Eine Rarität mit Steinzeit-Internet

02.03.2000
Die Illusion aus der Werbung: Ein Geschäftsmann verliert beim Steckenbleiben im Aufzug nicht die Nerven, sondern bestellt sich per WAP-Handy einfach eine Pizza. Die Realität: Mit den derzeitigen WAP-Diensten wäre der Mann vor der Lieferung längst verhungert.

Eines der ersten Endgeräte für das WAP-Surfen - das "Nokia 7110" - war groß angekündigt und heiß ersehnt. Und in der Tat erweist sich das Gerät als gutes Handy, das zum Beispiel die Worterkennung T9 beherrscht. Diese Technologie wurde von Nokia bereits mit dem 3210 eingeführt und erleichtert vor allem das Versenden von Kurzmitteilungen. Man muss nur mehr einmal auf die Tasten drücken, das Handy kombiniert die Buchstabenfolge und ermittelt das wahrscheinlichste Wort daraus. Zielgruppe des Nokia 7110 sind Geschäftsleute, die ihr Handy nicht nur zum Telefonieren benutzen, sondern auch zum Organisieren. So ist eine Kalenderfunktion ebenso enthalten wie die Möglichkeit, sich Notizen zu machen. Das eingebaute Infrarot-Modem gewährleistet den Datenaustausch mit dem Rechner. Das Telefonbuch des 7110 kann 1.000 plus 125 Rufnummern speichern, die in Anrufergruppen sortiert werden können. Eine Schwachstelle des Gerätes dürfte allerdings die Klappe zum Herausschieben sein. In der Klappe ist das Mikrofon verankert, und die Schiebekontakte führen schon bei dem Neugerät zu Knackgeräuschen während des Gespräches. Da ein Handy durchaus auch einmal herunterfällt, sind Störgeräusche vorprogrammiert.

WAP noch in den Kinderschuhen

Das eigentliche Alleinstellungsmerkmal des Nokia 7110 allerdings ist WAP. Und diese Technologie ist in der Praxis noch nicht ausgereift. Das Handy allein ist nämlich noch nicht die Gewähr, dass man sofort im Internet surfen kann. Nicht jede Internet-Seite lässt sich mit WAP aufrufen. Dazu muss die Seite im WMF-Format (Wireless Markup Language) abgelegt sein, und dies erfüllen bislang nur ein paar ausgewählte Adressen.

Im Moment gibt es vier Dienste-Angebote: D1, D2, Viag Interkom und E Plus. Bis auf Viag Interkom sind die WAP-Angebote auf die eigenen Kunden der jeweiligen Anbieter beschränkt. Schade eigentlich, denn das 7110 bietet Platz für fünf WAP-Dienste.

Bevor der frischgebackene 7110-Besitzer jedoch surfen kann, muss erst einmal ein sogenanntes Protokoll installiert werden. Dies bekommt man vom jeweiligen Anbieter, was nicht ganz einfach ist, denn das Handbuch zum Handy verliert darüber kaum ein Wort. Hat man die richtige Nummer aber erst einmal herausgefunden, geht alles ganz einfach. Der WAP-Anbieter schickt eine SMS, und das Handy übernimmt das Protokoll per Knopfdruck.

Im Moment ist WAP noch ein reines Endkundengeschäft. Die Software- und Systemhäuser sehen noch keinen Ansatzpunkt, mit WAP in irgendeiner Weise Zusatzgeschäft zu generieren. "Wir haben uns ein bisschen mit WAP beschäftigt, aber ich sehe da für uns noch keine Möglichkeit. Das Ganze ist sehr online-lastig. Ob das für uns als Software-Haus Sinn macht, weiß ich noch nicht", winkt Wolfram Herzog, Geschäftsführer der Yellow Computing Systeme, ab.

Sorry: Handy abgestürzt

Kein Wunder: Die Dienste überzeugen derzeit alle noch nicht. Die Nachrichten kommen im SMS-Outfit, nur eben etwas länger als 160 Zeichen. Der Clou: Mit WAP können jetzt auch Handys abstürzen. Vorbei sind die Zeiten, als man in bester Scott-McNealy-Manier ein Telefon bootete, "indem man den Hörer abnimmt". Bei den ersten WAP-Gehversuchen quittierte das 7110 mehrere Male den Dienst und ließ sich erst nach erneutem Einsetzen des Akkus wieder starten. Verursacher des Handy-Crashs ist die integrierte Software, die im Testgerät mit der Version 4.70 präsent war. Mit der aktuellsten Version - Version 4.73 - sollen solche Aussetzer angeblich nicht mehr vorkommen. Dennoch ist ein Absturz ärgerlich, denn man ist, sollte man den Crash nicht sofort bemerken, nicht mehr erreichbar.

Alle Anbieter verlangen im Moment einen Minutenpreis von 39 Pfennig. Auch wenn das Handy nicht die ganze Zeit "online" ist und sich immer wieder neu einwählt, kommen schnell einige Minuten zusammen. Dies wiederum wird die Telefonanbieter freuen, denn das könnte in nächster Zeit für sie zu einem - wenn auch temporären - Geldsegen führen.

Das Informationsangebot der WAP-Dienste reicht von den aktuellen Nachrichten über Börsenkurse bis hin zum TV- und Kinoprogramm und zum Horoskop. Sinnvoll sind Dienste wie Fahrplanauskunft, Flugpläne oder Verkehrsinfos (siehe Kasten).

Immer noch eine Rarität

Das Nokia 7110 kostet derzeit ohne Karte rund 800 Mark. Mit Kartenvertrag ist es für rund 400 Mark zu haben. Die wichtigste Voraussetzung für die Karriere des Nokia-Lieblings wäre jedoch, dass der Hersteller endlich genügend Stückzahlen liefern kann. Bislang können nur die Nokia-Service-Center einige Stück ausliefern. Fachhändler - auch solche, die auf der Website der Finnen aufgeführt sind - sitzen auf dem Trockenen. Auf Anfragen ist die Antwort immer die gleiche: "Das kann sich morgen ändern, es kann aber auch noch Monate dauern." Ein Fachhändler aus Bayern schien die Hoffnung vollends verloren zu haben. "Ich glaube nicht, dass es das Gerät vor April in ausreichender Stückzahl gibt. Und ich werde mir auch keinen großen Bestand mehr auf Lager legen, denn die angeblich so große Nachfrage, die momentan vorherrscht, ist relativ. Die Kunden rufen alle Händler durch, ist ja klar. Und bei jedem laufen sie dann als potenzieller Käufer. Das ist Illusion." Aus dem Hause Nokia hieß es, die Nokia-Service-Center seien zuerst beliefert worden, und zwar in großer Stückzahl. "Wahrscheinlich war die Nachfrage dort aber so groß, dass die Service-Center keine Geräte mehr an die anderen weiterverkaufen konnten. Aber dies dürfte bereits gelöst sein", erklärt Nina Lenders, Sprecherin von Nokia. Das ist auch die Meinung von Herzog. "Die Nachfrage ist weltweit riesig. Nokia kann gar nicht so schnell löten", bemerkt er lapidar.

Das Gerät könnte sich tatsächlich zu dem Renner entwickeln, als den Nokia selbst das Gerät angekündigt hat. Allerdings nur, wenn die WAP-Dienste in kürzester Zeit mehr Sinn machen, die Hardware-Hersteller sich eine Lösung für die schlechte Display-Qualität einfallen lassen und die Lieferprobleme in den Griff bekommen. (gn)

<b>Kurzgefasst</b>

Nokia 7110

Produktgruppe: Mobiltelefon

Zielgruppe: Geschäftsleute

Verfügbarkeit: in kleinen Stückzahlen sofort

Preis: zirka 800 Mark ohne Vertrag/400 Mark mit Kartenvertrag

Bezugsquellen: Nokia-Service-Center

Verkaufsargumente: Durch die WAP-Fähigkeit kann das 7110 auf das Internet zugreifen.

hohe Speicherkapazität des Telefonbuchs, angenehme Handhabung, Kalender- und Notizfunktion, Infrarot-Schnittstelle

ComputerPartner-Meinung: Das WAP-Handy wäre ein Renner, wenn die WAP-Dienste schon ausgereifter wären und wenn es denn endlich in ausreichender Stückzahl verfügbar wäre. Außerdem muss die Software stabiler sein. Die Windows-geplagten Verbraucher haben sicherlich nicht auch noch Bedarf an abstürzenden Mobiltelefonen.

Infos:

www.nokia.de

www.d2mannesmann.de

www.t-mobil.de

www.eplus.de

www.viaginterkom.de

Die ersten Angebote

TD1 T-Online

Zur Konfiguration von D1 WAP schickt man eine (kostenlose) SMS mit dem Text "Nokiaconfig7110" an die Nummer 23 23. Der Dienst kann nur von D1-Kunden benutzt werden.

Zu den Partnern von D1 gehören SAT1 ran Fußball, DM-Online, Focus-Online oder das "Handelsblatt". Sie bieten Services wie Wirtschaftsmeldungen, Horoskop oder Sportmeldungen.

D2-WAP

Die Konfiguration erfolgt über die Nummer 01 72/22 90 01 01. Die Daten kommen dann per SMS direkt auf das Handy. Die Dienste können nur mit einer D2-Karte genutzt werden. Dazu gehören unter anderem Infos zu Bahnverbindungen, ADAC oder eine Telefonauskunft. Die Nachrichten kommen von Yahoo, n-tv, der Tagesschau oder SAT.1

Viag Interkom

Dieser WAP-Dienst ist der einzige, der auch mit Fremdkarten genutzt werden kann. Einziger Unterschied: Man muss sich die Daten aus dem Internet selbst herauslesen (siehe Adresse). Zum Informationsangebot gehören zum Beispiel Nachrichten von der "Süddeutschen Zeitung", von Heute und n-tv, Sportmeldungen von Eurosport oder der Service vom ADAC.

E-Plus

Hier gibt es viele regionale Informationsquellen wie die Szene Berlin, die Flugdaten von Köln und Düsseldorf. Außerdem arbeitet E-Plus mit dem "Handelsblatt" zusammen, informiert über das Wetter, Kino und TV. Man erreicht den Dienst über die E-Plus-Nummer 12 39 27.

Preise:

Alle Dienste kosten derzeit 39 Pfennig pro Online-Minute. (gn)

Zur Startseite