Immer wenn's nicht läuft, wird der Mittelstand entdeckt

27.02.2003
Seit Ende der 90er-Jahre bescheren Privatkunden den IT-Anbietern die notwendigen Stückzahlen und die Königsklasse Großkunden das begehrte Prestige. Nun gerät der bislang eher zurückhaltende Mittelstand (wieder einmal) in den Fokus der Branche als Erfolg versprechender Absatzmarkt. Techconsult nimmt das aktuelle Potenzial dieser Kundengruppe unter die Lupe.

Lange Zeit vernachlässigt, jetzt begehrt: Der Mittelstand wird derzeit von jedem IT-Anbieter aufs Heftigste beworben. Wieder einmal - denn immer, wenn die IT-Branche eine Flaute zu verkraften hatte, wurde der Mittelstand (neu-)entdeckt. Vor nicht allzu langer Zeit schien dieses Kundensegment sehr unattraktiv zu sein. Es stand für geringe Budgets, zurückhaltende Investitionsbereitschaft und gleichzeitig überproportional hohen Marketingaufwand. Da konzentrierte sich die IT-Industrie lieber auf spendable Großkunden. Die Riesenaufträge brachten nicht nur die nötigen Volumina, sondern stärkten auch das Prestige. Zur Abrundung der Marktmacht trugen dann noch für viele Anbieter die Privatkunden bei, die in Flächenmärkten und bei Food-Filialisten ihrem Kon-sumdrang der Wirtschaftskrise zum Trotz weiterhin nachgaben.

Doch die Goldgräberstimmung der Jahre 1999 bis 2001 ist vorbei. Die Großkunden haben einen hohen "IT-Reifegrad" erreicht und setzen nun verstärkt den Rotstift an. Strategische Projekte werden immer wieder verschoben oder nur in kleinen Teilbereichen umgesetzt, Neuinvestitionen sogar komplett eingefroren.

Investitionsstau von fünf bis sieben Jahren

Anders sieht es bei den Mittelständlern aus. Selbst Euro- und Jahrtausend-Umstellung veranlassten diese Kundengruppe nur zu minimalen IT-Investitionen, um die notwendigsten Maßnahmen durchzuführen. Dadurch blieb der IT-spezifische Innovationsgrad des Mittelstandes noch weiter hinter dem der Großunternehmen zurück. Branchenexperten sprechen in diesem Zusammenhang von einem IT-Investitionsstau von fünf bis sieben Jahren und damit einhergehend von massivem Nachholbedarf.

Und genau diesen will jeder einzelne Anbieter zu seinem Nutzen befriedigen. Schon 2002 lagen die Investitionszuwachsraten des Mittelstands im Durchschnitt ein bis zwei Prozentpunkte über dem der Großkundschaft. Mit insgesamt 17 Milliarden Euro - und damit gut einem Drittel der gesamten B-to-B-IT-Ausgaben in Deutschland - stellt der Mittelstand ein attraktives Potenzial dar. Nach Aussage von Techconsult ist das Investitionsinteresse im Bereich identifizierbarer Wachstumsfelder auf Produkt- und Serviceebene. Fast die Hälfte aller IT-Ausgaben mittelständischer Unternehmen (20 bis 499 Mitarbeiter) fällt auf folgende Bereiche:

Das große Boomthema im Hardwaresegment ist neben dem wachsenden Bedarf an Speicherlösungen auch der Trend zur Mobility. Diese beiden Gruppen werden nach Rechnung von Peter Burghardt, Managing Director bei Techconsult, mit zirka 1,2 Milliarden Euro rund neun beziehungsweise zwölf Prozent mehr in die Kassen der Anbieter fließen lassen als in 2002.

Deutlicher Nachholbedarf bei Netzwerken

Im Bereich Software steht neben den CRM-Lösungen, Portal-/Shop-Lösungen und dem Dokumentenmanagement auch die ERP-Thematik im Mittelpunkt des Interesses. Die IT-Entscheider werden demnach mit knapp 800 Millionen Euro reinen Softwarekosten ein neun bis zwölf Prozent höheres Budget bereitstellen als im Vorjahr.

Aber auch externe Hilfe steht hoch im Kurs. IT-Dienstleister im Rahmen des Betriebs und der Wartung, der Internet-Dienstleis-tungen sowie der IT-Beratung und -Schulung können sich nach Meinung des Marktforschers auf ein Mittelstandsbudget von rund fünf Milliarden Euro freuen. Der Zuwachs zum Jahr 2002 beträgt 12 bis 16 Prozent.

Mit einem Plus von bis zu 80 Prozent fällt wohl der Nachholbedarf im Bereich der Netzwerke am deutlichsten aus. Nach Ansicht von Burghardt führe die zum Teil "unvollkommene" Netzwerkinfrastruktur dazu, dass insbesondere neue Kommunikationstechnologien wie Voice over IP, Unified Messaging, CTI und WLAN verstärkt nachgefragt werden. Der Kommunikationsbereich (Hardware/Software) ist mit einem Investitionsvolumen von knapp 700 Millionen Euro nicht gerade das umsatzstärkste Aus-gabensegment des Mittelstands, aber die Steigerungen - vor allem bei WLAN - zeugen laut Techconsult von einer überdeutlichen Dynamik.

Systemhäuser vertraut mit regionalen Kennzahlen

Der Mittelstand bietet nach Ansicht der Analysten durchaus Chancen und Potenziale für IT-Anbieter - berge aber auch Risiken in sich. Nicht selten seien IT-Anbieter der Auffassung, dass Mittelstandsmarketing praktisch nicht bezahlbar sei. Das sei eine berechtigte Aussage, wenn der Markt nicht bekannt sei und man sich bisher vornehmlich dem Großkunden gewidmet habe. Deshalb fordert Burghardt ein ausnahmslos segmentspezifisches Vorgehen seitens der Anbieter im Mittelstand. Neben branchen- und größenklassenspezifischen Analysen seien ebenso regionale Kennzahlen zu beachten, die große Anbieter für die Partnerauswahl benötigen. Nicht weniger wichtig: Kenntnisse über branchenspezifische Prozesse, Buying-Center-Strukturen, das Informations- und Entscheidungsverhalten und die aktuelle Branchensituation. Vor diesem Hintergrund gelte es, segmentspezifische Konzepte zu entwickeln und erfolgreiche Strategien aus dem Großkundensegment für den "neuen Kunden" kritisch zu überprüfen.

www.techconsult.de

ComputerPartner-Meinung

Dem Fachhandel konnte nichts Besseres passieren, als dass der Mittelstand wieder einmal zum Objekt der Begierde für die IT-Anbieter mutierte. Denn das ist doch genau der Kundenstamm, den die Systemhäuser und Fachhändler seit Jahren bestens kennen und betreuen. Nur sie kennen sich mit den regionalen Kennzahlen aus, können sich in die branchenspezifischen Prozesse eindenken und verlegen im Notfall auch mal innerhalb kürzester Zeit ein Kabel, tauschen einen Monitor aus oder reparieren den PC. Wenn sie nun auch seitens der IT-Hersteller entsprechende Unterstützung bekommen, wird 2003 nicht nur zum Jahr des Mittelstandes, sondern auch des Fachhandels. (go)

Zur Startseite