Im Internet gibt es keine Loyalität

25.10.2001
Hören Sie nicht auf die Stimmen, wenn Ihnen Anbieter von CRM-Lösungen vollmundig dauerhafte Kundenbindungen versprechen. Denn gerade im Internet wollen sich Kunden so gar nicht recht binden lassen.

Gerade in Bezug auf die vielbeschworene Kundenloyalität kursiert im Internet eine ganze Reihe widersprüchlicher, aber populärer Irrtümer. Mit ihnen räumt Dirk Ploss, Inhaber des Hamburger Consultant-Unterneh-mens Loyality Management & Communications GmbH, in seinem Buch "Das Loyalitäts-Netzwerk. Wertschöpfung für einie neue Wirtschaft" auf.

Viele sagen, es gibt keine Loyalität im Internet. Irrtum. Natürlich müsste es eigentlich im E-Commerce ungleich schwieriger sein, eine echte Kundenbindung aufzubauen. Der nächste Anbieter ist nur einen Mausklick weit entfernt (und damit im Regelfall deutlich näher am Warenkorb), und die weltweite Verfügbarkeit von Daten rund um die Uhr gestattet Preis- und Leistungsvergleiche in Sekundenschnelle.

Hinzu kommt, dass eine der wichtigsten Bindungsmöglichkeiten der klassischen Unternehmen - der Aufbau einer persönlichen Beziehung zwischen Mitarbeitern und Kunden nämlich - im Internet schon rein technisch gesehen schwieriger, wenn nicht gar unmöglich ist. Auch der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern stellt eine Hürde dar - da sich zu viele Unternehmen um zu wenige Fachkräfte streiten, herrscht in beinahe allen Unternehmen trotz Stock Options eine schier unglaublich hohe Mitarbeiterfluktuation.

Das eigentliche Problem ist jedoch ein anderes: das kurzfristige Denken. Die meisten im ECommerce tätigen Unternehmen halten ausschließlich ihren Marktanteil für die wichtigste betriebswirtschaftliche Kennzahl. Die horrenden Verluste, die so generiert werden, werden scheinbar ohnmächtig hingenommen, solange die spekulativen Aussichten groß genug sind.

So kommt es, dass beinahe gedankenlos in die Gewinnung neuer Kunden investiert wird, und dass die Kosten je gewonnenem Kunden geradezu explosionsartig wachsen und in einem kaum mehr vernünftigen Verhältnis zum Umsatz oder gar Ertrag stehen. Umsatzverdoppelung bei einer gleichzeiti-gen Vervierfachung der Verluste scheint im E-Commerce gang und gäbe zu sein.

Doch nur, weil sich kaum ein Unternehmen ernsthaft darum zu bemühen scheint, die richtigen Kunden zu selektieren und zu halten, heißt das noch nicht, dass es im Internet keine Kundenloyalität gibt. Einer Untersuchung zufolge zählen etwa 19 Prozent der Online-Shopper zu den so genannten "Brand Loyalists". Diese Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass sie immer wieder bei dem Lieferanten einkauft, von dem sie zum ersten Mal zufrieden stellend bedient wurde. Sie ist wenig preissensibel und zeichnet sich durch keine allzu hohe Wechselbereitschaft aus. Gerade die technischen Möglichkeiten des Internet und die Konzentration nahezu aller Marktteilnehmer auf Kundengewinnung eröffnen cleveren Unternehmen große Möglichkeiten zur Kundenbindung und zu überragender Wertschaffung.

Beispiel Amazon.com

Durch Affiliate-Programme, schnelle und kostenfreie Lieferung und ein sehr großes Sortiment, verknüpft mit den technischen Finessen der personalisierten Einkaufsvorschlagsliste und der extreme zeitsparenden One-Click-Bestellung (nach dem Erstkauf "erkennt" das System einen wiederkehrenden Kunden, begrüßt ihn persönlich und lässt ihn jeden Artikel mit einem einzigen Mausklick, ohne jegliche weitere Tätigkeit oder Dateneingabe, bestellen) schafft es das Unternehmen, einen überragenden Wert zu liefern. Mit Erfolg: Amazon.com hat die größte Konversionsrate (Besucher zu Käufern) aller im E-Commerce aktiven Unternehmen (Quelle: Iconocat).

Auch wenn ich (Gott sei Dank!) kein Rechtsanwalt bin und in diesem Buch keine Rechtsberatung leisten darf, muss ich doch an dieser Stelle auf eines hinweisen: Das Sammeln und Auswerten personenbezogener Daten ist in Deutschland nach dem Datenschutzgesetz (BDSG) grundsätzlich verboten, es sei denn, der Kunde stimmt diesem Vorgehen ausdrücklich zu.

Optimale Voraussetzungen

Die Voraussetzungen für Kundenbindung und Kundenbindungssys-teme sind im E-Commerce nahezu optimal. Was im stationären Handel zum Beispiel nur über Umwege erreichbar ist, nämlich die Identifikation der Kunden und das Sammeln ihrer Daten und Einkaufspräferenzen sowie das Verfolgen ihrer Handlungsmuster, geschieht im Internet automatisch. Richtig angewendet, können diese Daten ein sehr wertvoller Verbündeter im Kampf um die ersten Plätze im E-Commerce sein. Auch sind die extrem kostengünstigen Möglichkeiten, mit den Kunden in einen intensiven Dialog via E-Mail zu treten, ein riesengroßer Vorteil gegenüber stationären Handelskonzepten.

Wachstum durch Loyalität

Für viele E-Commerce-Unternehmen wird es von entscheidender Wichtigkeit sein, jetzt in Kundenbindung und Loyalität zu investieren. Natürlich ist es eine Doppel-belastung, zeitgleich den Markt-anteil im Verteilungskampf zu erhöhen und die bestehenden Kunden bei der Stange zu halten - doch gerade der rechtzeitige Aufbau intensiver und langfristiger Kundenbeziehungen kann und wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden.

Das lässt sich am einfachsten mit dem so genannten "Eimer-Exempel" illustrieren: Stellen Sie sich Ihr Unternehmen als Eimer vor - als einen Eimer, der ein Loch hat und aus dem permanent Kundenströme hinausfließen. Gleichzeitig sorgen Sie für neue Kunden, gießen also von oben nach. Es ist ganz klar: Je kleiner das Loch im Eimer, desto größer der absolute Zuwachs an Kunden und damit auch das Marktanteilswachstum.

Leider scheint es jedoch so zu sein, dass diese einfache Grundrechnung nicht wirklich fruchtet. Immer wieder sitze ich abends staunend vor dem Fernseher und darf miterleben, wie Millionenbeträge mit unsinniger Mediawerbung verschwendet werden. Da laufen 90- und 120-Sekunden-Spots mit teuren Prominenten-Testimonials, aufgenommen und in Szene gesetzt von den angesagtesten Regisseuren, mit unglaublichem Aufwand inszeniert - und das vollkommen unabhängig davon, ob das dahinter stehende Produkt überhaupt fertig oder gar ausgereift ist.

Vielleicht bin ich einfach zu konservativ, aber bis zum großen Boom der Dotcom-Werbung habe ich "AIDA" (Attention, Interest, Desire, Action) immer für sehr erfolgreich gehalten. Nun ja, die Internetfirmen werden vielleicht ihre Gründe haben, sich allein auf das erste A zu konzentrieren. Ob sie damit Erfolg haben werden, wage ich jedoch zu bezweifeln.

Von den strategischen Grundlagen her funktioniert Kundenbindung im Internet (oder konkreter: im World Wide Web) genau so wie in der realen Welt. Der Aufbau von

-hoher Kundenzufriedenheit,

-echten Begeisterungsfaktoren

und

-einer persönlichen Beziehung zwischen Anbieter und Kunde

führen zu einer starken Loyalität gegenüber der Online-Marke. Natürlich kommen zum Teil andere Instrumente zum Einsatz, und gewisse Rahmenbedingungen sind schlichtweg ungünstiger als in der Offline-Welt. Doch können diese Nachteile durchaus kompensiert werden, wie erfolgreiche Dotcoms beweisen.

Der Autor Dirk Ploss ist seit Januar 2000 Geschäftsführer bei Loyalty Consulting Hamburg.

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