt sich auch beim näheren hinsehen als solche: Als die amerikanische Kraft Foodservice ein DM-System von FileNet zur Unterstützung der Kreditorenkontenverwaltung implementierte und in das vorhandene Fakturierungssystem einband, soll die Produktivität der Mitarbeiter bei Kundenanrufen um etwa 50 Prozent gestiegen sein.

Die DSA GmbH, ein auf optische Archivierungssysteme spezialisierter Anbieter mit Sitz in Hürth, verspricht in den meisten Fällen mit dem DM-System "Archibald" (vom Tochterunternehmen Informations- und Archivsysteme Development GmbH) eine Amortisierung nach zwölf bis 18 Monaten.

Was sich zunächst wie das übliche Marketing-Geplärre anhört, läßt sich allerdings grob nachrechnen. So bewertete das Nachrichten-Magazin Focus den Aufwand für die Ablage eines Blatts Papier auf 75

Pfennig. Das erneute Auffinden dieses einen Blattes setzte es mit 3,75 Mark an.

Im Gegensatz dazu verursachen die elektronischen Varianten der selben Vorgänge nur Kosten in Höhe von etwa 20 und 75 Pfennig.

Das Unternehmen Paperless Gesellschaft für Dokumenten-Management und elektronische Archivierung mbH in Ransbach-Baumbach schätzt auf Basis von etwa 40 Mark Lohnkosten pro Stunde die Arbeitskosten für die konventionelle Ablage zwischen 60 und 90 Pfennig pro Beleg, während man bei Einsatz des skalierbaren DM-Systems ITA der SER AG zu wesentlich preiswerteren 0,5 Pfennig bei Groß-Archiven und unter 50 Pfennig bei Mini-Archiven ansetzt.

Um dem Zahlengeplänkel noch einen mehr oder weniger realistischen Rahmen zu verpassen, liefert das Marktforschungsunternehmen IDC noch Schätzungen bezüglich der Volumina: zehn bis 15 Prozent der gewerblichen Einkünfte verschwinden in der Erzeugung, Verwaltung und Distribution von Dokumenten. Bis zu 60 Prozent der Arbeitszeit eines mit den entsprechenden Vorgängen befaßten Mitarbeiters gehen für das herkömmliche Dokumenten-Handling drauf.

Und es werden immer mehr Dokumente: Noch 1985 ging man von einer Ver

dopplung der Dokumenten-Zahl in fünf Jahren aus - 1994 lag die Verdopplungsrate bereits bei etwa neun Monaten.

Nehmen Sie Ihre fünf Finger zum Nachrechnen und die üblichen Rendite-Versprechungen von zwischen fünf und 15 Prozent und zählen Sie zusammen: In günstigen Fällen und sicher in der Theorie kann intelligentes Dokumenten-Management das Betriebsergebnis glatt verdoppeln.

Vielseitigkeit ist Trumpf

Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz eines DM-Systems ist allerdings die Erfüllung bestimmter Rahmenbedingungen beziehungsweise Anforderungen an das DM-System. In allererster Linie müssen die Relationen stimmen. Nicht nur die Zahl der anfallenden Belege und Dokumente ist entscheidend, sondern die Art und die Zahl der zu erwartenden Zugriffe darauf.

Ein Musterkunde für ein DM-System wäre etwa ein Direkt-Versender wie Vobis. Vor allem die Hotlines brauchen den Zugriff auf alle Informationen eines Vorgangs, der da verschiedene Bestellvarianten (Fax, Post, Telefon, Internet), Informationen aus dem Warenwirtschaftssystem (Verfügbarkeit, Assemblierung) und Versand umfaßt. Mit diesem Informationsbündel gewappnet kann das Unternehmen jeder Kundenanfrage in kürzester Zeit Herr werden und Fragen wie "Wann bekomm' ich das Teil?"oder "Habe ich da jetzt noch Garantie darauf?" zweifelsfrei beantworten. Im übrigen spart man sich damit auch noch gleich die eine oder andere Rechtsstreitigkeit, weil Unsicherheiten bezüglich der eigenen Rechtslage kaum noch auftreten sollten.

Relativ kleine Unternehmen profitieren hier natürlich weitaus weniger, da hier nicht nur Informationswege meist weitaus kürzer sind, sondern die Masse der Zugriffe nicht stattfindet.

Dokument-Typen

Damit ein DM-System dieses Informationsbündel schnüren kann, muß es vor allem selbst kommunizieren können und unterschiedlichen Dokument-Typen eines gewisse Sensibilität entgegenstellen können.

Auf der Eingabeseite sollten neben dem klassischen Scanner auch Anbindungen an installierte Software möglich sein. Einige DM-Systeme bieten dafür etwa virtuelle Druckertreiber an, die jeden Druckauftrag in Kopie an das DM-System schicken. Weitaus sinnvoller ist jedoch die Erfassung des Original-Dokuments, sofern das möglich ist. Hier unterscheidet man in NCI- und CI-Dokumente: Erstere sind meist grafischer Natur und damit nicht kodiert (Not Coded Information), während letztere in originaler Digital-Form und damit kodiert (Coded Information) vorliegen.

CI-Dokumente zeichnet vor allem aus, daß sie kleiner und Recherchen leichter zugänglich sind. Hinzu kommt, daß die Erfassung von CI-Dokumenten relativ leicht zu automatisieren ist und damit keine zusätzlichen Arbeiten anfallen. NCI-Dokumente hingegen benötigen ein Vielfaches an Speicherplatz, sind per se zunächst nicht recherchierbar und verweigern sich auch jeglicher automatischen Klassifizierung. Handelt es sich wenigstens um Textdokumente, so läßt sich das Problem immerhin durch OCR (Optical Charakter Recognition - Texterkennung) lösen. Dadurch handelt man sich jedoch wieder eine Summe von Problemen ein: OCR ist praktisch nie fehlerfrei. Ein gerne genanntes Beispiel ist etwa der Name "Schmidt", der von OCR-Modulen auch gerne mal als "Schrnidt" erkannt wird. Suchen Sie noch nach einem Herrn "Schmitt", fallen Sie auf die Nase. Jetzt kommt die Güte des Recherche-Systems zum Tragen: Es sollte mindestens fehlertolerant

sein, noch besser aber eine phonetische Suche anbieten. Zudem drängt sich die Forderung nach automatisierbaren Abfragen auf, damit etwa die Bilanzierung in einem Rutsch auf alle verfügbaren Vorgänge zugreifen kann.

Installations-Hürden

In den Entscheidungsprozeß sollte noch eine weitere Überlegung einfließen. Um der Verlegenheit, während einer Übergangszeit sowohl auf konventionelle wie auch auf digitale Dokumente zurückgreifen zu müssen, zu entgehen, muß der vorhandene Datenbestand digitalisiert werden. Hier muß der Lösungsanbieter wenigstens bei mittleren und großen Projekten eine Variante anbieten, die in den laufenden Betrieb einschleusbar ist. Und an diesem Punkt rächt es sich spätestens, wenn sich der Kunde für ein DM-System mit Neigung zu gewissen Sprödig-keiten entschieden hat.

Speichermedien

Auch die Entscheidung für einen bestimmtes Speichermedium kann ihre Tücken haben. Nur einmal beschreibbare Medien (CD-Rs und WORMs) etwa haben ein echtes Problem mit hiesigen Datenschutzbestimmungen, die den Anspruch eines Kunden auf fehlerfreie Speicherung seiner Daten einschließt.

Eventuelle Änderungen an den Daten sind mit beträchtlichem Aufwand verbunden. Magnetische oder Magneto-OptischeMedien sind weit aus unkritischer, wenngleich auch deutlich teurer.

Bei der Abschätzung der benötigten Kapazität sollte man zudem Expansion und die Eigendynamik von Papier im Auge haben. In der Regel müssen oder sollen Daten bis zu zehn Jahre vorhanden sein. Dabei gibt es eine Menge Varianten, angefangen vom CD-Wechsler bis hin zu vernetzten Juke-Boxen, deren sorgfältige Auswahl überflüssige Kosten und Arbeit vermeiden kann.

DM als Informationssysteme

Wo ein DM-System eher als Informationssystem eingesetzt werden soll, kommt noch ein Bündel an Minimalanforderungen dazu: Dokumente bestehen hier nicht mehr zwangsläufig aus Text, sondern auch aus Bildmaterial oder gar Videos.

Im globalen Dorf ist praktisch jedes größere Unternehmen an mehreren Standorten präsent. Sowohl Verkaufsbüros, als auch Fertigungsstätten sind auf eine optimale Informationsversorgung angewiesen. Bild und Ton verweigern sich jedoch prinzipbedingt jeglicher Volltextsuche und müssen daher mit Stichwörtern versehen beziehungsweise geeignet klassifiziert werden und erfordern damit wieder manuelle Eingaben.

Das Amt für Wasserwirtschaft des Ministeriums für Umweltschutz im Bundesland Rheinland-Pfalz mit Sitz in Mainz hat sich etwa für ein Paket von ZyLAB entschieden. Erich Freyer, Abteilungsleiter für Automatische Datenverarbeitung, sieht hier wesentliche Fortschritte für die Arbeit des Landesamtes: "Wo wir früher lange in den Dokumentationen, Akten und auf Karten suchen mußten, kann der Mitarbeiter sich jetzt an seinem Arbeitsplatz alle Informationen anschauen, nur durch das Eintippen von einigen Stichwörtern."

Guidelines für DM-Systeme

DM-Systeme wachsen zunehmend über ihre betriebswirtschaftlichen Aufgaben hinaus und mutieren zur eigentlichen Schnittstelle zwischen der realen Welt und dem Reich der Bits und Bytes.

Um diesem Umstand und den Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit von DM-Systemen gerecht zu werden, gibt es unter den Fittichen des amerikanischen "Dachverbandes" AIIM (Association for Information & Image Management) diverse Bemühungen, die Vielzahl von Anforderungen in Standards zu bündeln.

Anfang 1994 schlossen sich dazu die bereits existierenden Allianzen Shamrock (IBM und Saros) und die DEN (Document Enabled Networking (Novell und Xerox) zur DMA (Document Management Alliance) zusammen. Die von der ANSI (American National Standards Institute) anerkannte AIIM steuert diese Allianz von derzeit über 90 Mitgliedern, die so klangvolle Namen wie Microsoft einschließt.

Die DMA empfiehlt in Grundsatzpapieren (derzeit in der Version 0.9), wie DM-Systeme auszusehen haben. Erklärte Ziele der DMA sind:

- Ein Arbeitsgruppen und Anwendungen umfassender Funktionsumfang, der den Service am Kunden verbessern soll. Dies soll durch besseren Datenzugriff in Netzwerken erreicht werden.

- Durch einen besseren Informationsfluß sollen Mitarbeiter effektiver Entscheidungen treffen können und damit die Qualitätsicherung und Kostenkontrolle positiv beeinflussen können.

- Die Produktivität und das Teamwork soll durch schnellstmögliche Information befördert werden.

- Durch intelligenten Einsatz der Werkzeuge und die Platzersparnisse gegenüber dem Lagern von Dokumenten sollen die Kosten für das Unternehmen reduziert werden.

Weitaus praktischerer Natur ist hingegen die ebenfalls von der AIIM betreute ODMA (Open Document Management API). Sie zählt derzeit etwa 40 Mitglieder und bietet standardisierte Programmier-Schnittstellen an. Die ODMA steht bei Versionsnummer 1.5.

Doch auch wenn der Ansatz zur Standardisierung sicher der richtige ist - letztendlich spielen weder DMA noch ODMA im Moment wesentliche Rollen.

Babylon ist überall

Um der Verlegenheit, während einer Übergangszeit sowohl auf konventionelle wie auch auf digitale Dokumente zurückgreifen zu müsse zu entgehen, muß der vorhandene Datenbestand eventuell in einem Gewaltakt digitalisiert werden.

Letztendlich macht ein Document-Management-System dann Sinn, wenn es sich krakenartig im Intranet verankern läßt und es somit die Gelegenheit hat, nicht nur Teil des Workflows zu werden, sondern diesen mit zu steuern. Das setzt eine Vielzahl von definierten Programmschnittstellen und eine hohe Flexibilität der Software voraus. Teil dieser Anforderungen sind dann etwa

automatische Distribution von Dokumenten oder das Anstoßen von Vorgängen.

Ein echter Überblick über die derzeitigen Marktverhältnisse ist kaum zu leisten.

Alleine in der AIIM sind bereits über 800 internationale Anbieter vertreten. Laut Jamie Popkin, Vizepräsident und Forschungsleiter der Gartner Group, befindet sich "der Markt für die Dokumentabbildverarbeitung mitten in einer Konsolidierungsphase, in der die Großen noch größer werden und die Kleinen schnell wachsen müssen."

Der deutsche Markt hinkt hier allerdings ein wenig hinterher und so ist Dr. Holger Hemling, Vertriebsleiter der Docuvell GmbH in Berlin, der aufrichtigen Meinung: "Der Markt ist noch voll in der Wachstumsphase - hier ist von Konsolidierung noch nichts zu spüren." Der Großteil des Angebots besteht immer noch aus weitestgehend proprietären Lösungen.

Der Griff zum richtigen Document Management System setzt eine genaue Kenntnis der innerbetrieblichen Abläufe, eine ordentliche Beratung und vor allem eine sorgfältige Auswahl der Software voraus. (gr)

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