Softwareentwickler: Freiberufler oder nicht?

15.07.2005
Von Peter Brenner
Wer glaubt, durch das im Jahr 2004 vom BFH verkündete Urteil von seinem Finanzamt automatisch als Freiberufler eingestuft zu werden, gibt sich einer falschen Hoffnung hin. Peter Brenner aus Köln berichtet von den Erfahrungen der vergangenen Monate.

Zuerst schlug die Entscheidung des BFH (XI R 9/03) wie eine Bombe ein: Danach kann ein selbstständiger EDV-Berater, der Anwendungssoftware entwickelt, einen dem Ingenieur ähnlichen Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausüben und somit freiberuflich tätig sein. Die meisten EDV-Berater sahen in diesem Urteil die Lösung ihres Gewerbesteuerproblems. Aber wie gehen die Finanzämter tatsächlich mit der geänderten Rechtsprechung um?

Was ist eine ingenieur- vergleichbare Tätigkeit?

In seinem Urteil hat der BFH, wie schon so oft in der Vergangenheit, schwammige Definitionen vorgenommen. Damit bleibt es für die Finanzbeamten schwierig, die Einstufung eines Informatikers vorzunehmen. Weiterhin überwiegen subjektive Entscheidungswege.

Das erste Problem taucht auf, wenn eine ingenieurvergleichbare Tätigkeit zu lokalisieren ist. Welche Kriterien sind anzuwenden? Woran ist eine solche Tätigkeit erkennbar? Der BFH sagt dazu lediglich, dass es die Aufgabe eines Ingenieurs ist, auf der Grundlage natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Belange technische Werke zu planen, zu konstruieren und ihre Fertigung zu überwachen.

Vermittelt man einem EDV-Berater diese Definition, so antwortet er häufig: Meine Kunden bezahlen mich nicht für wissenschaftliche Ausarbeitungen, sondern für Problemlösungen. So mancher EDV-Berater erkennt auch nicht zwingend die wissenschaftliche Basis seiner Tätigkeit.

Gleichwohl genügt es als Beweis nicht, dem Finanzamt zu erklären, dass eine ingenieurvergleichbare Tätigkeit ausgeübt wird, sondern es ist der Beweis zu führen, zum Beispiel durch Referenzen und Arbeitsproben. Diese Arbeitsproben müssen zu erkennen geben, dass deren Verfasser der Steuerpflichtige selbst ist. Das kann ein Problem sein, denn oft werden Dokumente mit dem Namen des Projektes, der Abteilung oder des Teams gekennzeichnet.

Es hilft nicht zu behaupten, Arbeitsproben seien aus Datenschutzgründen nicht vorhanden oder dürften nicht vorgelegt werden. Wenn nichts bewiesen werden kann, kommt es zu einer Ablehnung der Freiberuflichkeit. So einfach machen es sich Richter und Finanzbeamte, um eine möglicherweise berechtigte Freiberuflichkeit zu verhindern.

Folgende Einsätze gelten als Merkmale für die Erkennung einer ingenieurvergleichbaren Tätigkeit:
- Vorgehensmodelle
- Phasenkonzepte
- Methoden und Verfahren
- CASE-Tools sowie Hilfs- und Dienstprogramme des Software-Engineerings
- Qualitätssicherung, Validierung und Testkonzeptionen
- Paradigmen des Software-Engineerings.

An diesen Parametern ist bereits erkennbar, wie schwierig es nach der reformierten BFH-Rechtsprechung für Finanzbeamte, Richter, Steuerberater und Rechtsanwälte sein dürfte, die so genannte ingenieurmäßige und eine ingenieurvergleichbare Tätigkeit zu erkennen und zu bewerten. Trotz vorhandener akademischer und wissenschaftlicher Definitionen zum Begriff des Software-Engineering gilt zum Beispiel das Projektmanagement als gewerblich, obwohl es eindeutig zur Planung gehört. So viel zur Logik der neuen Rechtsprechung.

Wann ist Software trivial?

Nicht jede Tätigkeit im Bereich der Entwicklung von Anwendungssoftware ist eine freiberufliche. Die Entwicklung von so genannter Trivialsoftware führt zur Gewerblichkeit. Vielmehr wird erwartet, dass der EDV-Berater qualifizierte Software durch eine klassische ingenieurmäßige Vorgehensweise (Planung, Konstruktion und Überwachung) entwickelt. Die Grenze zwischen beiden Bereichen und die zugehörigen Kriterien definiert der BFH in seiner unscharfen Rechtsprechung nicht. Empfehlung: Der Informatiker sollte zum Beispiel durch Kennzahlen seiner Projekte die Entwicklung qualifizierter Software dokumentieren (Budget, Mitarbeiter, Anzahl entwickelter Module).

Muss zwingend Software entwickelt werden?

Verstärkt behaupten Finanzämter in den vergangenen Monaten, Software müsse zwingend neu entwickelt werden, um die Tätigkeit eines EDV-Beraters als freiberuflich anzuerkennen. Diese Meinung ist umstritten, zweifelhaft und falsch. Der BFH hat in seinen einschlägigen Urteilen nicht nur die neue Entwicklung von Software als freiberuflich definiert. EDV-Berater sollten sich nicht von derartigen Behauptungen abschrecken lassen.

Spielt die Ausbildung noch eine Rolle?

Die Ausbildung spielt eine immer stärkere Rolle. Bisher war es für Finanzbeamte nahezu unmöglich, die Trennung zwischen Anwendungssoftware und Systemsoftware zu vollziehen. Wie denn auch, wenn bei ihnen das ausgeprägte Informatikwissen nicht vorliegt. Diese Grenze gilt als aufgehoben, und umso mehr gerät die Ausbildung in den Fokus der Finanzämter. Hier gibt es für Autodidakten nur eine Chance: den Beweis des vorliegenden vergleichbaren Wissens nicht nur mit Hilfe von Ausbildungsdokumenten zu führen, sondern durch eigene Praxiserfahrung (Literaturlisten, selbst durchgeführte Seminare, Seminare ohne Bescheinigungen, Training on the Job).

Wann ist eine rückwirkende Einstufung als Freiberufler möglich?

Ein Selbstständiger, der seine Gewerbesteuererklärung für das Jahr 1999 erst im Jahr 2001 abgegeben hat, hat bis Ende 2005 die Möglichkeit, eine rückwirkende Anerkennung als Freiberufler ab 1999 zu beantragen. Dann sind allerdings neue Tatsachen vorzutragen und dem Finanzamt glaubhaft zu machen. Das neue BFH-Urteil zählt dabei nicht als neue Tatsache. Wird der Steuerpflichtige mit Hilfe einer strategisch überzeugenden Argumentation als Freiberufler anerkannt, erhält er die Gewerbesteuer nebst einer Verzinsung von sechs Prozent p. a. zurückgezahlt. Diese Chance gilt es zu nutzen. Hier ergeben sich umfangreiche Gestaltungsmöglichkeiten.

Welche strategische Vorgehensweise ist sinnvoll?

Die reformierte Rechtsprechung erleichtert die Einstufung von Informatikern als Freiberufler keineswegs. Zwar erfolgte seitens des BFH die Festlegung weiterer Definitionen, aber erneut nicht deren Erläuterung. Weder Finanzbeamte noch Richter können künftig an Kriterien orientierte Entscheidungen treffen. Steuerberatern und Rechtsanwälten wird die Vertretung ihrer Mandanten nicht erleichtert. Kaum ein Finanzgericht kann ohne Gutachten entscheiden, und auch Finanzämter bedienen sich verstärkt der Unterstützung eines Sachverständigen.

Trotz des neuen BFH-Urteils sind die bisherigen Strategien weiterhin gültig. Der Steuerpflichtige sollte daher versuchen, sich direkt mit seinem Finanzamt zu einigen. Klagen vor dem Finanzgericht verursachen erfahrungsgemäß jahrelange Laufzeiten und in vielen Fällen hohe zusätzliche Zinszahlungen, wenn die Klage verloren wird. Der Schlüssel zum Erfolg ist eine strategisch fundierte Beweisführung im Bereich der relevanten Informatikthemen.

Die Anerkennung erfolgt nur über Beweise der Informatikausbildung, der Tätigkeit sowie ingenieurvergleichbaren Vorgehensweise und nicht allein durch Argumentationsketten im juris- tischen oder steuerrechtlichen Bereich. Die Checkliste hilft, die eigenen Chancen für eine Anerkennung als Freiberufler zu erkennen.

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