Technologietrends, neue Märkte und Geschäftsmodelle

15.06.2000
Technologie-Trends, neue Märkte, Anwendungen sowie Geschäftsmodelle und Erfahrungen von Startup-Unternehmen waren die Themen einer IT-Tagung der Wirtschaftsförderung in Berlin. Lutz Lunzer* fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Um sieben Prozentpunkte auf rund 100 Milliarden Mark wird nach Einschätzung der Eschborner Diebold Deutschland GmbH der deutsche IT-Markt in diesem Jahr zulegen. Im Segment "Ersatz- und Erweiterungs-Investitionen" - Hardware, Server und Netzwerke sowie System-Software - wird laut Diebold-Chefberater Fritz Jagoda ein stabiles Geschäft bei guter Wirtschaftslage erwartet. "Das steigende Volumengeschäft bringt allerdings einen sich weiter verschärfenden Preisdruck mit sich", so Jagoda. Die Gründe für die Wachstumsdynamik in diesem Segment entstehen laut Jagoda durch die fortschreitende Vernetzung von Systemen sowie den zu erwartenden "Roll-Outs" von Enterprise-Resource-Planning-Projekten (ERP): "Für kleinere VARs bedeutet dies den Ausbau des Volumengeschäfts, um über höhere Stückzahlen die fallende Handelsspanne aufzufangen."

Der Bereich "Business-Integration" - darunter versteht man bei Diebold IT-Vorhaben wie Global Controlling, Risiko-Management, Supply-Chain-Management, Global Service, das Support-Systemgeschäft sowie die IT-Integration von Joint-Ventures und Firmenakquisitionen - wird als solide und wachstumsträchtig beurteilt. Laut Jagoda handelt sich dabei in erster Linie um große Projekte von strategischer Bedeutung für Unternehmen mit einer langfristigen Kunden-Lieferanten-Partnerschaft. "Wer in diesen Markt einstiegen will, sollte die langen Inkubationszeiten sowie die Anfälligkeit für Strategie- und Organisationsänderungen berücksichtigen." Nach Einschätzung der Diebold-Berater kann starkes Wachstum vor allem bei Projekten in den Disziplinen Data Warehouse, Customer-Relationship-Management und E-Commerce erwartet werden. "Hier sehen wir gerade für junge Anbieter gute Marktchancen." Die werden nach Meinung von Jagoda nicht durch Strukturen und Verpflichtungen gegenüber Kunden und Vertriebspartnern oder auch Lieferanten gehemmt, hätten freie Ressourcen und würden sich rasch in neue Technologien einarbeiten. Ob die Zeitspanne für den Durchbruch zum etablierten Anbieter zwei oder fünf Jahre oder auch länger ist, hänge dabei von diversen Faktoren ab. Beim Thema Application-Service-Providing (ASP) ist laut Diebold mit einer recht kurzen Evolutionszeit zu rechnen.

Positive Prognosen für Servicebereiche

Auch die Prognosen für das Geschäft rund um Software und Services wurden von den Diebold-Beratern generell als positiv dargestellt, wenngleich sich hier das Wachstumstempo ihrer Ansicht nach etwas verlangsamen wird. So lag die Steigerung des gesamten Volumens laut Analysen von Eito, Diebold und PAC im Jahr 1998/99 bei 8,6 Prozent beziehungsweise 49,4 Milliarden Mark. In diesem Jahr rechnen die Experten mit einem Wachstum von "nur" noch 7,3 Prozent, was einen Gesamtumsatz von 57,6 Milliarden Mark entspräche.

Die Analysten teilen den Gesamtmarkt "Software und Service" in drei Bereiche auf: Software-Produkte, -Projekte und IT-Services. Im ersten Segment wird nur bei den Betriebssystemen ein Rückgang des Wachstums erwartet, Datenbanken, Middleware und Software-Entwicklungs-Tools sowie Office- und branchenneutrale Anwendungen befinden sich laut Jagoda weiterhin im Plus. Die größte Steigerung wird für Branchen-Applikationen prognostiziert, bei denen die Anwender in erster Linie eine Optimierung ihrer Prozesse und somit Verbesserung der Kundenorientierung erzielen. Als besonders wachstumsintensiv wurde das IT-Consulting mit einem erwarteten Plus von 12,3 Prozent und die Software-Entwicklungsprojekte mit einer Steigerung von 8,3 Prozent eingeschätzt. Beide Bereiche sind eng miteinander verbunden: Finden Anwender keine passende Standard-Software, investieren sie mehr denn je in maßgeschneiderte Lösungen im Sinne von Software-Projekten. Dabei wird auch das "Customizing" als Beratungswerkzeug an Bedeutung gewinnen. Um Großprojekte erfolgreich zum Abschluss zu bringen und eine gute Kundenbetreuung zu gewährleisten, werden in Zukunft Kooperationen auf Zeit entstehen und sich die beteiligten Anbieter zu Konsortien zusammenschließen müssen, davon sind Experten überzeugt.

Abwärtstrend beim "Body-Leasing"

In direkter Verbindung zur steigenden Tendenz der Software-Projekte steht der Abwärtstrend des "Body-Leasing". Darunter versteht man vor allem Freiberufler, die in einem Arbeitnehmer-ähnlichen Vertragsverhältnis in Projekte eingebunden sind oder auch die Pflege vorhandener Programme übernehmen. Im Gegenzug ist das Outsourcing-Geschäft laut Diebold der Markt mit den größten Steigerungen. Ihn zu erobern, wird der mittelständische VAR wohl den größeren Anbietern überlassen müssen, im Gegensatz zum Geschäftsbereich Training und Equipment-Services. Hier haben die überwiegend regional tätigen Systemhäuser die besseren Karten, da der Trend verstärkt zum Inhaus-Training in Gruppen geht. Ebenfalls gute Wachstumschancen sollte für regionale Anbieter das Geschäftsfeld Desktop-Service haben. Je mehr die Hardware-Hersteller den Direktverkauf via Internet forcieren, desto stärker wird der VAR Dienstleistungen vor Ort übernehmen.

Grundsätzlich herrscht in der IT-Branche ausgeprägter Optimismus - zumindest ergab dies eine Blitzumfrage unter den Tagungsteilenehmern. So konnte der Großteil der befragten Unternehmen im vergangenen Jahr eine "Umsatzsteigerung von über zehn Prozent" verzeichnen. Auffallend: Kein Teilnehmer hatte im Jahr 1999 Umsatzrückgänge zu verzeichnen, was auf den Gesamtmarkt bezogen wohl nicht der Realität entspricht. Auch in diesem Jahr erwarten die Teilnehmer nur Gutes: 21 Prozent hoffen auf ein Wachstum von mehr als fünf Prozent und 76 Prozent auf über zehn Prozent. Der Vergleich mit den Ist-Umsätzen zeigt allerdings, dass die Umsatzziele generell zu optimistisch sind.

Die Umsatzrendite weist als wichtigstes Barometer für den Unternehmenserfolg gegenüber den vorher dargestellten Umsatzsteigerungen etwas bescheidenere Zahlen aus. 36 Prozent der Unternehmen hatten im Vorjahr eine Rendite von über zehn Prozent, knapp ein Drittel lag bei fünf bis zehn Prozent. Dagegen lagen immerhin 23 Prozent bei nur null bis fünf Prozent Umsatzrendite, und acht Prozent der Teilnehmer gaben an, mit Verlust gearbeitet zu haben.

Standen im vergangenen Jahr noch 51 Prozent der Unternehmen dem Thema "Aufgreifen neuer Technologien, überwiegend aus Internet-Anwendungen" positiv gegenüber, waren es 1999 nur noch 31 Prozent. Dafür planen 62 Prozent der Teilnehmer noch in diesem Jahr Investitionen im Bereich Vertrieb. Dies lässt auf stärkeren Wettbewerb schließen und ist, wie die Blitzumfrage bestätigt, auch im Zusammenhang mit den ehrgeizigen Wachstumszielen zu sehen.

Erfahrungen mit Internet-Portalen

In der anschließenden Podiumsdiskussion gaben SAP, Ixos, Saga KHK und Abaxx-Technology ihre Erfahrungen mit Internet-Portalen zum Besten und stellten ihre Strategien offener virtueller Wirtschaftsräume dar.

So sind Internet-Portale im Bereich Business-to-Business ihrer Meinung nach aus Sicht des Produkt-Entwicklungszyklus noch in der Entstehungsphase. Dennoch war das Thema war für die Teilnehmer von besonderem Interesse, spätestens mit Ankündigung von "Mysap" bekommt es eine besondere Aufmerksamkeit. So konnte SAP nach eigener Aussage per Februar 2000 100 Kunden als Vorreiter dafür gewinnen, von denen 85 Prozent der Kunden bereits über das Portal Informationen beziehen. Dahinter steht ein gewaltiges Potenzial von zirka zehn Millionen Anwendern.

Die neuen Portale sind mehr als die bisher bekannten Suchmaschinen, bei denen zum Teil die Werbung dominiert. Die nach Branchen-Zielgruppen festgelegten Marktplätze haben das Ziel, die Aufmerksamkeit des Kunden auf das eigene Produkt zu lenken. Dabei wird für den das Portal betretenden Besucher künftig der gesamte Austausch von Dokumenten zwischen den Geschäftspartnern abgewickelt werden. Der Marktplatz wird damit zum Forum der zwischenbetrieblichen Kommunikation - angefangen beim ersten Kontakt über die Bestellung und Lieferung bis zur Bezahlung des Produkts. Als typische Produkte für Portale wurden zunächst der Ein- und Verkauf von C-Teilen aufgeführt. Die bereits angebotenen Portale bieten unterschiedlichste Funktionen und Komfort. Laut Sage KHK stehen kleine Betriebe mit 20 Mitarbeitern im Bereich Internet noch am Anfang und können mit umfassender Marktplatz-Software noch wenig anfangen. Eine weitere Differenzierung besteht zwischen dem "Frontend-" und "Backend"-Portal. So bieten SAP und Sage KHK das "Backend", während Abaxx Technology das "Frontend" des Marktplatzes liefert. Alle drei realisieren Marktplätze im Bereich Business-to-Business. Ixos bedient als einziger der anwesenden Anbieter mit seinem Portal den Bereich Business-to-Consumer. Einen interessanten Aspekt brachte Ixos zur Frage geeigneter Kooperationspartner ins Gespräch: Neben Kooperationen innerhalb der IT-Branche wird verstärkt nach Partnern aus völlig anderen Märkten gesucht, da bisher noch keine Kundenbasis im Consumer-Segment aufgebaut wurde. Demnach sind für Ixos Unternehmen mit einem großen Kundenstamm wie Banken, Telefondienstleister wie die Telekom oder auch Stromerzeuger gute Kandidaten für künftige Kooperationen. Entscheidend ist die richtige Zielgruppe, also Kaufkraft und Altersstruktur sowie die Tatsache, bei diesen Kunden einen hohen Aufmerksamkeitsgrad im Sinne eines guten Images vorzufinden.

Eine nur nebensächliche Rolle spielte das Thema E-Commerce, als Startups über ihre Erfahrungen als Internet-Company berichteten. Teilnehmer der Podiums-Diskussion waren die Firmen Abea, Amiro (mittlerweile mit Ciao.com zu einer Community mit dem Namen Ciao.com verschmolzen), Mytoys und Ebay, allesamt Anbieter im Business-to-Consumer-Bereich. Der Tenor war: Es gab viele Schwierigkeiten, die beseitigt werden mussten, was viel Engagement der Mitarbeiter und Verständnis der Kapitalgeber erforderte.

Das größte Problem ist die Software

Als eines der großen Probleme erwies sich die Software. Und zwar weniger im Frontend-Bereich als bei den Hintergrund-Anwendungen, vor allem der Warenwirtschaft. So musste beispielsweise bei Mytoys die Software sogar mehrfach umgestellt werden. Nachdem auf die Schnelle keine passende Software gefunden wurde, wurde laut Gründer Florian Forstmann am Anfang die Warenwirtschaft individuell gestrickt; mittlerweile ist sie durch eine Standard-Software abgelöst. Auch von den anderen Teilnehmern wurden als Ursache für die aufgetretenen Probleme die in der Anfangsphase permanent erforderlichen Änderungen genannt, die sich aufgrund neuer Geschäftsmodelle und Serviceleistungen ergaben. Dabei sind die mit der Software-Einführung beauftragten Partner oft ebenfalls Startups.

Als schwierig empfanden die meisten auch die Gewinnung neuer Mitarbeiter. Die Engpässe im Markt sind bekannt: Es gibt so gut wie keine hochqualifizierten C++-Programmierer mit Internet-Erfahrung. Auch waren Stellen zu besetzen, für die es bisher noch keine Anforderungsprofile gab. So musste zum Beispiel Ebay erst das Profil eines "Auktionators" schaffen. Um die Stelle zu besetzen, zog das Unternehmen alle Register: angefangen bei Aushängen an der Universität bis zur Einstellung von Quereinsteigern. Darüber hinaus sollten die Neuen ins überwiegend junge Team passen, in dem die Chefs kaum älter sind als sie selbst. Starkes Engagement, Belastbarkeit und Begeisterung sowie die Herausforderung, etwas Besonderes zu leisten, wurde von allen Teilnehmern als die wichtigste Anforderung an die neuen Mitarbeiter dargestellt.

Die Beteiligung am Unternehmen hat in vielen Fällen bei der Zusage neuer Mitarbeiter den Ausschlag gegeben, berichteten die Teilnehmer, wenngleich Startups im Normalfall nicht oder nur unwesentlich niedrigere Grundgehälter bezahlen als andere Software- und Systemhäuser. Der besondere Anreiz liegt in der Chance, innerhalb relativ kurzer Zeit durch die Beteiligung an der Aktienkursentwicklung sehr gutes Geld verdienen zu können.

Andere Gesellschaften wie Amiro, die nicht die Form der AG gewählt haben, entwickeln andere Beteiligungsmodelle. Um das Startup in Gang zu bringen, haben die Mitarbeiter von Amiro laut Heine auf 40 bis 50 Prozent des Einkommens verzichtet. Alle Teilnehmer nannten in diesem Zusammenhang den Verzicht auf hohe Gesellschafteranteile als Voraussetzung, um zum begehrten Venture-Capital zu kommen.

Verständnis für Fehlinvestitionen

Wie Musik in den Ohren der Teilnehmer mag die Aussage der Diskussionsteilnehmer geklungen haben, die Investoren hätten Verständnis für gewisse Fehlinvestitionen, teilweise würden sie von den Gesellschaftern sogar zu Experimenten ermuntert. Die Hauptsache bei allen Operationen ist offensichtlich die Schnelligkeit, mit der die neuen Geschäftsfelder realisiert wurden. Denn im Internet zählen bereits wenige Wochen Vorsprung vor dem Wettbewerb als entscheidend.

Der Weg zum Venture-Capital führte bei Abea und Amiro zunächst über die Organisation der "Business Angel" als erste Finanzierungsrunde. Diese beteiligen sich nicht nur am Unternehmen, sondern verfügen über die nötige Erfahrung oder auch über spezielles Know-how. Mytoys hat für die erste Finanzierungsrunde ebenfalls Geld und Wissen der "Business Angel" in Anspruch genommen und im Anschluss für den geplanten Börsengang eine Beteiligungsgesellschaft für das Venture-Capital dazwischengeschaltet. Nicht nur laut Forstmann ist derzeit der Weg über eine Wagnis-Finanzierung durch Beteiligungsgesellschaften relativ einfach. Insbesondere in den USA scheint das Geld sprichwörtlich auf der Straße zu liegen. So hat eine der führenden Venture-Capital-Gesellschaften des Silicon Valley, Benchmark Capital, ihren ersten europäischen Fonds mit einem Volumen von 500 Millionen Dollar angekündigt. Auch die japanische Softbank Corp hat vor kurzem angekündigt, eine Milliarde Dollar Wagniskapital für europäische Internet-Firmen bereitzustellen.

Auf die Frage eines Teilnehmers, ab wann und wie viel Gewinn erzielt wurde, waren die Antworten etwas zurückhaltender. Rasch in der Gewinnzone war offensichtlich aber nur Ebay, das nach eigener Aussage nach elf Monaten den Breakeven erreicht hatten.

*) Der Maintaler Management-Berater Lutz Lunzer ist auf die IT-Branche mit den Schwerpunkten Marketing und Vertrieb sowie Organisations- und Personalentwicklung spezialisiert.

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