In stürmischen Zeiten: neuer Trend im Neuen Markt

15.03.2001
Kurseinbrüche und vermehrte Pleiten am Neuen Markt ebnen den Gewerkschaften den Weg in Unternehmen der New Economy.

Die Verunsicherungen am Neuen Markt führen dazu, dass sich immer mehr Mitarbeiter von Unternehmen der New Economy gewerkschaftlich organisieren. Die seit vielen Jahren unter Mitgliederschwund leidenden Arbeitnehmervertretungen wittern Morgenluft. Zur Unterstützung der im Neuen Markt Beschäftigten haben die Gewerkschaften IG Medien und DAG im Oktober 1999 das Pilotprojekt Connexx.av ins Leben gerufen. Dessen Leiter Wilfried Bartz, der erst kürzlich die Einführung eines Betriebsrates des Berliner Internet-Anbieters Pixelpark organisatorisch begleitet hat, gibt sich optimistisch. Ihm zufolge hat die Connexx.av "jede Menge weitere Anfragen", besonders aus Multimedia-Unternehmen. Bartz wird von drei weiteren Connexx.av-Gewerkschaftlern unterstützt, um die betriebliche Mitbestimmung in Unternehmen der Branchen Medien und Neue Medien durchzusetzen. Erst unlängst konnte Connexx.av bei der Hamburger Tomorrow Internet AG mit der Wahl eines so genannten Wahlvorstands einen Erfolg verbuchen. Lediglich drei Angestellte müssen zu diesem Zweck zusammenkommen. Der Wahlvorstand leitet dann innerhalb von sechs bis acht Wochen die Wahl eines Betriebsrats ein. Wie Bartz mitteilt, haben auch Mitarbeiter der Berliner ID Media AG und der Hamburger Kabel New Media AG Interesse gezeigt.

Und der Trend scheint unverkennbar. In Gewerkschaftskreisen weiß man von einem guten Dutzend Firmen in Süddeutschland, die einen Betriebsrat eingerichtet haben. Hierzu zählt beispielsweise die Ettlinger Software-Schmiede Prodacta AG. Und auch die krisengebeutelte Intershop AG in Jena erlebte nach dem steilen Sturzflug der Aktie heftigste Debatten über die Einführung eines Betriebsrats.

Aktienoptionen kein Ausgleich mehr

Ein Novum sind organisierte Arbeitnehmervertretungen am Neuen Markt aber nicht. Bei AOL Deutschland oder Amazon Deutschland etwa muss die Unternehmensführung schon seit mehreren Monaten die Arbeitnehmerschaft bei weit reichenden Be- triebsentscheidungen hinzuziehen. Die Krise der Branche hat viele Angestellte wachgerüttelt, zumal die angebotenen Aktienop- tionen angesichts arg bröckelnder Kurse keine akzeptable Entschädigung mehr darstellen. Einer Umfrage der Zeitschrift "Computer" zufolge wollen 75 von 100 Angestellten in der IT-Branche einen Betriebsrat. Das Reformvorhaben der rot-grünen Regierung zum Betriebsverfassungsgesetz dürfte die- sem Anliegen einen zusätzlichen Impuls verleihen.

Im Gegensatz zu diesem Trend ist der Wunsch nach einer Arbeitnehmervertretung dort nur schwach ausgebildet, wo das Unternehmen wirtschaftlich gut dasteht. Beispiele hierfür sind die Biotechnikfirmen Cybio AG und Analytik Jena. Für die Angestellten dieser Unternehmen ist die Etablierung eines Betriebsrats kein Thema. Andere setzen weiterhin auf flache Hierarchien und ausgeprägte Kollegialität zwischen Unternehmensführung und Personal. Da kann im Idealfall ein schwelender Konflikt schon mal beim Kaffee zwischendurch angepackt werden - ein Modell, dass jedoch bei einer Belegschaft, die in die Hunderte geht, kaum noch greifen dürfte. Der Anbieter von Internet-Diensten Arxes Information Design AG in Aachen bevorzugt auch weiterhin den runden Tisch. Und Ulrich Dietz, Vorstandschef der Schwarzwälder Multimedia-Agentur GFT AG, gibt noch immer einer "Politik der offenen Tür" gegenüber einem Betriebsrat den Vorrang. Man muss aber wissen, dass bei Pixelpark-Konkurrent GFT zwei Mitarbeitervertreter im Aufsichtsrat über die Unternehmensgeschicke mitentscheiden.

ComputerPartner-Meinung:

Sicher werden sich viele Unternehmensführungen vehement gegen die Einrichtung eines Betriebsrates wehren. Angesichts der im Neuen Markt vorherrschenden hohen Dynamik, die oft ein schnelles, unbürokratisches Vorgehen erfordert, sind die Befürchtungen vieler Chefs sicher nicht unbegründet. Andererseits kann niemand den Arbeitnehmern ein Streben nach mehr Sicherheit verübeln, besonders im Hinblick auf die jüngsten Turbulenzen. Flexibilität auf der einen und verstärkte Wahrnehmung sozialer Verantwortung auf der anderen Seite sind gefragt. (de)

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