Vertrieb und Marketing rücken durch Digitalisierung näher zusammen

Der klassische Vertrieb geht neue Wege



Detlef Persin ist Inhaber des Weiterbildungs- und Consulting Unternehmens NAOS. Persin war über zwei Jahrzehnte in leitenden Managementfunktionen sowie als Mitglied der Geschäftsleitung bei DAX-30-Unternehmen aus der ITK-Branche beschäftigt. Als Certified DiSG Trainer legt er Wert auf die kaufmännische Machbarkeit und einen nachhaltigen Praxisbezug unter Einbezug des Change Managements.
Bereits seit der Einführung von CRM Systeme und der darauf folgenden Verknüpfung mit ERP Software kann man von dem Beginn der Digitalisierung der Vertriebs- und Auftragsprozesse sprechen. Das bedeutet aber auch im Umkehrschluss, schon seit Anfang der 2000er Jahre befindet sich der Vertrieb in einer stetigen und vor Allem steinigen Phase der fortschreitenden Digitalisierung.

Welcher langjährige Vertriebler erinnert sich noch an das Arbeiten mit den ersten Siebel CRM Systemen? Mir persönlich kommen dabei sofort die Anwenderschulungen der ersten Software Releases, bei denen man mindestens Anfängerkenntnisse in der Bedienung von Datenbanken benötigte, um eine Suchanfrage zu starten, in den Sinn.

Der Vertrieb wird zukünftig alte Pfade verlassen müssen, ohne seine Kernkompetenz zu verlieren.
Der Vertrieb wird zukünftig alte Pfade verlassen müssen, ohne seine Kernkompetenz zu verlieren.
Foto: sirtravelalot - shutterstock.com

Unterstützend zu meinen Erinnerungen wiederholte sich immer wieder, innerhalb einer von mir fachlich geleiteten Vertriebs-Arbeitsgemeinschaft, bei denen wir Anbieter und Anwender aus der Benutzer -und Managementebene zur Diskussion geladen hatten, folgende Kernaussage: "Die gängigsten CRM-Lösungen unterscheiden sich derzeit nur marginal voneinander."

Jetzt werden sicher einige Hersteller aufschreien und für die Vorteile und Einzigartigkeit ihrer Produkte argumentieren. Aber trotz allem: "Die Akzeptanz der Mitarbeiter ist der wichtigste Schlüssel zum Erfolg". Diese Aussage wurde auch von Unternehmen artikuliert, die aus der Historie heraus mit zwei verschiedenen CRM Systemen arbeiten. Tut mir wirklich leid liebe CRM-Anbieter, aber der Köder muss dem Fisch und nicht dem Angler schmecken.

Lesetipp: CRM-Anwender kämpfen mit Performance-Problemen

Was nützen uns die besten und gepflegtesten Customer-Relationship-Management-Systeme, wenn unsere Kunden nicht den persönlichen Nutzen der angebotenen Produkte, Lösungen oder Dienstleistungen erkennen? Wer aber, wenn nicht der Verkäufer, war in diesem Bezug bisher der Hauptbotschafter unserer Unternehmen?

Gute Vertriebsmitarbeiter sparen durch eine klare Bedarfsanalyse und dem nachfolgenden Erkennen des persönlichen Kundennutzens, dem Kunden Zeit und Nerven. Das erwarten Kunden und belohnen dieses in der Regel mit Aufträgen.

Genau mit dieser Hauptkompetenz guter Verkäufer befasst sich aber nun die Weiterentwicklung der Vertriebsdigitalisierung. Es handelt sich hierbei um die Automatisierung und Nachbildung komplexer direkter Kommunikationsprozesse.

Zum besseren Verständnis, nachfolgend zwei exemplarische Beispiele digital gesteuerter Vertriebsprozesse:

1. Die Phasen des Lead-Nurturing-Prozesses

a) Von der Anfrage zum qualifizierten Interessenten

b) Vom qualifizierten Interessenten zur Kaufbereitschaft

c) Vom kaufbereiten Interessenten zur Verkaufschance

d) Von der Verkaufschance zum Abschluss

Der Lead Nurturing Prozess ist, grob skizziert, eine Alternative zum klassischen Newsletter-Marketing und hilft gleichzeitig ein Profil des Kunden/Interessenten aufzubauen. Dieser Prozess sollte möglichst vollautomatisch durchgeführt werden und kann auch die Customer Journey flankieren.

2. Die Customer Journey,

Die fünf Phasen der Customer Journey

- Awareness (Wahrnehmung) Der Interessent erfasst seinen persönlichen Bedarf.
Nimmt die angebotenen Produkte, Dienstleistung wahr - hat daran Interesse

- Consideration (Prüfung) Überlegung die Offerte anzunehmen

- Conversion (Bekehrung) Kauf und Nutzung

- Retention (Bewahrung) Zufriedenheit, Begeisterung und Anschlusskäufe

- Advocacy (Verfechtung) Empfehlung an das gesamte soziale Umfeld

Die Customer Journey ist immer kunden- und nicht produktbezogen. Wer die Customer Journey des Kunden kennt, kann besser eine starke, auf den Kunden zugeschnittene Kundenbindung und damit Kundenzufriedenheit herstellen.

Für jeden gestanden Vertriebsmitarbeiter ist diese Vorgehensweise eigentlich nichts Neues. Trotzdem muss bedacht werden, dass der digitale Wandel es den Kunden ermöglicht sich gut zu informieren. Sie haben damit ein ganz anderes Machtpotenzial gegenüber den Anbietern erhalten.

Diese zwei Vorgehensweisen innerhalb der Vertriebsdigitalisierung sind natürlich nur ausschnitthaft zu sehen. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen alle Möglichkeiten der Digitalisierung im Vertrieb hier aufzuführen. Die Versicherungsbranche machte es bereits vor: vermeindlich einfache Produkte verkauft diese Branche bereits online. Und zukünftig werden wir diesen Trend auch im B2B Geschäft erleben.

Der Kampf um die Aufmerksamkeit des Kunden hat erst begonnen. Was am Kundenkontakt digitalisiert werden kann wird man auch versuchen zu digitalisieren. Aus diesem Grund sollten auch die IT-Abteilungen darauf konzentriert sein, um den Anschluss nicht zu verlieren. Schon heute berichten Unternehmen, die sich in der Digitalisierungsphase befinden, dass nicht die IT Abteilung der Treiber innerhalb der Digitalisierungsprozesse war.

Um den Vertriebsmitarbeitern die Angst vor der Veränderung zu nehmen, sollten Prozesse neu gedacht, anstatt nur neu digitalisiert werden.

"Fortschritt besteht nicht in der Verbesserung dessen, was war, sondern in der Ausrichtung auf das, was sein wird." -Khalil Gibran-

Diese neu designten Prozesse werden von Flexibilität und Kulturwandel, also von einem nachhaltigen Veränderungsprozess flankiert. Das bezieht sich zukünftig besonders auf Vertriebsabteilungen die innerhalb der "Mission CRM" bereits die Führungsfunktion an Marketing und anderen, den Vertriebsschnittstellen angrenzenden Bereichen, abgegeben haben. Diese Vertriebe müssen speziell darauf achten, weiterhin beim Verkauf von vermeidlichen Standardprodukten aus der "Pool Position" heraus die Zukunft mit zu gestalten.

Aber auch das gesamte Management sollte innerhalb der Veränderungsphasen darauf achten, dass

  • die Abgrenzung einzelner Mitarbeiter zu anderen Aufgabengebieten (z.B. Vertrieb / Marketing) klar vorgegeben ist

  • zukünftige eigene Aufgaben und Rollenverhalten deutlich geklärt sind

  • auf die neue Arbeitsweise zugeschnittene Hierarchien vorhanden sind

  • eindeutige Verantwortlichkeiten, Kompetenzen und Weisungsbefugnisse definiert sind

  • Transparenz im gesamten Veetriebsprozess gewährleistet ist

  • ein Quality Management, übergreifend für Vertrieb und Marketing vorhanden ist

  • eine regelmäßige Überprüfung des Strukturwandelprozesses implementiert wird

  • den digitalen Verkaufsprozess alle Mitarbeiter mittragen

  • wirklich alle relevanten Mitarbeiter in die Prozessoptimierung eingebunden und

  • auch die sozialen Kompetenzen gefördert werden.

Der Vertrieb der Zukunft wird nicht mehr so stark auf eine Abgrenzung zwischen Vertrieb und Marketing setzen. Die Übergänge werden fließender sein. Es wird aber besonders im lösungsgetriebenen Vertrieb weiterhin viel direkten Kontakt zwischen Kunden und Verkäufer geben - nur eben anders.

Die Schnittstellen der vertriebsnahen Abteilungen werden verschmelzen. Dadurch werden auch ganz neue Skills in der Vertriebsführung verlangt werden. In den letzten 150 Jahren hat der Verkauf bereits einen Wandel vom "Musterreiter" zu Persönlichkeiten wie Steve Jobs durchlaufen. Jobs Grenzen zwischen seiner Persönlichkeit als Verkäufer und als Marketier waren seinerseits ja auch schon sehr unscharf. Aber besonders dieser blitzschnelle Paradigmenwechsel machte ihn als "Verführer" der Kunden sehr erfolgreich. Deshalb sollten wir aus meinem Blickwinkel heraus mit viel Zuversicht in die Zukunft des Verkaufens schauen.

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