Empathische Netzwerker gefragt

Führen im digitalen Zeitalter



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Führungsaufgabe: Unternehmen vernetzen

Bezieht sie sich nur auf das Vernetzen von Mitarbeitern und Bereichen?

Liebermeister: Nein, auch von Unternehmen.

Inwiefern?

Liebermeister: Betrachten Sie zum Beispiel die Hightech-Unternehmen - unabhängig davon, in welcher Branche sie zu Hause sind. Wie erbringen diese heute ihre Leistung? Meist im Dialog mit ihren Kunden. Das heißt: Wie gut ihre Leistung ist, hängt auch stark davon ab, wie sie die Beziehung zu ihren Kunden gestalten. Ebenso verhält es sich auf der Lieferanten- und Zuliefererebene. Zum Beispiel im IT-Sektor. Auch hier agieren die Unternehmen, wenn sie zum Beispiel ein neues Produkt entwickeln möchten, meist im Verbund. Das heißt, sie engagieren Heerscharen externer Softwareentwickler und vergeben Teilaufträge an hochqualifizierte Spezialisten, von deren Expertise sie faktisch oft abhängig sind, wenn das Endprodukt wirklich Spitze sein soll. Also müssen die Verantwortlichen dazu fähig sein, tragfähige Beziehungsnetze zu knüpfen, die Spitzenleistungen erbringen.

Agieren in diesen Netzwerken die Partner auf Augenhöhe?

Liebermeister: Sie sollten es - zumindest weitgehend. Früher waren die Zulieferer meist von ihren Auftraggebern abhängig. Heute ist dies teilweise umgekehrt. Ohne deren Spezialwissen und Unterstützung könnten viele große Unternehmen ihre Leistung gar nicht mehr erbringen - oder sie würden sich in kurzer Zeit zu Dinosauriern in ihrem Markt entwickeln und von diesem verschwinden.

Aufgabe: Tragfähige Beziehungen aufbauen

Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Liebermeister: Nehmen Sie die Automobil-Produktion. Hier lässt sich immer schwieriger sagen, wer in diesem Produktionsverbund der stärkere Partner ist: die Autohersteller, die die Fahrzeuge produzieren, oder die Elektronikhersteller, die die Autoelektronik entwickeln? Zuweilen gewinnt man den Eindruck: Die Elektronikhersteller sitzen am längeren Hebel, weil aus ihrem Know-how faktisch die technische Innovation der Fahrzeuge resultiert, die diese wiederum für Kunden attraktiv macht.

Weshalb das Gerücht grassiert, Google beabsichtige, selbst Autos zu bauen.

Liebermeister: Nur weil die Experten, dies als möglich erachten, hält sich das Gerücht so hartnäckig. Daraus folgt für die Manager in der Autoindustrie: Sie müssen ihre Organisation mit anderen Unternehmen so vernetzen, dass ihr Unternehmen auch noch in zehn Jahren marktfähige Autos baut.

Dass Führungskräfte künftig Netzwerker sein müssen, ist nun klar. Doch warum empathische?

Liebermeister: Lassen Sie mich dies an einem Beispiel erläutern. Ich merke bei meiner Arbeit als Managementberaterin immer wieder: Für manche Kunden arbeite ich gern, für andere weniger gern. Und das hat nichts mit dem Honorar zu tun, das sie mir zahlen, sondern damit: Wie ist die Kommunikation mit ihnen? Fühle ich mich von ihnen, obwohl ich eine externe Beraterin bin, als Person wahr- und ernstgenommen? Wie verbindlich sind Absprachen? Und, und, und…. Stimmt die Chemie, dann erbringe ich für Kunden auch gerne gewisse Mehr-Leistungen, weil ich mich mit ihnen und ihren Zielen identifiziere. Ähnlich verhält es sich bei den Dienstleistern, die für mich arbeiten. Habe ich bei ihnen das Gefühl, dass sie mich und meine Bedürfnisse verstehen, dann bin auch ich für ihre Bedürfnisse offener, was sich positiv auf die Zusammenarbeit und die Ergebnisse auswirkt, wodurch wiederum unsere Beziehung stabiler wird. Dasselbe gilt für die Zusammenarbeit im Big-Business, sei es auf der Ebene Führungskraft-Mitarbeiter, Unternehmensbereich-Unternehmensbereich oder Unternehmen-Unternehmen. Wenn die Partner die Bedürfnisse des jeweils anderen wahrnehmen und respektieren und sich ernsthaft um die Beziehung bemühen, dann werden aus den ehemaligen Schnittstellen Nahtstellen, was letztlich zu Spitzenleistungen führt. Das setzt jedoch voraus, dass die Partner keine emotionalen Autisten sind.

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