Wenn 24 Stunden nicht mehr reichen, wird eben die Nacht drangehängt

20.03.1998

MÜNCHEN: Leicht wird dem Chef unterstellt, er verdiene sein Geld im Schlaf oder beim Golfen. Chef-Sein ist nicht nur für viele ein Karriere-Ideal, gleichsam wird hiermit unendliche Freizeit, lockeres Leben und unerschöpfliche Urlaubskontingente verknüpft. Die Realität: Top-Manager arbeiten weitaus mehr und länger, als es von der Allgemeinheit angenommen wird. Mit Hilfe einer Studie bringt Stefan Rohr* Licht in die Arbeitszeitbedingungen in europäischen Chef-Etagen.In den Augen vieler Mitarbeiter, Studenten oder Karriereplanern ist der Chefstatus nicht nur erklärtes Berufsziel, gleichzeitig ist damit die Vorstellung von Freiheit und Unabhängigkeit, einem maximal vier Stunden währenden Arbeitstag, oder gerade dem Zeitmaß verknüpft, welches für achtzehn Löcher auf dem Golfplatz benötigt wird.

Für einen Chef ist Urlaub doch immer machbar und zwar ohne Limit und ohne unternehmensseitge Zwänge. Als Top-Manager kann man kommen und gehen, wann immer man es für richtig hält, weil nämlich andere die Arbeit für einen erledigen, der Manager selbst sich hierfür nicht mehr vorsehen muß.

Wie weit dieses allgemeingültige Klischee von der Realität entfernt ist, zeigt eine Untersuchung der UPS Europe Business Monitor, in der das Arbeitszeitverhalten europäischer Top-Führungskräfte analysiert

und verglichen wurde. Diese Untersuchung klärt nun darüber auf, daß die Manager europäischer Länder im Schnitt zu 48 Prozent 55 und mehr als 65 Stunden in der Woche schaffen. Die andere Hälfte (52 Prozent) kommt lediglich auf 45 Stunden.

Deutschland ist im Ländervergleich, was die Leistungszeiten des Managements anbelangt, einsamer Spitzenreiter. 51 Prozent aller Chefs arbeiten hier zwischen 55 und 64 Stunden pro Woche, 18 Prozent überschreiten diese Grenze noch und ackern 65 Stunden oder mehr. Ein Potential also, was zusammen fast 70 Prozent dieser Spitzenkräfte ausmacht.

Auch die niederländischen Manager sind nicht gerade als "faul" zu bezeichnen: Hier sind es bei 55 bis 64 Stunden pro Woche 45 Prozent und 17 Prozent bei 65 und mehr Stunden die Woche: Insgesamt weisen also 62 Prozent der Manager eine weit über dem Normalmaß liegende Wochenarbeitszeit auf. In Frankreich wurden die Manager - zumindest was diesen europäischen Vergleich anbelangt - identifiziert, die den geringsten Belastungen ausgesetzt sind: nur vier Prozent der Führungskräfte arbeitet hier 65 und mehr Stunden pro Woche, 34 Prozent der französischen Manager halten 55 bis 64 Stunden für das notwendige Zeitmaß; das Gros, also 62 Prozent, "beschränkt" sich auf 45 oder weniger Stunden je Woche.

Diese Untersuchung basiert immerhin auf der Befragung von 1.500 Spitzenführungskräften der größten europäischen Unternehmen (Industrie und Handel) und ist daher sicher nicht als Zerrbild zu betrachten, wie es zum Beispiel der Fall wäre, wenn ausschließlich Manager aus Klein- und Mittelbetrieben befragt worden wären, die nach aller Kenntnis grundsätzlich höhere Wochenarbeitszeiten verzeichnen müssen als es nach allgemeiner Ansicht bei Managern in Großunternehmen angenommen wird.

Durchschnitt europäischer Manager: 50-Stunden-Woche

Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit europäischer Manager liegt, rechnerisch über alle Befragten hinweg, bei 50 Stunden pro Woche. Immerhin bedeutet das eine Mehrleistung von über 35 Prozent gegenüber dem allgemeinen Durchschnitt (37-Stunden-Woche) auf der Mitarbeiterebene.

Mit dem Urlaub ist das Verhältnis - nach Auskunft des UPS Europe Business Monitor - ähnlich. Im europäischen Durchschnitt erlauben sich die Top-Manager gerade mal 23 Urlaubstage pro Jahr. Gegenüber dem als "durchschnittlich" anzusehenden Urlaubskontingent von etwa 30 Tagen im Jahr der Belegschaften ist das ein Manko von 23,4 Prozent, anders ausgedrückt, hat das Management statt sechs Wochen nur 4,6 Wochen Jahresurlaub zu beanspruchen. Das deutsche Top-Management macht hierbei allerdings eine Ausnahme. 50 Prozent der hiesigen Top-Führungskräfte erlauben sich einen sechswöchigen Urlaub (oder mehr) und gleichen sich - zumindest in diesem Punkt - an die allgemein vorherrschenden Arbeitsbedingungen an.

Wer will bei diesen Zahlen noch tatsächlich behaupten wollen, daß der Chef-Status mit den eingangs erwähnten Vorzügen einher geht? Vielmehr deckt diese UPS-Studie deutlich auf, daß sich eine Top-Karriere gegenteilig auswirkt, Chefs weit mehr arbeiten müssen, als es die "normale" Belegschaft für sich jemals akzeptieren würde.

Traumziel Chef-Etage: Oft falsch eingeschätzt

Da wundert es sicherlich auch niemanden, daß die Auffassungen zwischen Arbeitnehmervertretungen und dem Management auf dieser Basis mehr als unterschiedlich sind. Leistungsträger, die ständig ein exorbitant höheres Zeitpotential investieren, haben kaum die Fähigkeit nachzuvollziehen, was sich generell hinsichtlich der Arbeitszeitreduzierung an den Märkten vollzieht oder gefordert wird. Mit jeder Stunde, die per Tarifvertrag durch die Belegschaft weniger zu leisten ist, erweitert sich die Kluft der Arbeitszeitleistungen - und den diesbezüglichen Auffassungen - zwischen Management und Mitarbeitern.

Natürlich ist das Argument, "das Management verdient auch entsprechend", leicht heranzuziehen. Wer zum Beispiel das Fünffache an Gehalt erhält, darf doch auch gerne das Doppelte dafür arbeiten. Nun sollte hierbei natürlich nicht vergessen werden, daß die Funktion als Top-Führungskraft nicht allein über das Maß der geleisteten Arbeitszeit vergütet wird, sich sicher viele andere und weitaus gewichtigere Faktoren zu ergeben haben, um derartige Positionen zu erklimmen. Gegenstand dieser Betrachtung muß daher sein, daß sich hier ein Klischee ändern muß. Das Klischee, "das Top-Management verdient sein Geld im Schlaf, beim Golf oder während ständiger Festbanketts bei Bürgermeisters".

Wer 65 und mehr Stunden je Woche tätig ist, wird dieses nicht ausschließlich von Montag bis Freitag schaffen. Es wird ebenso der Samstag und sicher oftmals auch der Sonntag heranzuziehen sein, damit derlei Kontingente zusammenkommen. Was das an Verzicht im Bereich Freizeit und Familie bedeutet, wird jedermann schnell klar sein.

Zudem ist der Leistungsdruck in den Chef-Etagen sehr hoch. Knallharte Zielvorgaben und die Verantwortung über Unternehmen oder große Unternehmensteile lassen sich jedenfalls nicht auf dem Golfplatz realisieren und handhaben. Eine überdurchschnittliche Leistungsbereitschaft dieser Top-Manager ist unabdingbare Voraussetzung für die Stellung selbst. Wer von etwas anderem träumt, ist sicher schnell wieder draußen.

Überstunden sind ebenso "im Gehalt enthalten", wie Sonn- und Feiertagszuschläge, Urlaubsverzichte und Streichungen nicht genutzter Urlaubskontingente. Gehaltserhöhungen werden auch nicht mehr automatisch, per Tarifvertrag, ausgesprochen, sie müssen verhandelt werden. Hier ist die Basis der gezeigten Leistung ebenso von Bedeutung wie die Umsetzung und Realisierung der gesetzten Ziele. Und hierfür reichen nun einmal ab bestimmten Ebenen die üblichen 37 Stunden pro Woche nicht mehr aus.

Ein Sinnspruch wandert durch so manche Chef-Etage: Wenn 24 Stunden am Tag nicht mehr ausreichen, dann wird eben die Nacht noch drangehängt. Kein Wunder also, daß die Lebenserwartungen der Chefs bei weitem geringer sind, als es die Allgemeinheit für sich vermuten darf. Hierfür gibt es ja auch zahlreiche medizinische Statistiken, die das belegen. Die Quote der Herzinfarkte ist in der Gruppe der Manager nicht ohne Grund die höchste.

Manager-Karriere erfordert gute Kondition

Wer also in die Riege der Top-Leute aufsteigen möchte, das also zu seinem Karriereziel erklärt hat, sollte eine äußerst gute Konstitution sowie eine exorbitant hohe Leistungsbereitschaft einbringen. Ob das den heutigen Universitätsabsolventen auf ihrem Weg in die Chef-Sessel so klar ist, ist zu bezweifeln.

Arbeitszeitverhalten europäischer Top-Führungskräfte

*Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/ Frankfurt/Speyer/Hannover/Bremen.

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