Ein Vorbild tritt ab: Sun-Chef Helmut Krings im ComputerPartner-Abschiedsinterview

05.07.2001
Helmut Krings ist in der deutschen IT-Branche eine Ausnahmeerscheinung. Zumindest in Bezug auf die Dauer seiner Amtszeit: 17 Jahre Geschäftsführer bei ein und demselben Hersteller, das ist einmalig. In dieser Zeit entwickelte sich Sun Deutschland von der One-Man-Show zu einem Riesen mit 1.800 Mitarbeitern und zwei Milliarden Mark Umsatz. Ende Juni übergab Krings das Ruder an seinen Nachfolger Helmut Wilke. ComputerPartner-Chefredakteur Damian Sicking unterhielt sich mit dem frischgebackenen Pensionär.

Herr Krings, 17 Jahre als Geschäftsführer eines IT-Herstellers, wie überlebt man so etwas?

Krings: Dafür braucht man drei Dinge: viel Spaß an dem, was man tun will, harte Arbeit und zugegebenermaßen auch ein wenig Glück. Ohne das, glaube ich, hält man es nicht durch. Und in meinem Falle wäre diese lange Verweildauer ohne eine einigermaßen erfolgreiche Mutterfirma wahrscheinlich auch nicht zu machen gewesen.

Unter Ihrer Ägide hat sich Sun ja sehr erfolgreich entwickelt. Sie waren Gründungsgeschäftsführer und, wie ich glaube, der erste Mitarbeiter.

Krings: Ja, ich war Gründungsgeschäftsführer mit null Mitarbeitern. Der Anfang war: kein Büro, kein Mitarbeiter, keine Telefonnummer, kein gar nichts.

Heute, 17 Jahre später, steht Sun in Deutschland mit rund 1.800 Mitarbeitern und 2 Milliarden Mark Umsatz da. Sind Sie ein Held?

Krings: Wenn man vermessen ist, dann könnte man denken: Schau mal, was ich da geleistet habe! Aber ich glaube, das wäre etwas kurzsichtig. Der Erfolg von Sun in Deutschland ist nicht die Leistung einer Einzelperson. Die Leistung des Geschäftsführers liegt vielleicht darin, dass es ihm gelungen ist, rechtzeitig ein schlagkräftiges, stabiles Team um sich zu scharen. Denn nur durch die Arbeit dieser Teammitglieder ist ein solcher Erfolg möglich.

Man muss eine extreme Lernbereitschaft mitbringen, weil sich das Geschäft, in dem wir tätig waren und sind, wahnsinnig gewandelt hat im Laufe der Jahre. Das bringt mit sich, dass man die Organisation entsprechend anpassen muss. Das kann man aber nur, wenn man sich selbst verändert, selbst anpasst. Und darin liegt vielleicht das größte Geschick. Auch die Zusammenarbeit mit Amerikanern erfordert ein bestimmtes Geschick. Die Leute haben nicht sehr viel Geduld, haben sehr schnell eine vorgefasste Meinung. Sich bei wechselnden Chefs in den USA so lange zu halten, das würde ich schon als eine besondere Qualifikation herausstreichen wollen.

Gibt es eine Sache, von der Sie sagen, das habe ich richtig toll gemacht , und eine andere Sache, wo Sie gerne die Uhr zurückdrehen würden?

Krings: Die größte Leistung von Sun besteht meiner Überzeugung nach darin, dass wir uns erfolgreich vom reinen Hersteller zum strategischen Partner unserer Kunden entwickelt haben. Das impliziert ja ein Fülle von Maßnahmen, von der permanenten Fortbildung der Mitarbeiter bis hin zu organisatorischen Reorganisationen. Also wir haben es geschafft, immer neue Märkte zu erobern, und darauf darf man stolz sein.

Was hat nicht funktioniert? Ich glaube, wir haben uns keine wirklich großen Flops geleistet. Gelegentlich hätte man einfach konsequenter sein müssen, vor allem im Bereich Personal. Dann hätte man dem Unternehmen vielleicht ein paar Probleme erspart. Aber sonst, muss ich sagen, keine schweren Vorwürfe, nichts, wo ich sagen würde, das war völliger Mist.

In welchem Zustand übergeben Sie Sun Deutschland an Ihren Nachfolger?

Krings: Als ich den Entschluss gefasst und ihn meinem Chef mitgeteilt habe - das war vor ungefähr einem Jahr, da hätte ich die Frage so beantwortet: Sun Deutschland ist in einem Super-Zustand, wir sind in einem Wachstumsboom sondergleichen, das Geschäft läuft sehr, sehr gut. Leider hat mich da die Wirklichkeit überholt. Das Geschäft läuft nicht schlecht, aber wir haben natürlich im Moment eine deutlich schwierigere Situation, in der man sich auch intern gewisse Einschränkungen auferlegen muss, einfach um die Kosten in eine sinnvolle Relation zum Umsatz zu setzen. In dem Sinn würde ich sagen: Ich habe das Feld recht gut bestellt und übergebe den Acker leider in einer Periode mit relativ geringem Niederschlag.

Warum haben Sie als Nachfolger mit Herrn Dr. Wilke jemanden von außen geholt? Gab es keinen fähigen Nachfolger in der eigenen Organisation, oder hätte sich nicht frühzeitig jemand aufbauen lassen können?

Krings: Wir haben wahrscheinlich aus der Hektik der Ereignisse heraus nicht wirklich frühzeitig Mit-arbeiter auf die General-Management-Rolle vorbereitet oder sie dahin entwickelt. Deshalb gab es nicht den Kandidaten, der auch schon einmal in einem kleineren Bereich General-Manager spielen konnte. Insofern könnte man sagen, dass das ein Versäumnis war.

Anderes Thema: Es gab ja bei Ihnen auch eine Zeit vor Sun. Sie sind seit 32 Jahren in der Branche tätig. Was war für Sie die größte technische Entwicklung?

Krings: Ich denke, die größte technische Entwicklung war der Mik-roprozessor. Das Aufkommen des Mikroprozessors im PC-Umfeld Anfang der achtziger Jahre hat zu einem gewaltigen Wandel geführt. Der Rechner auf dem Tisch, das war eine völlig neue Form von Computing. Für mich ist das eigentlich nur vergleichbar mit dem, was wir jetzt in den jüngsten Jahren mit dem Internet erlebt haben.

Was war der größte Flop?

Krings: Vielleicht der Net-PC vor ein paar Jahren. Von der Vision her war da schon was dran, nur die Produkte sind zu dem Zeitpunkt, als man die Ersten auf den Markt brachte, nicht auf breite Resonanz gestoßen. Man kennt das ja: Oft brauchen technisch sinnvolle und richtige Dinge zur Marktdurchsetzung ein wenig länger, als die Propheten das zunächst wahrhaben wollen.

Wie sehen Sie die Entwicklung auf der Vertriebsseite - welche Rolle werden der Vertriebspartner, das Systemhaus, der Händler, der VAR spielen? Was ist mit E-Commerce, was mit dem Direktvertrieb der Hersteller?

Krings: Viele Fragen, auf die ich kurz eingehen möchte. Auf der Vertriebsseite sehe ich, dass sich die Anbieter derzeit in zwei Lager teilen. Die einen versuchen, für die Kunden der allumfassende Generalunternehmer zu werden. Die anderen legen sich bewusst Beschränkungen auf. Beide Lager haben eine unterschiedliche Partnerstrategie. Die einen drängen die Partner mehr und mehr an den Rand oder verweisen ihn auf wirkliche Nischen, in die sie nicht hineinwollen, aber das Gros des Geschäfts werden sie selbst machen wollen.

Auf der anderen Seite gibt es Anbieter, welche die Partner als die wirkliche Value-Add-Komponente sehen und brauchen, um dem Kunden eine Gesamtlösung zu bieten. In diese Kategorie fällt auch unser Haus. Gelegentlich kommt dann die Bemerkung, dass wir eine Professional-Service-Organisation haben. Ich kann dazu immer wieder nur betonen, dass deren Aufgabe darin besteht, die Plattform, auf der unser Partner mit der eigentlichen Lösung aufsetzt, so homogen wie möglich zu machen, damit dieser nicht in die Tiefen unserer Technik einsteigen muss. Unsere Professional-Service-Organisation ist nicht der Lösungsanbieter.

Mehr als zwei Drittel unseres Geschäftes wickeln wir heute über Partner ab, und daran werden wir auch festhalten. Wir brauchen Partner, aber wir brauchen Partner mit einem klaren Value-Add. Wir brauchen keine Händler, also Leute, welche die Ware weiterschieben, und wir brauchen auch keine Distributoren. Wir haben zwar auch teilweise ein zweistufiges Partnerkonzept, aber wir nennen das, was bei anderen Distributor heißt, Channel-Development-Partner. Das ist jemand, der einen Rundum-Service für die kleinen Partner bietet.

Was ist mit E-Commerce? Ich glaube, E-Commerce wird dazugehören, aber nicht als eine Komponente, mit der ich jetzt die bisherigen Partner an die Wand spiele, indem ich sie umgehe. Ich kann selbstverständlich nicht ausschließen, dass wir eines Tages auch Commodity-Produkte haben werden. Dann muss man sich überlegen, ob man dafür eine andere Partnerorganisation braucht oder ob man diese Produkte im Direktvertrieb vermarkten will. Aber noch haben wir solche Produkte nicht, demnach stellte sich die Frage auch nicht.

Stichwort Direktvertrieb: Wir sehen die Aufgabe unseres Vertriebs vor allem darin, den Partner zu betreuen. Unser Direktvertrieb hat nicht notwendigerweise die Aufgabe, unser Produkt direkt zu verkaufen. Vielmehr besteht seine Aufgabe darin, die Nachfrage nach dem Sun-Produkt beim Endkunden zu generieren, unabhängig davon, über wen der Endkunde dann zu guter Letzt die Lösung bezieht - direkt von uns oder über einen Partner.

Ist das ein Modell für den Markt oder nur für Sun?

Krings: Ich tue mich schwer, dem Markt so etwas vorzuschreiben. Ich glaube aber, dass der eine oder andere Anbieter gut beraten wäre, ein klares und konstantes Partnerkonzept zu erarbeiten. Sehr viele Unternehmen sind sich nicht im Klaren darüber, welche Strategie sie eigentlich verfolgen wollen. Mal werden die Partner hochgelobt, dann versucht man es mal wieder selbst, oder man sagt sogar, jetzt haben wir den Stein der Weisen gefunden, wir brauchen Läden in der Innenstadt. Dann bedauert man das außerordentlich, feuert typischerweise den Mann, der die Idee hatte, und macht wieder was anderes.

Welche Unternehmen, die derzeit am Markt agieren, sind am besten für die Zukunft aufgestellt?

Krings: Ich glaube, all die Unternehmen, die ein klares Geschäftsmodell verfolgen und ein Endziel haben. Ich stelle zum Beispiel fest, dass viele Unternehmen noch immer zwischen einem Hersteller und einem Integrator oszillieren. Da wird man, glaube ich, irgendwann ein klares Modell haben müssen.

Noch einmal zurück zur Person Helmut Krings: Sie geben nun nach 17 Jahren das Ruder in andere Hände. Welche Gefühle und Emotionen haben Sie dabei: Freude, Trauer, Wehmut?

Krings: Ich muss sagen, dieser Abschied ist mit gemischten Gefühlen verbunden. Auf der einen Seite entspricht es einem lang gehegten Wunsch, der auf meiner persönlichen Lebensplanung basiert. Auf der anderen Seite ist es ja so, dass die 17 Jahre nicht nur von viel Arbeit geprägt waren, sondern auch von viel Erfolg und damit von viel Spaß und beruflicher Genugtuung, und diese Genugtuung muss man sich natürlich anschließend woanders suchen. Und da man noch nicht ganz genau weiß, wie das so im Einzelnen sein wird, ist damit eine gewisse Unsicherheit verbunden.

Was werden Sie denn in Ihrer Post-Sun-Ära tun?

Krings: Ich habe zurzeit eigentlich nur eine Vorstellung für die nächs-ten drei bis fünf Jahre. Ich möchte zum einen natürlich die Beziehung zur Branche, die mich zeitlebens interessiert hat, nicht ganz aufgeben. Ich werde also nicht Ökobauer oder so etwas, sondern möchte die Beziehung zur Branche aufrecht erhalten durch ein par Aufsichtsratmandate, von denen ich bereits einige innehabe. Ganz aktuell habe ich mich entschieden, bei der Kontron AG den Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen.

Die andere Seite ist dann mehr eine private. Meine Frau und ich sind kulturellen Dingen recht zugetan, also Musik und Theater, und das war natürlich ein Thema, das über lange Jahre arg zu kurz gekommen ist, ganz einfach, weil ich zumindest in dem Punkt kein verlässlicher Ehepartner war. Die Frau steht an für die Karten, beschafft sie, und ich verrate ihr dann einen Tag vor der Vorstellung, dass ich leider verhindert bin. Das darf man nicht allzu oft machen, deshalb haben wir das auch irgendwann sein lassen. Aber das möchten wir nun wieder aufleben lassen.

Und ich bin auch jemand, der sehr gerne draußen in der Natur ist. Das beginnt im eigenen Garten, der etwas größer ist, wo es immer was zu tun gibt. Ich gehe auch sehr gerne in die Berge, und seit einigen Jahren spiele ich auch Golf, leider nicht sehr gut, und das ärgert mich. Ich habe mir zwar sagen lassen, auch wenn ich besser spielen würde, würde ich mich ärgern, aber das Risiko gehe ich ein. Hauptproblem beim Golfspiel war bisher, dass ich die wenige Zeit, die ich hatte, zum Spielen benutzt habe statt zum Üben. Jetzt möchte ich ein paar Stunden für das Üben abzweigen - mal sehen, ob es was nutzt.

Wird man Helmut Krings bei den verschiedenen Veranstaltungen, Kongressen, Messen noch sehen?

Krings: Ich werde schon versuchen, hier und da teilzunehmen. Ob ich eine aktive Rolle übernehmen werde, glaube ich eher weniger. Ob jemand hier eine aktive Rolle spielt, hängt ja gar nicht von der Person ab, sondern vom Amt, das er innehat. Und da ich dieses Amt nicht mehr bekleide, werden sich die Relationen etwas verschieben.

www.sun.de

Zur Startseite