Software-Components: "Lieber wiederverwenden als neu entwickeln"

20.06.1997
MÜNCHEN: Warum sollte man nicht einfach die Softwarekomponenten, die sich in der Praxis als gut erwiesen haben, in eigene Lösungen einbauen - oder gleich neue Software - bestehend aus bereits vorhandenen Basisbausteinen - zusammensetzen? Probleme mit unterschiedlichen Plattform-Lösungen muß es dabei laut Siemens-Nixdorf nicht geben. Was Systemhäuser und der Handel von solcherlei Bestrebungen haben, erklärt SNI-Vorstandsmitglied Sven Kielgas*.Kaum ein Monat vergeht in unserer Industrie, in dem nicht wieder einmal der Wandel als das einzig Beständige bekräftigt wird. Und kaum eine Softwarekonferenz kommt ohne das Postulat eines abermals neuen Paradigmenwechsels aus. Da hat uns Componentware als die nächste Softwarerevolution gerade noch gefehlt. Obwohl - so neu ist das Prinzip der Komponentenerstellung eigentlich nicht. Nur eben bei uns in der Software-Industrie.

MÜNCHEN: Warum sollte man nicht einfach die Softwarekomponenten, die sich in der Praxis als gut erwiesen haben, in eigene Lösungen einbauen - oder gleich neue Software - bestehend aus bereits vorhandenen Basisbausteinen - zusammensetzen? Probleme mit unterschiedlichen Plattform-Lösungen muß es dabei laut Siemens-Nixdorf nicht geben. Was Systemhäuser und der Handel von solcherlei Bestrebungen haben, erklärt SNI-Vorstandsmitglied Sven Kielgas*.Kaum ein Monat vergeht in unserer Industrie, in dem nicht wieder einmal der Wandel als das einzig Beständige bekräftigt wird. Und kaum eine Softwarekonferenz kommt ohne das Postulat eines abermals neuen Paradigmenwechsels aus. Da hat uns Componentware als die nächste Softwarerevolution gerade noch gefehlt. Obwohl - so neu ist das Prinzip der Komponentenerstellung eigentlich nicht. Nur eben bei uns in der Software-Industrie.

In den produzierenden Industrien wie Automobil- oder Industrie-anlagenbau ist das längst gang und gäbe. Kein Autohersteller käme auf den Gedanken, Getriebe oder Scheinwerfer selbst zu produzieren, damit sie in sein spezifisches Endprodukt passen. Selbst ein Kraftwerks-bauer bedient sich weitgehend standardisierter Bauteile wie Schaltelemente oder Pumpen.

Ganz anders in der Software-Industrie. Von den sechs größten Softwareherstellern weltweit produzieren mindestens drei weitgehend dasselbe: eine Textverarbeitung, eine Tabellenkalkulation, eine Geschäftsgraphik und - weil's so schön ist - gleich noch eine E-Mail dazu. Von Effizienz wie Effektivität sind wir den "klassischen" Industrien meilenweit unterlegen, schlicht weil unsere "Fertigungstiefe" viel zu groß ist.

Peter Pagé: "Nur ein fauler Entwickler ist ein guter Entwickler"

Denn funktionale Einzelbausteine lassen sich heute eben nicht beliebig aus vorhandenen Softwareprodukten herauslösen und zu individuellen Kundenlösungen zusammenbauen, weil der Ansatz, integrierter Systeme" - noch heute state of the art - zunächst auf eine möglichst umfängliche Komplettheit und Abgeschlossenheit ausgerichtet ist.

Schnittstellen - besser sollte es heißen: Verbindungsstellen - zu implementieren, war notwendiges Übel, und oft angesehen als Technologie minderer Qualität. Warum das so ist? Zunächst rumort da sicher noch heute in den Köpfen vieler Software-Ingenieure das NII (Not lnvented Here)-Syndrom. Deshalb plädiert unser Software-Guru Dr. Peter Pagé auch, daß "nur ein fauler Entwickler ein guter Entwickler" sei. Gemeint ist also: Wiederverwenden ist besser als Neu-Entwickeln.

Zum anderen hatte sich bisher auch eines noch nicht industrieweit etabliert: Basistechnologie, die die technisch einheitliche, sogar plattformübergreifende Verbindung zwischen Softwarekomponenten erlaubt. Mit COM (und CORBA) existiert solcher ,,Kit" neuerdings. Interessant dabei ist sicher, daß sich immer eher die ,,de-facto"-Standards durchsetzen. Aus dieser Erkenntnis heraus hat sich Siemens-Nixdorf unter dem Begriff ,,ComUnity" unmißverständlich der Komponentenstrategie in der Anwendungssoftware-Entwicklung verschrieben. Dabei gilt dies nicht nur für zukünftige Produkte; der ComUnity-Komponenten-Katalog zählt heute bereits 25 Einträge.

Was nun macht eine solche ComUnity-Komponente aus? Sie stellt ein Stück Software dar,

- das eine definierte, wiederverwendbare Funktionalität besitzt;

- diese Funktionalität gekapselt (als ,,black box") zur Verfügung stellt und

- diese Funktionalität auf der COM-(OLE/ActiveX-) Ebene präsentiert.

In diesem Sinne besitzt eine Softwarekomponente nur und exakt diejenige Funktionalität, die sie anderen Komponenten über die COM-Schnittstelle zugänglich macht, sie stellt einen Service also ohne Kenntnisse über die inneren Verarbeitungsmechanismen zur Verfügung. Dabei ist es völlig unerheblich, mit welchem Werkzeug diese Komponente entwickelt wurde. SNI bietet dazu weltweit einmalig - auf der Basis der Microsoft Visual Tools - eine integrierte Entwicklungsumgebung (Markenname: ComUnity Visual Framework) an, die es neben der semi-automatischen Generierung von Komponenten aus modellierten Anwendungen erlaubt, fremde Komponenten auf der Basis jener Microsoft-Verbindungstechnologien zu integrieren.

Welchen Nutzen für den Anwender bietet Componentware in Zukunft? Zunächst den der erheblich schnelleren und preiswerteren Erstellung seiner spezifischen Lösung. Weder müssen Standardapplikationen zeit- und kostenintensiv angepaßt werden, noch erfolgt eine nicht minder teure und langwierige Individualprogrammierung des immer doch sehr ähnlichen. Ziel ist vielmehr, rund 90 Prozent der gewünschten Funktionalität aus vielen vorhandenen Komponenten zu assemblieren, und nur zehn Prozent noch individuell zu erstellen. Dies erfolgt dann am besten ebenfalls in Komponentenmanier, damit auch solche Bausteine wiederverwendet werden können.

Ganz nebenbei erhöht sich die Qualität der fertigen Lösung sprunghaft, denn sie baut auf individuell qualitätsgeprüften Komponenten auf, während im Rahmen einer Individualprogrammierung jede Funktion einzeln getestet werden müßte.

Vorteile für Hersteller und Softwarehäuser

Genau dies wird in unserer Schwesterbranche, der Hardware, längst praktiziert. Ein typischer Hardwarehersteller (wie auch SNI) bedient sich am Weltmarkt der Komponenten von Intel & Co. und addiert gerade noch so viel eigenes Engineering, daß sich ein klarer Wettbewerbs-vorteil ergibt, üblicherweise also weniger als zehn Prozent des Aufwandes des fertigen Produkts. Erst die Zusammenstellung der Bauteile in der Montage macht aus einem Scenic-PC das, was ihn von einem Presario unterscheidet. Das hat dann auch direkte Auswirkungen auf die Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit.

Wie Marktzahlen unisono belegen, ist parallel zu einer sinkenden Kurve im Pro-Kopf-Umsatz in der Softwarebranche, die zum Teil sicher auch durch die Preiskriege verursacht wird, ein steiles Wachstum auf der Hardwareseite zu verzeichnen; und das trotz der dort ebenfalls vehementen Gefechte.

Komponenten führen also zu wirtschaftlich attraktiver Massen-Individualisierung (auch "Mass Customisation" genannt) der Produkte. Weitere Vorteile für die Hersteller: Um im Softwaremarkt erfolgreich zu sein, braucht es dann nicht mehr das umfassende Angebot eines aufwendigen ,,Systems". Bereits die Spezialisierung auf hochwertige Einzelfunktionen, in Komponenten verpackt, wird ein Softwarehaus erfolgreich machen. Also, eitel Freude ohne all den Ballast dessen, was andere besser können.

Eine Vorhersage der Gartner Group, derzufolge sich die Anzahl der Komponentenanbieter bis zum Jahr 2009 vervierfachen soll, ist insbesondere eine gute Nachricht für europäische, mittelständische Software-Häuser und VARs. Denn ihnen eigen ist ein hohes Maß an Spezialisierung und eine besondere Historie, spezifische Funktionalität ergonomisch zu verpacken. Etwas also, das viele amerikanische Softwarehersteller nicht gerade von sich behaupten können. Beiderseits des großen Teiches wird dann jedoch auf der Basis gleicher oder zumindest komplementärer Mega-Architekturen entwickelt. Davon ist ComUnity ohne Zweifel eine.

Und der Fachhandel? Für ihn gilt weitgehend dasselbe, denn die Marge wird sich weniger aus dem Produkt selbst ergeben - was heute schon für Software der Fall ist - sondern mehr aus der Integration, besser gesagt: der Montage. Die gute Nachricht hier ist, daß bisher nur die technische Integration von Standard-Package-Produkten verkaufbar war. Bekanntermaßen ist aber gerade diese Sorte Dienstleistung immer austauschbarer geworden, ergo stets weiter unter Preiserosion geraten. Bei Componentware geht es jedoch vielmehr um die Abbildung individueller Kundenprozesse in Software, kurzum, nicht nur um eine viel höherwertige Dienstleistung, sondern besser noch um eine weit geringe Auswechselbarkeit des Know-how-Trägers. Die technische Integration erleichtern dabei Konzepte wie ComUnity weitestgehend, damit der Kunde für das bezahlt, was ihn letztendlich ausschließlich interessieren sollte: die beste Unterstützung seiner eigenen Geschäftsinteressen.

Vorteile für den Fachhandel

Wohin also verändert sich ein Fachhandelspartner am besten taktisch wie strategisch, um in dieser neuen Welt zu wachsen? Da der Schlüssel zum Erfolg in der intimen Kenntnis der Kundenbedürfnisse und -rahmenbedingungen liegt, etwas, das in der Breite kein Hersteller jemals direkt wird leisten können, so ist die direkte sachliche und räumliche Bindung an den Kunden Garant für die Stellung als bester Berater und Monteur in Sachen Componentware.

Daß das WWW dabei die bedeutendste und denkbar beste Infrastruktur von Know-how-Transfer bis Lieferweg für Softwarekomponenten darstellt, ist wohl heute schon fast eine triviale Aussage. n

Sven Kielgas ist SNI-Marketing-Vize und Vorstandsmitglied bei der Siemens-Nixdorf AG in München.

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