Star Division-Chef Börries: "Ich bin nicht die deutsche Ausgabe von Bill Gates."

30.05.1997
HAMBURG: Der alte Kontinent Europa ist der Hamburger Star Division GmbH zu klein geworden. ComputerPartner-Autor Stefan Rohr unterhielt sich mit dem Geschäftsführer Marco Börries über seine Rolle als Unternehmer, die Expansionspläne des Softwareherstellers, die Defizite der IT-Branche und über den Konkurrenten Microsoft.Fortsetzung des Interviews mit Marco Börries aus ComputerPartner 08/97

HAMBURG: Der alte Kontinent Europa ist der Hamburger Star Division GmbH zu klein geworden. ComputerPartner-Autor Stefan Rohr unterhielt sich mit dem Geschäftsführer Marco Börries über seine Rolle als Unternehmer, die Expansionspläne des Softwareherstellers, die Defizite der IT-Branche und über den Konkurrenten Microsoft.Fortsetzung des Interviews mit Marco Börries aus ComputerPartner 08/97

? Herr Börries, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Glauben Sie wirklich, daß der kostenlose Erhalt von StarOffice beim Kauf eines Rechners auch die tatsächliche Verwendung dieser Software nach sich zieht?

BÖRRIES: Die Frage müßten Sie natürlich indirekt genauso Microsoft stellen. Ich glaube, im Consumer-Bereich ist das OEM-Geschäft ein wichtiges Geschäft, weil es dort um die Grundausstattung geht. Unsere Zahlen belegen derzeit eine Nutzungsrate von circa 55 Prozent - also sehr, sehr erheblich.

? Wo steht Ihr Unternehmen in zehn Jahren?

BÖRRIES: In zehn Jahren? Das ist zu lange für die Computerwelt. Wir haben einen Plan, wo wir in fünf Jahren stehen wollen.

? Na gut: Wo steht Ihr Unternehmen dann in fünf Jahren?

BÖRRIES: Wenn unsere Pläne aufgehen, werden wir Ende 1998 weltweit, auch im asiatischen Raum, global mit ungefähr zwölf eigenen Offices vertreten sein. In fünf Jahren möchten wir einen signifikanten Marktanteil im Weltmarkt haben. Wir haben uns dort zum Ziel gesetzt - wenn ich jetzt mal den professionellen Markt betrachte - zu den 5.000 größten Unternehmen der Welt zu gehören. Unser Ziel für den Large Enterprises-Bereich bis Ende 2001 ist es, zehn Millionen Pakete installiert zu haben. Wir glauben, daß wir das schaffen können.

? Werden Sie da noch aktiv mitarbeiten?

BÖRRIES: Auf jeden Fall, in fünf Jahren bin ich 33.

? Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

BÖRRIES: An erster Stelle Loyalität, an zweiter Stelle Engagement. In der Arbeit also keinen Job zu sehen, sondern wirklich eine Aufgabe. Und als drittes auch den notwendigen Einsatz, um diese Aufgabe zu erledigen.

? Erhalten Ihre Mitarbeiter ein Fixgehalt oder werden sie variabel bezahlt?

BÖRRIES: Das hängt davon ab, in welchem Bereich sie bei uns arbeiten. Wir wandeln die Firma ja gerade in eine US-Holding um. Das ist bis irgendwann Ende April abgeschlossen. Und wir werden 15 Prozent der Firmenanteile als Stock-Options, als Mitarbeiter-Aktien-Pool, zur Verfügung stellen, um dann auch die Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens zu beteiligen.

? Wie hoch ist die Fluktuation in Ihrem Unternehmen?

BÖRRIES: Die Zahl führen wir gar nicht. Sie ist aber relativ hoch in den ersten sechs Monaten, und nach den ersten sechs Monaten sehr, sehr gering.

? Ist das Ihrer Meinung nach gut oder eher schlecht für das Unternehmen?

BÖRRIES: Ich denke eher gut. Wir sind für ein deutsches Unternehmen sicherlich anders, weil wir uns für den Weltmarkt ausrichten. Wir können nicht nach den Regeln in Deutschland leben, wenn wir auf dem Weltmarkt erfolgreich sein wollen. Und von daher gibt es doch für die einen oder anderen Probleme, sich mit diesem Modell zurecht zu finden. Es ist besser, wenn man sehr früh sieht, ob man zu einander paßt oder nicht.

? Eine hohe Fluktuation in den ersten sechs Monaten, ich nehme an, damit meinen Sie die Probezeit ...

BÖRRIES: Ja. Sehr hoch heißt für mich, daß es vielleicht 20 bis 25 Prozent sind.

? Das bedeutet ja, daß jeder Vierte bis Fünfte die Probezeit nicht übersteht. Wählen Sie oder die Verantwortlichen in Ihrem Unternehmen die Mitarbeiter falsch aus? Oder ist Ihr Unternehmen so eine böse Knochenmühle?

BÖRRIES: Ich glaube, das liegt daran, daß viele Leute einfach nicht mit der Art umgehen können, wie wir hier arbeiten. Auch welche Ziele wir uns gesetzt haben und welche Anforderungen an die einzelnen Leute gestellt werden. Ich würde es nicht als Knochenmühle bezeichnen. Sehen Sie, es hängt nicht davon ab, daß die Leute alle hier sechzig Stunden arbeiten müssen - was ab und zu der Fall bei uns ist -, sondern wie sie bei der Arbeit sind. Und viele Leute suchen einfach nur einen Job, und genau diese Leute können wir nicht gebrauchen. Wir suchen Leute, die eben das Engagement mitbringen.

? Welche Chancen messen Sie allgemein dem Vertrieb über Internet bei? Ist der Kunde schon reif für die Online-Dienste?

BÖRRIES: Absolut. Wenn Sie sich USA als Beispiel nehmen: absolut ja. In Deutschland wird es erst noch kommen. Die Firma Cisco macht beispielsweise am Tag derzeit vier Millionen Dollar Umsatz über die Internetseite. Sie müssen sich das mal vorstellen: Das sind vier Millionen Dollar mal 365 Tage im Jahr. Das ist ein Menge Geld. Das ist also ein sehr wichtiger Vertriebsweg und wird auch immer wichtiger werden - egal ob es bei Hardware oder Software ist. Es wird auch sehr große Implikationen auf den Kanal haben.

? In Deutschland aber - Sie haben schon selbst eingeschränkt - hinkt das noch. Woran liegt das?

BÖRRIES: Das Käuferverhalten in Deutschland ist noch nicht so weit. Wenn Sie irgendwas direkt kaufen, muß auch das Education-Level der Leute sehr hoch sein. Die müssen genau wissen, was sie wollen. Und in Deutschland schwingen immer auch Sicherheitsgedanken mit, sich ein bißchen beraten zu lassen. Wir machen beispielsweise am Tag mittlerweile 20.000 bis 25.000 Mark Umsatz auf der Website. Im Vergleich zu anderen ist das sicherlich sehr hoch.

? Welches ist Ihrer Meinung nach das größte Defizit der IT-Branche?

BÖRRIES: Es wurden sehr viele große Versprechungen gemacht, die sehr viele Verunsicherungen gebracht haben. Beispielsweise die gesamte Diskussion um das papierlose Büro. Das hat weit mehr Verunsicherungen gebracht, weit mehr Verhinderungen des Marktes, als es genutzt hat. Wenn Sie zurückschauen, was vor zehn Jahren versprochen wurde, wo wir heute sein werden, liegen immer noch Welten dazwischen. Da ist die Branche schon ein bißchen realistischer geworden. Wohl auch, weil die Technologien jetzt besser einschätzbar sind und weil jetzt auch der Innovationsgrad viel höher ist. Wir liegen heute im Inter/Intranet-Bereich bei machbaren Sachen.

? Also sehen Sie es als Defizit an, daß der Innovationszyklus in der IT-Welt einfach so gravierend schnell ist?

BÖRRIES: Nein, das sehe ich eher als positiv an. Das Defizit ist eigentlich, daß wir immer noch mit den Altlasten zu kämpfen haben, daß Leute auf irgendwelchen Versprechungen rumgeritten sind und einige Leute immer noch irgendwelche Versprechungen machen, die dann eben nicht eintreten. Da ist noch zu viel Kundenfremde drin. Ich habe oft den Eindruck, daß das Ganze wie eine Selbstbefriedigungsveranstaltung ist, wo mit Technologie um sich geschmissen wird und wo mit Techniken immer Werbung gemacht wird. Dabei wird das einzig Entscheidende vergessen, nämlich der Kunde. Das ist auch ein Grund, warum wir bei Star Division so erfolgreich gewesen sind. Alles, was wir tun, zielt darauf ab, unserem Kunden eine bessere Lösung zu bieten, weil der Kunde derjenige ist, der nachher diese Lösung kauft und damit die Firma erfolgreich oder nicht erfolgreich macht.

? Scott McNealy von Sun hat seinem Erzfeind Gates den Kampf angesagt und ihm im Prinzip prophezeit und orakelt, daß er ihn bald überrundet hat, und daß dann Microsoft den Bach runtergeht. Wie schätzen Sie das ein?

BÖRRIES: Unrealistisch. Ich kenne Scott selber sehr gut. Die Jungs kommen mir manchmal so vor, als ob sie auf dem Ego-Trip sind. Das ist, was Bill Gates auszeichnet, daß er zwar sehr emotional ist, aber einfach ganz stumpf alles das tut, was für Microsoft gut ist. Er zieht Produkte zurück und kauft andere Produkte ein, wenn es für Microsoft gut ist. Und das ist auch vernünftig so und hat nichts mit Ego-Trips zu tun. So eine Firma wie Microsoft wird nicht sterben. Microsoft kann sich immer wieder transformieren. Doch ich glaube, daß Microsoft die Monopolstellung, die sie hatten, schon verloren hat. Die Welt hat es nur noch nicht mitgekriegt. Das ist 1995/96 passiert. Aber Microsoft wird immer 50 bis 60 Prozent Marktanteil haben. Das ist auch okay so, weil Microsoft einige gute Sachen hat, die überhaupt diese Branche vorantrieben. Sie brauchen immer Leader.

Im Moment ist keine der anderen Firmen in der Lage, jetzt als einziger Leader dazustehen. Diese Leute sind ja immer Microsoft hinterher gelaufen. Nun stellen sich aber mal vor, man wacht auf und Microsoft ist nicht mehr da. Da würden einige Leute wahrscheinlich ganz dumm dastehen. Was sollen wir jetzt tun? Also von daher ist Microsoft sicherlich auch für viele Leute ein Leitbild gewesen, gewisse Leistungen zu erbringen. Microsoft ist intelligent genug, sich durch die verschiedenen Wirren, die Fallen, die sie sich selber gebaut haben, durchzukommen. Das heißt sie werden rechtzeitig erkennen, daß der Weg, den sie eingeschlagen haben, mit einer geschlossenen Welt und dem Willen, alles kontrollieren zu wollen, der falsche ist. Sie werden bald sagen: "Ihr habt uns überzeugt, die offene Welt ist besser, wir sind jetzt die ,good guys' und wir machen da jetzt auch mit." Und zwar jetzt richtig. Nicht wie sie es im letzten Jahr gemacht haben, indem sie die guten Protokoller unterstützen und die eigenen wieder oben draufpacken. Nach dem Motto "embrace and extend". Das hat ja nicht funktioniert. Und das ist auch gut so, daß es nicht funktioniert hat, weil wir sonst wirklich eine Innovationsstagnation gehabt hätten.

?Hat Ihnen Microsoft schon mal ein Kaufangebot unterbreitet?

BÖRRIES: Nein. Ich glaube auch nicht, daß es kommen wird, weil es einfach nicht die Art von Markt ist für Microsoft. Microsoft zieht mit den Mitbewerbern im Markt zu Feld und will nur in ganz seltenen Fällen kaufen. Dabei stellt sich auch für mich immer die Frage, ob sie wirklich kaufen oder nur spionieren wollen. Ich glaube nicht, daß Microsoft es sich in diesem Brot-und-Butter-Geschäft erlauben kann, die oder die mal zu kaufen. Abgesehen davon, daß es vor den Kartellbehörden ja gar nicht durchkommen würde. Alleine hier in Deutschland wäre es ja schon nicht möglich. Denn wir wären mit Microsoft und Star-Division bei über 85 Prozent. Das würde ja gar keiner genehmigen.

? Aber würden Sie ein solches Angebot annehmen wollen?

BÖRRIES: Nein.

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