Wettbewerbsverbot für Freiberufler grundsätzlich nicht bindend

13.11.2003
Wie müssen Selbstständige und Freiberufler vertraglich festgeschriebene Wettbewerbsverbote handhaben? Zu diesem Thema erging am 10.04.2003 ein Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. III ZR 196/02).

I. Einleitung

Die Frage, ob ein vertragliches Wettbewerbsverbot auch für Selbstständige beziehungsweise Freiberufler wirksam ist, beschäftigt schon seit Jahren die Gerichte. Bislang haben die verschiedenen Land- und Oberlandesgerichte hierzu sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. Nunmehr liegt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, www.bundesgerichtshof. de), vor, der eine richtungsweisende Bedeutung zukommt.

II. Sachverhalt

Der Freiberufler war selbstständig als IT-Berater im Bereich SAP tätig. Er hatte 1995 einen Vertrag mit einer Unternehmensberatung abgeschlossen, für die er als Subunternehmer in einem Projekt bei der Deutschen Post AG tätig wurde. Der Vertrag beinhaltete eine Mandantenschutzklausel, die folgendermaßen lautete: "Der Subunternehmer verpflichtet sich, während der Laufzeit dieses Vertrages und innerhalb von zwölf Monaten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses beziehungsweise der Zusammenarbeit weder auf eigene Rechnung noch für Dritte mit dem Auftraggeber (Deutsche Post AG) ein Vertragsverhältnis einzugehen, also nicht für diesen Auftraggeber tätig zu werden oder seine Dienstleistungen anzubieten."

Dieses Wettbewerbsverbot war mit einer Vertragsstrafe von 30.000 DM belegt. Zwischen dem Freiberufler und der Unternehmensberatung wurden mehrere jeweils befristete Projekteinzelverträge geschlossen; der letzte Vertrag hatte eine Laufzeit bis zum 30.06.1998. Im Mai 1998 bot die Deutsche Post AG dem Freiberufler an, einen Direktvertrag mit ihm zu schließen. Neuer Vertragspartner wurde eine von der Ehefrau des Freiberuflers gegründete und von ihr als Geschäftsführerin geleitete GmbH, deren einziger Mitarbeiter der ehemalige und nunmehr angestellte Freiberufler war.

III. Verfahren

Die Unternehmensberatung, welche von diesem Vorgang Kenntnis erlangt hatte, beglich die letzte Honorarrechnung des Freiberuflers für Juni 1998 in Höhe von 38.188,80 DM nicht, sondern erklärte wegen Verstoßes gegen die Mandantenschutzklausel eine Aufrechnung mit der oben bereits erwähnten Vertragsstrafe von 30.000 DM und stellte Schadensersatzforderungen in Höhe von 8.188,80 DM.

Daraufhin klagte der Freiberufler sein Honorar ein. Das Landgericht Darmstadt entschied, dass die Vertragsstrafe wirksam vereinbart worden sei, ließ die Aufrechnung gelten und verurteilte die Unternehmensberatung dazu, den darüber hinausgehenden Betrag von 8.188,80 DM an den Freiberufler zu zahlen.

Der Freiberufler legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Das OLG Frankfurt am Main gab der Berufung in vollem Umfang statt und hob das erste Urteil hinsichtlich der Aufrechnung auf, da es das Wettbewerbsverbot als nicht wirksam bewertete, sodass dem Freiberufler sein Anspruch in voller Höhe zuerkannt wurde.

Dagegen ging die Unternehmensberatung ihrerseits in Revision zum BGH, der diese nunmehr zurückwies, da er in diesem Fall, wie das OLG Frankfurt am Main zuvor, das Wettbewerbsverbot ebenfalls als unwirksam betrachtet.

IV. Rechtliche Begründung

Der zentrale Aspekt der Ausführungen des BGH ist die Frage, ob die Vorschriften der § 74 ff HGB in diesem Fall auf den Freiberufler anwendbar sind.

Nach diesen Bestimmungen, die eigentlich nur für kaufmännische Angestellte gelten, ist ein Wettbewerbsverbot nur bindend, wenn eine Karenzentschädigung vorgesehen ist. Allerdings hat die Rechtsprechung (insbesondere des Bundesarbeitsgerichts) bereits in der Vergangenheit entschieden, dass die gesetzlichen Vorschriften der § 74 ff HGB auch dann auf einen Freiberufler anwendbar seien, wenn es sich um einen wirtschaftlich abhängigen freien Mitarbeiter handelt, für den ein Schutzbedürfnis besteht.

Der BGH sah im vorliegenden Fall diese Voraussetzung als gegeben an und begründete dies wie folgt:

Zwar konnte der Freiberufler Zeit und Ort seiner Arbeit frei bestimmen und wurde stundenweise bezahlt - jedoch war er durch seine Tätigkeit bei der Deutschen Post AG voll ausgelastet und konnte keine andere Tätigkeit ausüben. Der Freiberufler war fachlichen Weisungen nicht unterworfen - er war aber in die Betriebsorganisation der Deutschen Post AG eingebunden und insoweit einem Arbeitnehmer mit gleitender Arbeitszeit in etwa gleichgestellt. Aufgrund seiner langjährigen, 1998 bereits im dritten Jahr bestehenden, Tätigkeit in einem Spezialbereich bei der Deutschen Post AG hätte der Freiberufler nicht ohne weiteres einen anderen Einsatzbereich finden können.

Der BGH kommt somit zum Ergebnis, dass das Wettbewerbsverbot, obwohl auf zwölf Monate, einen einzigen Geschäftspartner und die örtliche Niederlassung der Deutschen Post AG beschränkt, unwirksam ist, da es an der gesetzlich vorgeschriebenen Karenzentschädigung fehlt.

V. Kommentierung

Dieses erste Urteil des BGH zur Frage der Anwendbarkeit von Wettbewerbsverboten auf Freiberufler bringt mehr Klarheit in die bislang widersprüchliche Rechtsprechung der unteren Land- und Oberlandesgerichte, beantwortet jedoch nicht alle damit zusammenhängenden Fragen.

Dreh- und Angelpunkt der rechtlichen Diskussion bleibt die Definition der "Schutzbedürftigkeit". Der BGH hat diesen unbestimmten Rechtsbegriff mit der Entscheidung dahingehend ausgelegt, dass es auf die Aspekte

- tatsächliche Eingliederung in die Betriebsorganisation

- Dauer der Tätigkeit

- Chancen einer anderen Tätigkeit nach Vertragsbeendigung ankommt.

Allerdings lässt die Anwendung auf den jeweiligen Einzelfall in der Regel erhebliche Interpretationsspielräume. So hat der BGH in diesem Fall drei Jahre Tätigkeit als einen Zeitraum angesehen, der unter anderem eine wirtschaftliche Abhängigkeit begründen kann. Damit ist aber nicht geklärt, ob dies auch dann gilt, wenn der Freiberufler zum Beispiel nur ein Jahr tätig ist.

Auch die Frage der Spezialisierung und damit unter Umständen Einschränkung der Chancen auf einen Folgeauftrag ist nicht abschließend geklärt und wird in Einzelfällen zum Teil nur durch Gutachten zu beantworten sein.

Und schließlich stellt auch die Eingliederung in die betriebliche Organisation eine Tatfrage dar, die eigentlich nur "vor Ort" geprüft werden kann und auch dann auslegungsfähig ist.

Trotz dieser offen gebliebenen Fragen hat diese Entscheidung des BGH für die Freiberufler und Unternehmensberatungen beziehungsweise Vermittler erhebliche Bedeutung.

Alle Wettbewerbsverbote ohne Karenzentschädigung, und hierunter fallen weit über 90 Prozent aller Vereinbarungen, stehen nunmehr auf noch tönernen Füßen, als dies bislang ohnehin der Fall war. Die Situation der Freiberufler, die über einen Vermittler beim Endkunden tätig sind, hat sich grundsätzlich verbessert, da sich ihre Chancen, das vereinbarte Wettbewerbsverbot nicht beachten zu müssen, erhöht hat.

Es bleibt abzuwarten, wie nun die Unternehmensberatungen beziehungsweise Vermittler darauf reagieren und sich die zukünftige Rechtsprechung entwickelt. Zurzeit liegt dem BGH jedenfalls bereits ein zweiter Fall zu dieser Thematik vor.

Weitere Informationen unter www.dr-grunewald.de.

Rechtsanwalt Dr. Benno Grunewald, Bremen, ist Justitiar des Berufsverbandes Selbständige in der Informatik (BVSI)

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