IT-Experten sind mehr denn je eine rare Spezies

24.10.1997

MÜNCHEN: Jede Woche verbreiten die Medien neue Horrorzahlen über die Arbeitslosigkeit in Deutschland. Trotzdem ist es in der IT-Branche so schwierig wie nie zuvor, an qualifizerte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu kommen. Innerhalb der letzten Jahre hat sich der Personalmarkt gerade in der Informationstechnik extrem verschlechtert. Mit welchen Lösungen angeln sich Software- und Systemhäuser gute Mitarbeiter?

Sie können so viele Anzeigen schalten, wie Sie wollen - Sie kriegen einfach keine Leute. Der Markt ist leergefegt." Jochen Furch, Geschäftsführer der CPU Softwarehouse GmbH in Augsburg, ist mehr als frustriert über die derzeitige Personalsituation im DV-Bereich. Verzweifelt sucht er Windows-Entwickler mit C, C++ und Windows API Kenntnissen. Sogar Aufträge müsse er ablehnen, weil er einfach nicht genug Leute hat - obwohl das Softwarehaus in den letzten neun Monaten rund 60 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt hat. Nächstes Jahr will er noch mal 100 neue Leute finden. Doch woher nehmen?

"Die Gesellschaft für Informatik macht schon seit Jahren darauf aufmerksam, daß zu wenig Fachpersonal ausgebildet werden kann, weil sich zu wenige junge Menschen für ein Informatik-Studium entscheiden." Professor Dr. Wolffried Stucky, Präsident der Gesellschaft, muß sich wie der Rufer in der Wüste fühlen. "Den Hochschulen werden die Studienabgänger aus den Informatik-Studiengängen förmlich aus der Hand gerissen. Viele Studierende beenden ihr Studium vorzeitig, weil sie aus der Industrie lukrative Angebote bekommen", weiß er zu berichten. Die Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg belegen die Nachfrage: 1996 wurden fast 39.000 Stellenangebote für IT-Experten in überregionalen Tageszeitungen veröffentlicht - 64 Prozent mehr als im Vorjahr.

Für Furch sind aber Hochschulabsolventen kaum eine Alternative zu qualifizierten Mitarbeitern: "Die brauchen mindestens ein Jahr, bis sie das können, was sie eigentlich im Studium schon lernen sollten." Zu weit weg vom Markt sei der Lehrplan der Hochschulen. "Viele Professoren leben noch in der Großrechnerwelt; da wird falsch ausgebildet", findet er.

Florian Fritzenschaft, Niederlassungsleiter der Personalberatung Steinbach & Partner GmbH in München, widerspricht Furch: "Gerade objektorientierte Programmierung ist eher ein akademisches Thema, deshalb findet man an der Uni noch am ehesten Leute, die das beherrschen."

Konkurrent Telekommunikation

Voll des Lobes über die Zusammenarbeit mit Hochschulen ist Uwe Scariot, Bereichsleiter bei Dr. Materna GmbH in Dortmund. Er kam selbst als Werkstudent zu dem Systemhaus und arbeitet dort schon über zehn Jahre. Scariot bestätigt, daß es derzeit so schwierig ist wie nie zuvor, gut ausgebildete Mitarbeiter zu finden: "Vor gut zwei Jahren haben wir eine große Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen geschaltet und hatten einen Rücklauf von rund 600 zum großen Teil qualifizierten Bewerbungen. Vor einem halben Jahr haben wir eine vergleichbare Anzeige aufgegeben - ganze 23 Antworten kamen als Reaktion darauf. Zwei Leute wurden von uns eingeladen und nur einer genommen." Grund für die Misere ist seiner Meinung nach nicht eine geringere Absolventenzahl, sondern die wachsende Telekommunikationsbranche. "Viele gehen zu den neuen Telekommunikationsfirmen, denn die zahlen noch überdurchschnittlich viel."

Um trotz der schwierigen Ausgangsbedingungen gute Leute zu finden, arbeitet Dr. Materna jetzt verstärkt mit den Hochschulen in Dortmund zusammen. Das Systemhaus beschäftigt zum Beispiel Werkstudenten, die im Rahmen ihrer Diplom- oder Doktorarbeit an einem Projekt mitarbeiten. Scariot verspricht sich viel von dem verstärkten Austausch mit der Universität und der Fachhochschule.

Er kann sich durchaus vorstellen, Forschungsaufträge an einzelne Lehrstühle zu vergeben. Schließlich würden alle Seiten davon profitieren. Die Lehrstühle freuen sich über zusätzliche Gelder, die Diplomanden über eine praxisnahe Ausbildung und die Möglichkeit, übernommen zu werden. Und das Unternehmen lernt die potentiellen Angestellten schon vorher kennen.

Guter Nachwuchs: Alles eine Standortfrage?

Keine Probleme, qualifizierte Leute zu finden, hat Matthias Moser, Geschäftsführer der Moser GmbH in Würselen. Sein Unternehmen ist laut eigenen Angaben zweitgrößter Anbieter von Handwerks-Software in Deutschland. "Es hängt auch viel vom Standort ab. In München, Frankfurt, Berlin oder Hamburg ist der Markt natürlich abgegrast, weil da die Großfirmen den mittleren Unternehmen die guten Leute wegschnappen", so der Chef des Systemhauses, das derzeit 60 Mitarbeiter beschäftigt. Aachen habe eine große Hochschule und damit auch ein großes Potential. "Ich würde nie die Aussage unterschreiben, daß es unmöglich ist, qualifizierte Mitarbeiter zu bekommen, denn in Nordrhein-Westfalen gibt es viele Unis und eine hohe Bevölkerungsdichte", betont Moser.

Sein Rezept: Stellenanzeigen in der Zeitung, denn jede Anzeige ist immer auch Werbung für die Firma. Er legt Wert darauf, daß Bewerberinnen und Bewerber aktiv auf sein Unternehmen zugehen. Außerdem bildet er selbst aus. Denn nicht alle Stellen erfordern ein Diplom.

Sieben von seinen neun Lehrstellen sind besetzt; gerade verschickt der Systemhaus-Chef Einladungen an Bewerberinnen und Bewerber, um sich den Nachwuchs für das nächste Jahr anzusehen. Im Gegensatz zu Furch, der mit dem neuen IHK-Lehrplan zum "Fachinformatiker" nicht viel anfangen kann, lobt Moser die Ausbildung: "Ich bin sehr zufrieden mit dem Berufsbild, es ist vernünftig und modern. Die Reform ist gelungen." Furch kritisiert am Berufsbild, das vorher "Datenverarbeitungskaufmann/frau" hieß, daß es alter Wein in neuen Schläuchen sei. "Der Ausbildungsplan ist meines Wissens 26 Jahre alt. Cobol ist dort immer noch Pflichtfach." Moser widerspricht und fordert von den ausbildenden Firmen, daß sie sich um die Lehrpläne kümmern, mit der IHK im Dialog bleiben und auf eine Änderung dringen, wenn sie merken, daß am Markt vorbei ausgebildet wird. "Außerdem findet der größte Teil der Ausbildung im Betrieb statt. Dann müßte ich mich an die eigene Nase fassen, wenn mein Nachwuchs nicht gut ausgebildet ist."

Was tun die Profis? Möglichst breit streuen

Ein Marktbeobachter eines Personalberatungsunternehmens, das sich auf die DV-Branche spezialisiert hat, empfiehlt, die Suchaktivitäten "möglichst breit zu streuen", flexibel zu sein und Wege zu gehen, die man bisher noch nicht gegangen ist. Dazu gehört neben den traditionellen Stellenanzeigen auch die Stellenbörse im Internet. Viele offene Stellen würden auch über persönliche Empfehlungen besetzt: Es gibt jemand, der jemanden kennt, der jemanden kennt. Auch die aktive Auswertung von Stellengesuchen in den einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften gehöre zur Aufgabe der Personalabteilung, um in schwierigen Zeiten an geeignete Mitarbeiter zu kommen. Scariot bestätigt den Erfolg der Mund-zu-Mund-Propaganda: "Wir haben extrem gute Erfahrungen mit Mitarbeitern gemacht, die durch andere Mitarbeiter von freien Stellen erfahren haben." Seit rund einem halben Jahr annonciert Dr. Materna auch intensiv im Internet. Die Reaktion darauf ist zwar nicht allzu groß, dafür aber konstant: Regelmäßig landen zwischen fünf und zehn Bewerbungen pro Woche auf den Schreibtischen der Abteilungsleiter. (is)

Was sich in Süddeutschland für CPU-Chef Jochen Furch als Ding der Unmöglichkeit erweist ...

... bereitet Matthias Moser, Geschäftsführer der Moser GmbH

in Nordrhein-Westfalen kaum Kopfzerbrechen.

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